So sehen die anderen: Vergeblicher Kampf gegen Computerisches

In der Zahlenflut geht der Stromkunde baden

19.03.1976

Der Computer, so versichern die Mitarbeiter des Überlandwerkes Neu-Ulm, der Computer irrt sich nie. Wirklich nicht? Wie vertrauenswürdig ist dann ein Computer, der in einer nüchternen und schwer lesbaren Schrift dem Stromkunden verkündet, er habe in der Zeit vom 31. 12. 74 bis zum 30. 12. 74, also an einem Minus-Tag gewissermaßen, 13 Kilowattstunden verbraucht? In einem Zeitraum, der keiner ist, kann ja wohl auch der Verschwenderischste keinen Strom verbrauchen. Und wie ehrenwert ist ein Computer, der diese 13 Kilowattstunden aus einer Differenz des alten Zählerstandes von 12 388 zu dem neuen Zählerstand von 17163 herausliest.

Ein Stromkunde, als Nachtstrom-Speicherheizer gewohnt, erhebliche Abgaben an die Überlandwerke abzuführen, erlebte jüngst aber noch weitere Verblüffungen, als ihm die Zahlenwüste der computergeschriebenen Jahresabrechnung 1975 samt der ersten Zahlung für 1976 mit einem Endbetrag von kreislaufgefährdender Höhe ins Haus kam. Ohne entsprechende Schulung, so fand er heraus, ist es nicht einmal möglich zu kontrollieren, ob der Ableser die Zählerstände korrekt abgelesen hat. Zwei Zähler mit insgesamt drei Zählwerken registrieren getreulich, wieviel Strom die Heizung und der Warmwasserboiler, die Beleuchtung, der Herd und die Waschmaschine verbrauchen. Die Zählerstände aber haben nur bei einem Zählwerk Ähnlichkeit mit den Zahlen auf der Rechnung.

Aha, frohlockt der Stromkunde, die haben sich vertan. Mitnichten, versichern die geduldigen Überlandwerkler. Man braucht nämlich nur zu wissen, daß der Zähler, mit nur vier Zahlen vor dem Komma begabt, die vorderste Zahl überhaupt nicht ausweist. Denkt man sich zum Zählerstand vorn noch eine Eins, so ist die Welt schon wieder in Ordnung. Wie gut, daß es keine höhere Zahl war. Und daß diese gedachte Eins ihre Berechtigung hat, auch das weisen die Überlandwerkler aus dicken Rechnungs- und Kontrollbüchern zweifelsfrei nach. Auch der dritte Zählerwert bei dem zunächst keine Übereinstimmung zwischen Zählerwert und Computerrechnung auftritt, wird auf entsprechende Nachfrage ebenfalls erklärt. Man braucht nur den einen ausgedruckten Zählerwert mit den anderen zu addieren, und schon stimmt die Rechnung.

Noch immer unverdrossen klopft der Stromkunde die Rechnung weiter auf Fehler ab, in der Hoffnung, den Endbetrag drücken zu können. Da findet er in der Endabrechnung eine Restforderung, und er fischt aus seinen Unterlagen den Nachweis, daß er diese Forderung längst bezahlt hat. Triumphierend eilt er erneut zum Überlandwerk wo ihm die Hoffnung jedoch mit dem Hinweis auf Buchungstechnisches somit hat alles seine Richtigkeit. Ein Sachverhalt, der sich aus der Rechnung zwar nur erahnen läßt, aber dennoch unverrückbar fest steht.

Nur noch ein müdes Rückzugsgefecht ist schließlich der letzte Versuch des Stromkunden Computerrechnung zu untergraben: runde zehn Mark, so findet er zum eigenen Nachteil heraus, hat der Computer zuwenig berechnet Der Stromverbraucher ist sogar bereit, seine Rechnung noch um diese zehn Mark klettern zu lassen, wenn ihm nur der Nachweis gelingt: Der Computer hat doch unrecht. Der Versuch scheitert. Die zehn Mark werden aufgestöbert. Sie gerieten in die Rechnung, als zu einem früheren Guthaben des Verbrauchers auch noch eine Mehrwertsteuer hinzugerechnet wurde (was nicht sein darf) und so das Guthaben wuchs. So oder ähnlich jedenfalls erklären es die fachkundigen Überlandwerkler in Neu-Ulm.

Da wirft der Stromverbraucher(...)lich zermürbt das Handtuch und bittet nur noch um eine Rechnung, die er, ausgestattet mit landesüblichem Inteligenzquotienten, auch verstehen könne. Er bekommt sie gereinigt von verwirrendem Beiwerk und vor allem: mit Schreibmaschine geschrieben. Geradezu menschlich sieht so eine Schreibmaschinenschrift aus, verglichen mit den eckigen Computerzeichen. Die annähernd zehn Mark übrigens, die dem Stromkunden ohne computerbelegten Rechtsanspruch gutgeschrieben wurden, die bleiben ihm weiterhin erhalten.

Fazit: Zwei Besuche beim Überlandwerk, intensive Informationsgespräche mit den Überlandwerkern - und das nagende Gefühl, knapp die Hälfte verstanden zu haben. Was aber macht das allseits bekannte alte Mütterlein, das die Rechnung ohnehin nicht versteht und vor Behörden und ähnlichen Institutionen sowieso eine gehörige Scheu hat? Es versteht nichts und bezahlt. Denn sonst wird schließlich der Strom abgestellt.

Welch ein deprimierendes Zeitalter, in dem ein leidlich vernunftbegabter Mensch Nachhilfeunterricht braucht um eine Rechnung wenigstens annähernd zu verstehen. Und ihm bleibt die Frage: Selbst wenn der Computer nicht irrt - was ist, wenn der Mensch irrt, der den Computer mit Zahlen füttert ?

Jürgen Volk ist Redakteur bei der Südwestppresse in Ulm; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

Unter dem Stichwort "So sehen es die anderen" wird CW - sonst auf DV-Insider-Probleme spezialisiert - künftig in unregelmäßiger Folge aufzeigen, wie DV-Einsatz gelegentlich auf Außenstehende wirkt.

In dieser Spalte sollen jene zu Wort kommen, die " nur" die Folgen der Datenverarbeitung zu spüren bekommen.