"In fünf Jahren wird es uns nicht mehr geben"

01.06.2001
Von in Karin
Er residiert im "Centre Pompidou" am Münchner Flughafen, doch sein Wirkungskreis umfasst den gesamten Siemens-Konzern. Als President Center of E-Excellence hilft Albert Goller dem Unternehmen, E-Business-Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Dabei hat er das Ende seiner Aufgaben schon vor Augen.

CW: Im Herbst hat die Siemens AG angekündigt, sie wolle eine "E-driven Company" werden. Was bedeutet das?

GOLLER: Zum einen, dass alle wesentlichen Geschäftsprozesse über das Internet abgewickelt werden. Zum anderen gibt es neben der Business-Seite auch einen Servicebereich, wozu beispielsweise das Personalwesen zählt.

Albert Goller
Albert Goller

Den wollen wir ebenfalls digitalisieren und über das Standard-Web ins Unternehmen einbinden.

CW: Die Ankündigung klang so, als sollten sich die internen Prozesse des Konzerns grundlegend verändern.

GOLLER: Genau das bedeutet sie auch. Viele Prozesse werden heute nur deshalb nicht verändert, weil sie überhaupt nicht mehr sichtbar sind. Sie wurden irgendwann einmal festgeschrieben und sind seither etabliert. Im Zuge des E-Business werden sie transparent, und wir stellen plötzlich fest, dass es dort eine Menge Medienbrüche oder Schleifen gibt.

CW: Ist die Aufgabe des Center of E-Excellence, Transparenz herbeizuführen?

GOLLER: Nein, wir sind eher dafür da, den Business-Units die Tools zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um diese Transparenz zu schaffen.

CW: Das Center soll ausdrücklich nicht die IT-Abteilung ersetzen. Aber welche Rolle ist ihm denn nun zugedacht?

GOLLER: Wir berichten direkt an den Zentralvorstand. Dieser hat eigens ein E-Business-Council eingerichtet, dem auch unser Vorstandsvorsitzender Heinrich von Pierer angehört. Hierhin adressieren wir unsere Vorlagen und diskutieren dabei die möglichen E-Business-Lösungen. In diesem Council werden dann endgültige Entscheidungen über die konzernweiten Standards getroffen - so zum Beispiel hinsichtlich der von uns definierten IT-Landschaft für das E-Business. Anschließend stellen wir die neuen Lösungen den Bereichen und Regionen vor und beraten sie. Doch, und darauf legen wir großen Wert, E-Business ist Business. Und deshalb kann nur der, der das Geschäft kennt und betreibt, E-Business vor Ort implementieren. Das Center of E-Excellence überwacht die Einhaltung der Standards.

CW: Im Zusammenhang mit der standardisierten IT-Landschaft haben Sie sich sehr deutlich für bestimmte Technologielieferanten ausgesprochen.

GOLLER: Richtig. Wir haben uns in Sachen Supply-Chain-Management für i2, auf der Verkaufsseite für den Web-Server von IBM und dort, wo es um den Einkauf indirekter Materialien geht, für Commerce One entschieden.

CW: Sind Sie mit dieser Entscheidung nach wie vor glücklich? Oder anders gefragt: Inwiefern berührt es Sie, dass die Turbulenzen am Aktienmarkt auch an i2 und Commerce One nicht spurlos vorbeigegangen sind?

GOLLER: Wir haben unsere Partner nicht nach ihrem Aktienkurs, sondern nach Erfahrung und globaler Aufstellung gewählt. In dieser Hinsicht sind wir zufrieden mit unserer Wahl.

CW: In der Partnerschaft mit i2 fungiert IBM oft als Systemintegrator. Mit SBS haben Sie selbst einen solchen Dienstleister im Konzern.

GOLLER: Da müssen Sie unterscheiden: Wir haben IBM lediglich als Software-Provider für "Websphere" ins Boot geholt. Und SBS unterstützt mittlerweile sowohl i2 als auch Websphere mit Consulting-Leistungen. IBM Global Services ist in das Abkommen nicht involviert.

CW: Siemens hat 360 SAP-Installationen im Einsatz. Und die SAP wird sicher darum gekämpft haben, Sie als Kunden für die eigene Supply-Chain-Management-Lösung zu gewinnen. Warum haben Sie sich für das Angebot von i2 entschieden?

GOLLER: Logischerweise haben wir auch mit SAP lang und breit darüber diskutiert. Zum damaligen Zeitpunkt unterstützte SAP jedoch keine offenen Standards. Aber selbstverständlich basiert das E-Business transaktionsseitig auf SAP-Software. Und in den Projekten arbeiten i2, der Service-Provider, also in vielen Fällen SBS sowie SAP eng zusammen.

CW: Diese Zusammenarbeit könnte problematisch werden. Sie klappt wahrscheinlich nur deshalb, weil Sie als wichtiger Kunde eine gewisse Macht ausüben.

GOLLER: Wir hoffen, dass wir unsere Stärke nicht zu oft ausspielen müssen - auch wenn wir das im Zweifelsfall täten -, sondern dass auf allen Seiten das nötige Verständnis vorhanden ist.

CW: Siemens hat seine E-Business-Initiative auf vier Jahre konzipiert. Ein solches Mammutprojekt steht eigentlich im Widerspruch zu den Erfordernissen dieses rasch veränderlichen Geschäfts.

GOLLER: Wenn Sie die Geschäftsprozesse eines Weltkonzern verändern wollen, geht das nicht in zwei oder drei Monaten. Schließlich müssen die gesamte Organisation einbezogen und die Akzeptanz der Mitarbeiter gewonnen werden. Und wenn wir Kunden und Lieferanten in die Umgestaltung involvieren wollen, reden wir über einen Veränderungsprozess von mehreren Jahren. Allerdings haben wir gelernt, dass wir große Projekte in kleinere Scheiben schneiden müssen, damit alle Beteiligten innerhalb weniger Monate erste Erfolge sehen.

CW: Sie sind nach eigenem Bekunden ein "Pure-Business"-Mann. Beim E-Business spielt die Technik aber eine große Rolle. Inwieweit arbeitet das Center of E-Excellence mit der IT-Abteilung zusammen?

GOLLER: Wenn wir die Business-Anforderungen festgelegt haben, reichen wir sie an die Abteilung IuK (Information und Knowledge-Management, Anm. d. Red.) weiter. Die hilft uns maßgeblich bei der Entscheidung für die jeweilige Architektur oder die notwendigen Werkzeuge. Richtig ist allerdings, dass sich - nicht nur bei Siemens, sondern in vielen Unternehmen - die Business-Leute in der IT-Terminologie oft nicht mehr wiedergefunden haben, weshalb mögliche Benefits ausblieben. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die IT-Leute, die wir dringend brauchen, lernen, komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen.

CW: De facto wird die IT also erst spät in die Entscheidungen einbezogen. Von außen zumindest sieht es so aus, als werde das Thema E-Business vor allem innerhalb des Center of E-Excellence bearbeitet. Schon durch seine räumliche Lage erweckt dieses Center den Eindruck eines Fremdkörpers im Konzern. Wie sorgen Sie für Durchlässigkeit?

GOLLER: Siemens hat sich zum Ziel gesetzt, das gesamte Unternehmen zu einer E-Business-Company zu machen. Die Centers of E-Excellence (neben dem Flughafen München gibt es weitere Zentren in Erlangen, Atlanta und Singapur, Anm. d. Red.) sind als Katalysatoren dieser Bewegung konzipiert. Wir sind überzeugt, dass es uns in fünf Jahren nicht mehr gibt - zumindest nicht in dieser Form. Bis dahin wird das ganze Unternehmen derart mit E-Business durchdrungen sein, dass diese Aufgaben im Tagesgeschäft abgehandelt werden.

CW: Und was genau tut ein E-Business-Katalysator?

GOLLER: Das ist nicht nur eine Frage der Technologie, sondern auch eine des Mindset, der Geschäftsprozesse und des Verständnisses dafür. Warum funktionieren heute viele elektronische Marktplätze nicht? Das liegt nicht etwa an der fehlenden Technologie, sondern am falschen Marketing-Ansatz. Die IT kann nichts dafür. Es sind die Marketing-Experten, die verstehen müssen, dass der Kunde jeden Tag neu zu gewinnen ist. Eine Organisation wie die unsere kann hier in der derzeitigen Situation Hilfestellung leisten - ohne dass ihre Funktion für die Ewigkeit zementiert werden sollte.