In der Fabrik von morgen ist Eigeninitiative gefragt

03.10.1986

Siemens AG, Zentralbereich Forschung und Technik, München

Welche Auswirkungen haben die Automatisierungskonzepte auf die Führung? Hier sind zunächst folgende Anforderungen zu nennen:

þFähigkeit und Bereitschaft, neue Erfahrungsbereiche aufzunehmen.

þErkennen neuer Zusammenhänge.

þGespür für das Machbare.

þMotivation der Mitarbeiter.

Wenn, nach einer Untersuchung des "Rationalisierungs-Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft" RKW von 1985, der Stand von CAM und die Integration der CAX-Bausteine in der Bundesrepublik gegenüber unseren Konkurrenten auf dem Weltmarkt kritisiert werden, so liegt dies - außer an fehlenden Instrumenten und dem Schnittstellenproblem - auch an der ungenügenden Bereitschaft von Führungskräften, sich mit neuen Erfahrungsbereichen zu beschäftigen, etwa mit der interaktiven Nutzung von DV als CAD-Workstations. Oftmals mangelt es auch an der Fähigkeit, in abteilungsübergreifenden Zusammenhängen zu denken; gerade beim Einsatz von CAX-Bausteinen liegt ein wesentlicher Teil ihres Nutzens nicht in ihrem unmittelbaren Einsatzbereich, sondern in vor- oder nachgelagerten Bereichen.

Eine wirkungsvolle Realisierung des Automatisierungskonzepts erfordert folgende Maßnahmen:

þPlanung der Personalstruktur;

þgezielte Aus- und Weiterbildung zur Erhöhung und Erweiterung der Mitarbeiter-Qualifikation;

þgewähren größerer Handlungsspielräume, um die Bereitschaft zur Verantwortung zu fordern;

þErhöhung der Motivation sowohl zur Akzeptanz der neuen Technologien als auch zur qualitätsmäßig einwandfreien Ausführung aller erforderlichen Arbeiten.

Die Bewältigung des Innovationsschubs in Konstruktion und Produktion erfordert von jedem Unternehmen eine systematische Einführungs- und Qualifizierungsstrategie und damit eine Planung der Personalstruktur. Wenigstens zwei Jahre im voraus soll dieser Prozeß beginnen.

In der automatisierten, kapitalintensiven Fabrik werden künftig mehr Mitarbeiter benötigt, die mitdenken und alles tun, um Produktionsunterbrechungen durch Störungen zu vermeiden, die ihre Fertigungseinrichtungen nach Möglichkeit selbst ausführen und damit den Materialfluß verbessern, die mit dem Rechner in den verschiedenen Ebenen kommunizieren können und schließlich ständig bemüht sind, die Qualität der Arbeit und der von ihnen hergestellten Produkte zu verbessern. Diese allgemein fachübergreifenden Fähigkeiten gewinnen neben den fachlichen Qualifikationen für die Beschäftigten in allen Bereichen mehr und mehr an Bedeutung. Damit ist auch ein Trend zu immer höherer Ausbildungsqualifikation verbunden. Das heißt nicht, daß alle industriellen Arbeitsplätze für Angelernte wegfallen, aber ihre Zahl wird sich doch erheblich reduzieren.

In zunehmendem Maße setzen sich Prozeßlinienkonzepte durch, welche die Aufbauorganisation tangieren und die bestehenden Aufgaben- und Verantwortungsstrukturen verändern. Davon ist in vielen Fällen auch die organisatorische Zuordnung der Mitarbeiter betroffen. Es ist Aufgabe der Führung dafür zu sorgen, daß Konflikte aufgrund der organisatorischen "Heimatlosigkeit " der Mitarbeiter vermieden werden.

Die Vorbereitung der Mitarbeiter auf neue Aufgaben durch rechtzeitige Information und Schulung sowie ihre Motivation hängen entscheidend vom praktizierten Führungsverhalten ab. Für die erfolgreiche Bewältigung des technologischen Wandels spielt die Akzeptanz, das heißt die Frage, ob die Menschen die Produkte und Technologien, die Abläufe und Arbeitsmittel, die in der Arbeitsumwelt ihren Einsatz finden, auch "annehmen" werden, eine große Rolle.

Mobilisieren der Leistungsbereitschaft und der Bereitschaft zur Eigenverantwortung erfordert zum Teil andere Arbeitsstrukturen und das Gewähren größerer Handlungsspielräume für die Mitarbeiter. Gerade die Komplexität heutiger Kontroll-, Überwachungs- und Instandhaltungsaufgaben erfordert das vollständige Einbeziehen der beruflichen und persönlichen Fähigkeiten der Mitarbeiter. Diese Fähigkeiten werden aber nur dann eingebracht, wenn Arbeitsinhalt, -ablauf und -organisation entsprechend gestaltet sind.

Der Erfolg eines Unternehmens wird immer mehr von der Qualifikation der Mitarbeiter bestimmt. Es kommt mehr denn je darauf an, schon bei der Auswahl neuer Mitarbeiter sicherzustellen, daß die Qualifikation und vor allem auch der Leistungswille den Anforderungen entspricht. Auswahlentscheidungen sind daher Investitionsentscheidungen.

In Zukunft wird die Wettbewerbsstärke der Industrie von der Realisierung flexibler Produktionssysteme, der Installation intelligenter DV-Systeme und deren Verknüpfung durch eine zielorientierte Logistik abhängen. Flexible Fertigungssysteme sind gekennzeichnet durch technische Innovation hohe Präzision und Kundenauftragsorientierung. Informationssysteme zeichnen sich aus durch anwendergerechte Benutzeroberflächen, schnellen und flexiblen Zugriff auf Daten, intelligente Algorithmen und durchgängige Vernetzung. Die zielorientierte Logistik stellt in den Vordergrund Fluß- statt Funktionsoptimierung, Gesamtkosten- statt Einzelkostenbetrachtungen und die Durchgängigkeit über die gesamte Pipeline.

Dies erfordert Investitionen in Maschinen, DV-Systeme und gut ausgebildete und leistungsbereite Fachkräfte sowie Veränderungen zu flußverstärkenden Organisationsstrukturen und - nicht zuletzt - zu einem Führungsstil, der die Eigeninitiative fördert.

Auszug aus dem Beitrag "Organisation und Führung in der Fabrik von morgen", com, Siemens-Magazin für Computer & Communications, 4/86.