In Indien ticken die Uhren anders

18.09.2006
Von Wolfgang Winter 
Kulturelle Unterschiede können den Erfolg eines Projekts ernsthaft gefährden.

Das Auslagern der Softwareentwicklung nach Indien spart keine Zeit. Früher glaubten viele Auftraggeber, mit dem Abliefern einer perfekten Spezifikation und entsprechender Akzeptanzkriterien alles Nötige für den Erfolg des Projekts getan zu haben. Solange die indischen Mitarbeiter keine Fragen stellten und keine Probleme berichteten, galt das Projekt als im Lot befindlich. Bei unzureichenden Leistungen oder Verzögerungen wurden die Regeln und Abnahmekriterien einfach erneut aufgestellt.

Hier lesen Sie …

• warum Offshoring in Indien viel Feingefühl erfordert;

• welche Folgen die kulturellen und mentalitätsbedingten Unterschiede haben können;

• wie sich typische Fehler vermeiden lassen.

Verbreitete Fehler

1. Leistung erwarten, ohne Vertrauen zu signalisieren.

2.Hierarchien übergehen.

3. Spezifizieren, ohne zu begleiten.

4. Zu wenig Zeit für Koordination und Kommunikation einplanen.

5. Sprachliche und kulturelle Feinheiten missachten.

6. Auf regelmäßiges Nachfragen verzichten.

7. Bei Problemen auf Konfrontationskurs gehen.

Worauf Sie achten sollten

• Sorgen Sie für persönliche Beziehungen zwischen den Teammitgliedern.

• Kommunizieren Sie regelmäßig mit Ihrem Offshore-Ansprechpartner und geben Sie auch etwas von Ihrem Privatleben preis. Geschäftsbeziehungen in Indien wachsen mit persönlicher Anteilnahme.

• Lernen Sie Indien kennen.

• Ermöglichen Sie gegenseitige Besuche.

• Empfangen Sie Ihre indischen Partner mit Gastfreundschaft.

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Schwierige Zusammenarbeit

Mittlerweile haben hiesige Unternehmen erkannt, wie aufwändig es ist, Softwareprojekte auf dem Subkontinent zu steuern. Vor allem die krassen Unterschiede in Mentalität, Kultur und Arbeitsweise erschweren die Zusammenarbeit. Diese treten schon beim Knüpfen der Geschäftsbeziehung zutage: Häufig kommt der Kontakt über Freunde oder Bekannte zustande. Vertrauen hat einen höheren Stellenwert als Verträge - nach dem Motto "Contracts are for divorce - trust is for marriage". Auch im Projektalltag brauchen die indischen Kollegen vor allem eine persönliche Atmosphäre, um die sachliche Ebene in den Griff zu bekommen. Erst dann entwickeln sie Loyalität und erbringen verlässliche Leistungen.

Hinzu kommt die hohe Bedeutung der hierarchischen Ordnung in Indien, die sich auch in den Führungsstrukturen der Unternehmen niederschlägt: Während sich ein deutscher Manager vor allem durch Anpacken Glaubwürdigkeit im Team verschafft, erwarten Inder von ihrem Vorgesetzten die respektgebietende Distanziertheit eines Patriarchen. Ein Manager, der einen jovialen Umgang mit seinen Mitarbeitern pflegt, stößt dagegen auf Unverständnis.

Zu handfesten Konflikten kann es kommen, wenn Hierarchieebenen übergangen werden. So ist es in Indien üblich, dass der Vorgesetzte detailliert über alle Tätigkeiten seiner Mitarbeiter Bescheid weiß. Es ist daher ratsam, ihn bei Mails an indische Kollegen immer auf Kopie zu setzen. Zudem führen die hierarchisch geprägten Verhaltensweisen leicht zu Missverständnissen. Während es beispielsweise in deutschen Teamsitzungen üblich ist, dass der Sachexperte - und das ist in der Regel nicht der Chef - bei einem bestimmten Thema zuerst das Wort ergreift, äußert er sich in Indien erst dann, wenn er von seinem Vorgesetzten dazu aufgefordert wird. Daher kommt es darauf an, die Meinung des indischen Experten zu erfragen, ohne dessen Vorgesetzten zu übergehen.

Spezifikationen sind Nebensache

Auch die hierzulande hohe Bedeutung von Anforderungskatalogen kann fatale Folgen haben. So neigen deutsche Projektverantwortliche dazu, mehr zu spezifizieren als zu begleiten. In Indien führt das leicht dazu, dass die vermeintlich perfekten Regeln bis ins Detail, allerdings ohne Sinn und Verstand befolgt werden. Auch bei unvollständigen Definitionen oder unrealistischen Zeitvorstellungen sind von den Indern keine kritischen Nachfragen zu erwarten. Ihr kultureller Hintergrund erlaubt es ihnen nicht, Vorgesetzte auf Fehler aufmerksam zu machen. Solche Feinheiten zu berücksichtigen ist enorm wichtig, da die andernfalls entstehenden Probleme häufig erst bei der nächsten Meilenstein-Prüfung entdeckt werden und sich nur mit großem Aufwand beheben lassen.

Immer wieder nachfragen

In Deutschland haben Absprachen und Regeln grundsätzlich einen hohen Stellenwert. Vor diesem Hintergrund verzichten die Projektverantwortlichen häufig darauf, die wichtigsten Punkte in jeder Sitzung noch einmal zusammenzufassen. Die indischen Kollegen messen die Bedeutung eines Themas jedoch daran, wie eindringlich und häufig es angesprochen wird. Entscheidend ist es daher, regelmäßig - wenn nötig, mehrmals pro Woche - und auf allen Ebenen zu konferieren und dabei den Status der einzelnen Aktivitäten nachzufragen.

Empfehlenswert ist ein Mix aus formaler und informeller Kommunikation: häufige Telefonkonferenzen der Subteams mit allen Ingenieuren und Gruppenleitern sowie einmal im Quartal ein Review mit den Abteilungsleitern. E-Mail hat in Indien einen formaleren Charakter als hierzulande, auch weil hier die indischen Vorgesetzten automatisch eine Kopie bekommen. Als informeller Kanal bietet sich daher Instant Messaging an. Es funktioniert meist besser als ein direktes Telefonat, weil sich Missverständnisse aufgrund von unterschiedlichen Akzenten und Dialekten - etwa "Pfälzisch-Englisch" und "Indisch-Englisch" - vermeiden lassen.

Inder planen optimistisch

Auch das Zeitgefühl der Inder sorgt bei den deutschen Kollegen für Unverständnis: Inder gehen mit dem Faktor Zeit sehr entspannt um und neigen dazu, zu optimistisch zu planen. Meist nehmen sie sich viel vor, können dann aber nur einen Teil davon erfüllen. Deutsche Projektmitarbeiter sind dagegen stark ergebnis- und absprachenorientiert. Diskrepanzen zwischen Ist und Soll empfinden sie als Versprechen, die nicht eingehalten wurden, also fast schon als Vertrauensbruch. Da der Zeitaufwand für Kommunikation und Koordination in Offshore-Projekten zudem häufig unterschätzt wird, sind diesbezügliche Konflikte zwischen indischen und deutschen Mitarbeitern geradezu programmiert.

Hinzu kommt, dass die deutsche Art, Kritik zu üben und Probleme anzusprechen, in anderen Kulturkreisen zum Teil als unhöflich, fast aggressiv empfunden wird. Sogar in den kulturell verwandten angelsächsischen Ländern haben deutsche Unternehmen solche Erfahrungen gemacht. Häufig sind allerdings sprachliche Missverständnisse der Grund. So versteht ein Amerikaner unter "not bad" keineswegs "good", auch wenn es eigentlich so gemeint ist.

Zudem reagieren deutsche Mitarbeiter auf Fehler in der Regel mit Widerspruch und offen ausgesprochener Kritik - auch gegenüber Vorgesetzten und direkten Mitarbeitern. Ziel ist es dabei, die Dinge beim Namen zu nennen. In Indien ist offene Kritik dagegen verpönt. Man drückt seine Meinung indirekt aus - etwa durch die Verweigerung einer Antwort. Daher fühlen sich indische Kollegen von dem deutschen Konfrontationskurs leicht vor den Kopf gestoßen.

Sachprobleme nicht so wichtig

Auch bei den Anlässen für Konflikte unterscheiden sich die beiden Kulturkreise: Während deutsche Mitarbeiter vor allem Leistungsmängel, Zeitplanverzögerungen und Qualitätsprobleme offen ansprechen, neigen ihre indischen Kollegen dazu, sachliche Probleme herunterzuspielen und Fehler nicht einzugestehen. Für sie sind fehlender Respekt, mangelnde Führung, öffentliche Kritik und Aggression weit größere Konfliktstifter.

All diese Gegensätze können die Beziehungen zwischen den Projektparteien ernsthaft gefährden. Vermeiden lässt sich dies nur durch einen intensiven persönlichen Kontakt. Bei gegenseitigen Besuchen vor Ort lernen die indischen Mitarbeiter, die hierzulande übliche Direktheit nicht als Angriff zu verstehen. Und die deutschen Kollegen können sich an die ausweichende Art der Inder gewöhnen. (sp)