In den Sperrmüll mit den Wänden zwischen den Abteilungen

05.04.1991

Viele Führungskräfte der Wirtschaft setzen darauf, daß der Einsatz moderner Computer- und Kommunikationssysteme künftige Unternehmenserfolge geradezu programmiere. Sie hoffen, die Elektronik werde dank ihrer Sachzwänge den betrieblichen Leistungsprozeß wie mit einer unsichtbarer Hand so verändern, daß er sich markt-, wettbewerbs- und zukunftsgerecht entwickelt. Das irrationale Motto lautet dabei offenbar: "Laßt dem Wunder seine Chance!"

Anders läßt sich jedenfalls kaum erklären, daß der weithin überfällige Abschied von unzeitgemäßen Denk- und Verhaltensschemata sowie überholten Macht- und Hierarchiemodellen nur sehr zögernd erfolgt. Warum soll man sich selbst den Boden unter den Füßen entziehen, wo sich doch das nächste Geschäftsjahr wohl in bewährtem Tritt und Trott überleben läßt?

Wer eine solche Einstellung pflegt, dürfte die massiven Umwälzungen dieses Jahrzehnts kaum erfolgreich bestehen - denn: Auch die besten Rechner und informationstechnischen Architekturen können ihre positive Wirkung auf Umsatz, Wachstum und Gewinn nur ausüben, wenn in der Aufbau- und Ablauforganisation tiefgreifende, flächendeckende und funktionsverknüpfende Umstrukturierungen vorgenommen werden.

Das Ziel muß dabei lauten, ein Zusammenspiel der Kräfte im wahrsten Sinn des Wortes und gemäß natürlichen Vorbildern freizusetzen: Künftig ist hochflexibles Agieren und Reagieren nach dem Just-in-Time-Prinzip gegenüber dem gesamten unternehmerischen Umfeld - vor allem auf den Beschaffungs- und Absatzmärkten - angesagt. Deshalb sollten Führungskräfte jeder Ebene die gleichen Formen einer allumfassenden Interaktion anstreben, wie sie zwischen den Zellen von Organismen vorzufinden sind. Wo das Management jedoch veralteten, insbesondere linearen Bewußtseinsmustern huldigt, dürften die Voraussetzungen für eine chancenorientierte - nämlich kybernetische und synergetische - Ausrichtung der betrieblichen Wertschöpfungskette kaum gegeben sein.

Konkreter gesagt: Längst sind voll ausgereifte Informationsnetze für den umfassenden Austausch von Daten, Fakten und Zahlen sowie die Steuerung des unternehmerischen Geschehens verfügbar. Doch zementierte - vornehmlich tayloristisch und autoritär bestimmte - "Tannenbaum"-Organigramme verhindern, daß die mit den neuen Technologien realisierbaren Steigerungen der betrieblichen Effizienz in der Praxis auch tatsächlich erzielt werden. Statt dessen entstehen Reibungsverluste, die unübersehbar ihren Niederschlag finden: in Software-Chaos, Kompetenz-Wirrwar, Anwendungsstau, Mitarbeiter-Frust und DV-Kostenexplosion. Diese Problematik wird gegenwärtig durch die gut florierende Konjunktur zwar beruhigend überlagert, doch sie mag um so stärker in späteren, vielleicht weniger wachstumsstarken Zeiten hervortreten.

Die Information als Erfolgsfaktor von heute und morgen läßt sich - um es auf den Punkt zu bringen - nicht mit der Mentalität von gestern zur angestrebten und vielfach verheißenen Entfaltung führen. "Structure follows energy", erklären Naturwissenschaftler seit langem. Mit anderen Worten: Erst wenn die Entscheidungsträger in vernetzten Prozessen denken und handeln, werden in ihren Unternehmen auch jene organisatorischen Umgestaltungen machbar sein, die alle Dimensionen der Daten-, Büro- und Nachrichtentechnik für anhaltenden Markterfolg und verstärkte Zukunftssicherung eröffnen.

Diese komplexere - und zweifellos auch anstrengendere - Art des Denkens bezieht vor allem Kreise, Schleifen und Rückkoppelungen in die Entscheidungsprozesse ein. Sie hat ihre wohl populärste Umsetzung in dem "Ökopoly" -Spiel des Kybernetik-Experten Frederic Vester gefunden: Bestmögliche Problemlösungen sind nur erreichbar, wenn alle auftretenden Wechselwirkungen in sich verändernden Systemen und deren Umfeld berücksichtigt werden.

Die organisatorische Umgestaltung, die dem vernetzten Denken folgen sollte, wird ins besondere auf den Abbau hierarchischer Gefüge und etablierter Sonderrechte abzielen müssen. Diese Art der Flurbereinigung mag in zahlreichen Fällen soweit gehen, daß man geradezu von einer "Umkehrung der Kompetenzpyramide" sprechen kann.

Was ist damit gemeint? Hauptsächlich dies: Es sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, damit sich Eigeninitiative und verantwortung der Mitarbeiter uneingeschränkt entfalten können. Wo dies der Fall ist, wächst auch die Motivation zu ständigem Lernen, zu flexibler Aufgabenerfüllung und zur

Identifikation mit übergeordneten Unternehmenszielen. Deshalb gilt es, Einzel- und Ressortegoismen zu bekämpfen und durch eine ganzheitlich ausgerichtete Geisteshaltung abzulösen. Inseln, Reservate oder Abteilungskartelle müssen selbstregulierenden Teams weichen, die sich in der Kooperation sowohl sinnvoll verwirklichen als auch der Unternehmenserfolg bewirken. Elektronische Netzwerke - dies wird nie anders sein - haben dabei die Funktion von Hilfsmitteln, die Wege verkürzen, Freiräume vergrößern und das Zusammenwirken erleichtern.

Soviel ist sicher: Keine Technologie kann die anstehende mentale und reale Erneuerung ersetzen. Und erst wenn die Trennwände zwischen den Abteilungen beim Sperrmüll gelandet sind, ist der Weg frei zu jenem Miteinander, das vernetztes Denken in praktisches Handeln umsetzt.