Nicht nur Kids und Studenten benutzen Programme ohne Lizenz

In Unternehmen und Behörden wird reichlich schwarz kopiert

03.07.1992

MÜNCHEN (qua)-Professionelle Softwareprogramme fallen voraussichtlich ab dem 1. Januar 1993 generell unter das Urheberrecht. Anläßlich einer von der Lotus Development GmbH, München, initiieren Podiumsdiskussion betonte Willy Söhngen, Lotus-Geshäftsführer und Vorsitzender des Verbands der Deutschen Software-Industrie (VSI), daß auch in Unternehmen und Behörden "im großen Stil" raubkopiert werde.

"Aufgrund der schwierigen Gesetzeslage", so der Lotus-Manager, habe der Software-Anbieter bisher zwar einige Händler wegen unlauteren Wettbewerbs anklagen, aber noch kein Anwenderunternehmen der Urheberrechts-Verletzung bezichtigen können. Das dürfte sich ändern, falls im kommenden Jahr die EG-Richtlinien über den Schutz des geistigen Programmierereigentums auch in Deutschland geltendes Recht sind: "Im ersten Quartal 1993 wird es einige Präzedenzfälle geben -, droht Söhnen betrieblichen Schwarznutzern.

Bislang hat Söhnen die ihm zu Ohren gekommenen Fälle von Software-Piraterie sehr diskret gehandhabt: Die Geschäftsleitung des betreffenden Anwenderunternehmens erhielt einen Brief, in dem der Software-Anbieter vorschlug, "sich an einen Tisch zu setzen und die Sache zu klären".

Die Gründe dafür, daß sich auch seriöse Unternehmen und sogar Behörden in die juristische Grauzone wagen, liegen laut Söhnen zum einen am mangelnden Unrechtsbewußtsein. "Software wird oft aus den Purchase-Requests gestrichen - mit der Begründung:, Die haben wir schon", erläutert der Lotus-Chef. Zum anderen seien die fehlenden Lizenzen - vor allem bei den Behörden - vielfach "eine Frage des Budgets". Lotus will den öffentlichen Anwendern deshalb mit Sondertarifen entgegenkommen.

Schmerzgrenze für Lizenzpreise

Carsten Reinhardt vom Benutzer-Service-Zentrum der Zweckform GmbH, Holzkirchen, wies darauf hin, daß auch Industrieunternehmen mit begrenzten Budgets auskommen müßten. Nach einer "Schmerzgrenze" in Sachen Softwarepreis gefragt, nannte er die Summe von 800 Mark netto. Seine Begründung: Beschaffungen unterhalb dieses Betrags lassen sich innerhalb eines Jahr von der Steuer absetzen.

Wie Reinhardt beteuert, werden bei Zweckform für jedes der von den 200 PC-Anwendern genutzten Programme ordnungsgemäß Lizenzen gekauft. Dafür stehe ein "frühzeitiges" Commitment der Geschäftsleitung, die nicht riskieren wolle, von einem ihrer Softwarelieferanten in flagranti ertappt zu werden. Als ehemaliger Entwickler ist Reinhardt ohnehin bereit, für Software, "die uns hilft, unsere Produkte besser zu verkaufen", den geforderten Lizenzpreis zu entrichten - nicht zuletzt, um damit die Weiterentwicklung und den Support sicherzustellen.

Allerdings war Reinhardt bereit, darüber zu diskutieren, ob sich die gängige Lizenzierungspolitik - eine feste Gebühr für jede Maschine, auf der die jeweilige Software gefahren wird - nicht durch eine anwenderfreundlichere Praxis ersetzen lasse.

Eine brauchbare Alternative sei hier beispielsweise das von Lotus in Aussicht gestellte Preismodell für vernetzte PC-Systeme: Die Software wird auf dem zentralen Server installiert und abhängig von der Anzahl der gleichzeitig (!) damit arbeitenden Benutzer bezahlt. Dabei werden, so hat Reinhardt ausgerechnet, je 100 Anwender nur 10 bis 80 Lizenzen fällig.