Die weltweite Standardisierung gilt nur für einige Bereiche:

In Großbritannien gehen die ISDN-Uhren anders

26.04.1985

ISDN, das Dienste-integrierte digitale Netz, bedeutet eine scheinbar weltweite Norm. Anhand des britischen Modells zeigt jedoch der Nürnberger Unternehmensberater Carl Friedrich Schuh auf, daß diese weltweite Norm nur für gewisse Dinge gilt, für andere muß sie - sogar in Europa - erst noch geschaffen werden.

Im Olympia-Ausstellungsgelände in London fand in diesem Jahr zum achten Mal die europäische Informationstechnologie- und Büroautomationsausstellung "Info 85" statt, wobei die Bezeichnung "europäisch" durchaus mit einem Fragezeichen zu versehen ist. Zwar können Mikrocomputer und andere Geräte, die für sich allein stehen oder nur im Bereich einer Bürolandschaft, ohne weiteres zwischen England und der Bundesrepublik verglichen werden. Im Kommunikationsbereich dagegen ist es nur bei sehr wenigen Geräten möglich, diese im jeweils anderen Land anzuschließen und zu betreiben. Sie haben zwar ähnliche Bezeichnungen, ansonsten jedoch ist vieles anders.

Zwei Beispiele sollen dies belegen:

- Siemens stellt in London eine digitale Nebenstellenanlage "Saturn" vor, die man in den USA, aber nicht aus der Bundesrepublik kennt.

- British Telecom (BT) präsentiert auf einem großen Stand den "Integrated Digital Access" (IDA). Wer ahnt, daß es sich hier um eine Vorstufe zum ISDN handelt, oder besser gesagt, nicht zum ISDN heute, sondern auf dem Weg zum ISDN, das international zum Normenvorschlag erhoben wurde?

Was heißt nun internationale ISDN-Norm? Es gibt eine standardisierte Schnittstelle - der Weg zur zukünftigen Kommunikationssteckdose - aber darum herum ist vieles anders. Noch nicht einmal im Bereich der CEPT-Postverwaltungen in den europäischen Ländern besteht eine einheitliche ISDN-Norm. Man erhofft sich aber für dieses Jahr die Einigung auf europäischer Ebene.

Für die Unterschiede in den verschiedenen Ländern gibt es verschiedene Gründe. In Großbritannien beispielsweise - und das wurde auf dem British Telecom-Stand bei der Londoner Ausstellung deutlich - hat man zunächst mit einer anderen ISDN-Norm, als später dann realisiert, gerechnet und sich darauf vorbereitet. Das Pilotnetz in den Städten London Bormingham und Manchester läuft heute nicht mit der ISDN-Bitrate von 144 KBits/s (64 + 64 + 16 KBit/s) sondern mit 80 KBit/s (64 + 8 + 8 KBit/s).

Privatisierung von BT wirkt sich aus

Darüber hinaus kam in England auch noch die Privatisierung von British Telecom hinzu, wodurch sich auch die Zugangsvoraussetzungen für den Kunden ändern: Während man bei uns die Dienste standardisierte, tut man dies auf der Insel mit dem Zugang zum Netz, dem "IDA". Dieser Zugang wäre auch zu anderen Netzen, über die die Übertragung der Dienste durchgeführt wird, möglich. Folgerichtig sagt man, für den Anwender ist der Zugang zum digitalen Netz wichtig, er braucht sich nicht darum zu kümmern, wie das Netz aussieht, sondern kann dieses benutzen, wozu und wie er will. Den Netzbetreiber interessiert nun nur noch am Rande, ob Sprache, Daten oder andere Informationen übermittelt werden.

Zudem ist es nun auch möglich, daß das Unternehmen "Mercury", eine Tochtergesellschaft der Cable and Wireless, eines Tages in England Netze betreibt. Die Privatisierung der BT zeigt sich aber nicht zuletzt auch bei den Diensten und den Endgeräten.

Trotz alledem ist man sich in Großbritannien darüber im klaren, daß das ISDN sehr wichtig ist und daß man in Zukunft eine einheitliche Norm anstreben soll und muß. So wird bei der dritten Stufe des englischen ISDN-Netzes - etwa ab 1988 - die Bitrate auch 144 KBit/s betragen. Sollte die europäische Normierung innerhalb der CEPT nicht einheitlich in diesem Jahr kommen, insbesondere im Hinblick auf das digitale Signalisierungssystem des Zugangs, dann will man dieses in London unabhängig standardisieren lassen.

Problem: Der Anschluß an die Paketvermittlung

Bereits im Januar kündigte British Telecom an, das als

Norm-Signalisierungssystem für Nebenstellenanlagen, die an einem 2x2adrigen Telefondraht hängen, der Signalisierungsstandard "Dass No. 2" vorgesehen sei und ein Block von 30 x 64 KBit/s verwendet werde. Ob allerdings die europäische Norm so, wie sie England jetzt plant, kommen wird, weiß man erst Ende des Jahres. Immerhin ist die Festlegung der S-Schnittstelle extrem wichtig; ob sie nachher zu einem echten offenen System führen wird, ähnlich wie bei einem lokalen Netz oder einer Nebenstellenanlage, ist noch nicht absehbar.

Nicht ganz klar ist auch im Hinblick auf die ISDN-Einführung, ob und wieweit der Anschluß zu paketvermittelten Netzen realisiert werden soll. In Großbritannien hat man damit automatisch ein gewisses Problem, da man dort unser leitungsvermitteltes Datex-L-Netz nicht kennt. Über eines aber sind sich die Engländer und wir allerdings einig: ISDN bedeutet nicht nur eine mehr oder minder durchgeführte Digitalisierung in den Netzen im außerlokalen und lokalen Bereich, sondern eine echte Revolution der gesamten Telekommunikation und damit auch der Möglichkeiten bei der Bürokommunikation.