Dialog zwischen Wirtschaftsbossen und Junginformatikern ergibt:

In Sachen Praxis haben Studenten Holpflicht

05.02.1988

MÜNCHEN (ih) - "AIs Informatiker müssen Sie Ihr ganzes Leben lang lernen". Diesen Ratschlag gab Walter Huber, DV-Chef bei der Friedrich Deckel AG, Informatikstudenten während einer Diskussion mit Unternehmensvertretern. Thema der Newcomer-Veranstaltung war die Entwicklung der Informationsindustrie.

Klagen werden nämlich seit langem von beiden Seiten laut: Die Informatikstudenten wünschen sich eine praxisbezogene Ausbildung, die Unternehmer beschweren sich über

Hochschulabsolventen, die den Kopf voller Theorien, aber keine Betriebserfahrung haben. Diesem Mißstand soll jetzt abgeholfen werden. "The Entrepreneurial Group", kurz TEG genannt, hat sich zur Aufgabe gemacht, die Zusammenarbeit zwischen Firmen und Hochschulen zu fördern. Ferner will die Studentenvereinigung die akademische Ausbildung praxisbezogener gestalten. Erste Schritte in diese Richtung wurden inzwischen gemacht. In der Diskussionsreihe "New Approach -Die unternehmerische Praxis der Informationsindustrie", die die Münchener Fachschaft Mathematik/Physik/ Informatik zusammen mit der Studentenvereinigung durchführt, haben junge Informatiker Gelegenheit, mit Unternehmensvertretern über deren Erfahrungen im Berufsleben zu diskutieren.

Bei dem vierten von der TEG durchgeführten Diskussionsabend unter dem Motto "Wie sieht die Entwicklung der Informationsindustrie in den nächsten zehn Jahren aus", stießen die anwesenden Hersteller mit ihren Zukunftsvisionen bei dem einzigen Vertreter eines Anwender-Unternehmens auf Widerspruch. Nicht teilen konnte DV-Chef Huber nämlich die euphorische Behauptung der Industrievertreter: "Je mehr Technik je besser". Der DV-Profi stellt die Frage, wie denn die Folgewirkungen immer neuer, auf den Markt geworfener Technik-Entwicklungen zu bewältigen wären. Schließlich würden sich viele Arbeitsinhalte rasch verändern, entsprechend müsse die Ausbildung erweitert und forciert werden. Auch heiße "mehr Technik" seiner Meinung nach nicht automatisch, daß dadurch eine bessere Organisation erreicht werde.

Informatiker in wenigen Jahren Mangelware

Helmuth Coqui, Geschäftsführer für Technologie-Produkte der Firma Softlab, beschäftigte sich neben den allgemeinen Trends in der Informationsindustrie auch mit der Entwicklung der großen DV-Hersteller. Auf seine Frage, ob IBM in den nächsten zehn Jahren nach wie vor alle Mitbewerber an die Wand drücken werde, antwortete Professor Gert Folberth, IBM-Berater für Wissenschaft und Technologie: "Für IBM wäre es gut, für den Markt dagegen katastrophal."

Um den Jobeinsteigern zu mehr Praxis-Know-how zu verhelfen, riet DV-Chef Huber den Informatikstudenten, sich direkt an die Unternehmen zu wenden. Dort sollten sie etwa um Werkbesichtigungen bitten und könnten ein wenig Praxisluft schnuppern. Den Newcomern stünden letztendlich alle Türen offen, so der DV-Praktiker aus einem Anwender-Unternehmen: "Schließlich gehören die Informatiker in ein paar Jahren zu der Berufsgruppe, die Mangelware sein wird."