IT in der Touristik

Immer mehr Services auch online verfügbar

06.03.1998

Der Deutsche Reisebüro-Verband, Vertreter von knapp 5000 Reiseunternehmen, forciert die Anbindung ans Netz. Wolfgang Schambach, Präsident des Verbandes, sieht die Gefahren, die durch branchenfremde Anbieter auftauchen, und betrachtet es als "eine der vornehmsten Aufgaben, Mitglieder aufzufordern, mitzumachen". Mittels Schulungen sollen die Reisebüros lernen, das Internet zu nutzen, denn es wird "für Werbung und Vertrieb eine sehr, sehr große Rolle spielen. Wenn bei einem Wachstum zwischen minus einem und plus einem Prozent nur ein bis zwei Prozent in die Online-Schiene abwandern, tut das weh."

Zwar braucht der Buchende noch das Reisebüro. Doch der Reisende, der weiß, was er will, und der Vielflieger nutzt oft lieber das Internet als das Buchungssystem "Start", mit dem viele Reisebüros und -veranstalter arbeiten. Unter www.start. de bietet es bisher Last-Minute-Tickets, Linienflüge und Eintrittskarten an. Das innerdeutsche Lufthansa-(LH-)Geschäft rechnet sich für ein unabhängiges Reisebüro bei einer Provision von fünf Prozent eh nicht mehr. Wegschicken kann der Mittler den Kunden allerdings nicht, er könnte ja das nächste Mal eine lange Reise wollen, deren Bausteine zu schwierig oder noch nicht im Internet zu finden sind.

Hier sieht Herbert Meishammer, Inhaber zweier Reisebüros in München, seine Chance. Obgleich er allein für den als Teil von Start angebotenen Siemens-Nixdorf-Ticket-Drucker rund 300 Mark Miete monatlich hinblättern muß, stattet er seine Arbeitsplätze mit neuen Rechnern aus. Er sieht augenblicklich die größte Gefahr nicht in der Online-Buchung, sondern in der Abwanderung von Firmen zu Ketten, die aufgrund hoher Umsätze bessere Konditionen bieten können als er. Die ihm treue Klientel setzt sich je hälftig aus individualreisenden Privatkunden und Firmenkunden zusammen, die er mit Spezialwissen und Schnelligkeit bei der Stange halten will.

Reisebuchungen sind ohne das Computer Reservation System (CRS) nicht mehr denkbar. Marktführer in Deutschland ist die Start Holding, zu zwei Dritteln im Besitz der LH, ein Drittel hält die Deutsche Bahn (DB). Kunden sind rund 15000 Reisebüros, die über etwa 38000 Terminals mit Start vernetzt sind. In den internationalen Markt kommt das Reisebüro durch eine Allianz zwischen Start und Amadeus. Galileo, der Mitbewerber, schafft die Verbindung von rund 34000 Reisebüros in 67 Ländern mit mehr als 125000 Workstations. Etwas kleiner ist Sabre mit 26000 Reisebüros und 100000 Endgeräten.

Das Internet als neue Verbindungsschiene

Als erster nutzte Sabre das Internet als neue Vertriebsschiene. Vor allem auf dem amerikanischen Markt bedient die Firma auch den Endverbraucher. Mehr als drei Millionen Kunden sind dort registriert. Auf Sabre greift das Heilbronner Travel Information Software System (T.I.S.S) (login.tiss. com/tis/tiss-de.htm) zu. Herzstück ist eine Datenbank mit mehr als 40 Millionen Flugtarifen, geliefert von 32 Ticket-Großhändlern aus 21 Ländern. Die Tickets werden im Land des Abflugs von einem dort ansässigen Mittler ausgestellt, in Deutschland von zwei Tickethändlern. Bezahlt wird in 120 Währungen mit Kreditkarte oder per Rechnung. Die 50 Millionen Menschen, die jährlich von Deutschland aus fliegen, nutzen die Online-Buchung erst zögerlich; 60 Prozent der Tickets verkauft T.I.S.S. in den USA. Im Schnitt führen bei rund 10000 Anfragen täglich ein bis zwei Prozent zu einer Buchung.

Rudi Weissmann, Gründer des Heilbronner Zwei-Personen-Unternehmens, entwickelte sein System mit Unterstützung von IBM und stellte "mit Freude fest, daß es Graumarkt-Tickets in allen Tarifgruppen gibt. Auch über scheinbar feste Preise kann man durchaus verhandeln." Mehr deutsche Kunden erhofft er sich aus dem Mittelstand.

"Ein kleiner Unternehmer rechnet. Wenn ich ihm einen Flug bieten kann, der vielleicht zwei Stunden später geht, aber 1000 Mark billiger ist, freuen sich beide", so Weissmann. Zur Zeit verhandelt er mit zwei Fluggesellschaften, die über T.I.S.S. gebuchte Tickets direkt ausstellen sollen. Doch das Ticket von München nach Palermo, das wir suchen, hat er nicht.

Europas größter Restplatzverkäufer L'Tur aus Baden-Baden machte Anfang des Jahres einen Deal mit der Lufthansa. Drei bis sieben Tage vor Abflug gibt es Pauschal-Arrangements der LH zu Schleuderpreisen. In die Werbung sollen 13 Millionen Mark investiert werden. Doch via Internet kommen bisher nur AOL- und T-Online-Kunden an die für dieses Jahr geplanten 100000 Billigreisen.

Hinter "Lastminute" (lastminute.de) verbirgt sich die Cinetic Medientechnik, ein Internet-Dienstleister, der nicht aus dem Reisebüro-Umfeld kommt und Restplätze an deutsche Pauschaltouristen verhökert. Matthias Greve, Geschäftsführer des Karlsruher Unternehmens, baut damit Web.de aus, einen von ihm kreierten Suchdienst. Seit Mitte 1997 verkauft er über www.flug.de 30 bis 40 Tickets pro Woche an bis zu 4000 Anfrager. Ein Reisebüro wickelt die Zustellung beziehungsweise Hinterlegung der Tickets ab. Aber auch hier findet sich keine Maschine nach Palermo.

Wer alles rund um die Reise haben will, findet bei Focus (www.focus.de/R/r. htm), der Internet-Plattform der Burda Holding, ein vielfältiges Rahmenprogramm. Focus bietet Links zu Traxxx, dem Reisedienst mit Flügen von Amadeus und von Travel Club, zu Hotels und Mietwagenfirmen sowie den Pauschalreisen des Veranstalters Derpart.

Günther Insam, Inhaber von Travel Club (www.traxxx. de/travelclub/), war Ticket-Großhändler, machte seine Geschäfte im Graumarkt-Bereich. Doch mittlerweile bieten Charter-Gesellschaften die früher viel teureren Linienflüge zum Billigtarif. Der Münchner hat sich ganz auf das Online-Geschäft verlegt und eine Software speziell für das Internet entwickelt. Rund 160000 Anfragen kommen im Monat; an einem Tag werden bis zu 20 Tickets geordert. Bisher auf Sabre zu- rückgreifend, sind Schnittstellen zu Galileo und Start/Amadeus in Vorbereitung. Hier werden uns zum gesuchten Termin neun Flüge nach Palermo zwischen 592 und 2505 Mark vorgeschlagen.

Seit Februar bietet Travel Club "Hotoffers". Mit diesem Begriff umgeht der Bayer die Auflagen für Last-Minute-Reisen, die erst ab 14 Tage vor Antritt so heißen dürfen. Damit bemüht er sich um die Klientel, die auf bestimmte Termine wie Ferien oder Firmenurlaub angewiesen ist. Bisher bot kein virtuelles Büro sämtliche Reisen von TUI, Neckermann und Frosch & Co. Lediglich über die Site des jeweiligen Veranstalters oder eines mit ihm kooperierenden Internet-Anbieters ließen sich online Informationen abfragen, mitunter auch buchen. Bei Travel Club kann der Kunde jetzt aus 300000 Pauschalreisen wählen.

Die von Traxxx aufgeführten 22000 deutschen Hotels sind zum Großteil nicht online erreichbar, von den 328 Münchnern nur fünf. Als internationaler Hotelanbieter hat sich der Kölner Hotel Reservation Service (www.hrs.de) etabliert. Hat die Unterkunft keinen Internet-Zugang, wird über Fax korrespondiert. Über eine einfach zu bedienende Suchmaske gibt der Reisende seinen Wunsch ein. Den Preis kann er sich in der Heimat- oder der entsprechenden Fremdwährung angeben lassen. Bezahlt wird vor Ort.

Bisher braucht jeder deutsche Onliner nach wie vor ein Reisebüro. In den USA macht Microsoft mit Expedia (expedia.msn. com) vor, wohin die Online-Reise geht. Seit Oktober 1996 im Netz, setzt der Dienst heute pro Woche mit Flug-, Hotel- und Mietwagen-Buchungen etwa zwei Millionen Dollar um, Ende des Jahres voraussichtlich das Doppelte. Manch deutsches Reisebüro erreicht diese Zahl nicht einmal in einem Jahr. Jupiter Communications schätzte zum Start von Expedia, daß im Jahre 2000 im Online-Reisegeschäft allein in den USA rund drei Milliarden Dollar die Seite wechseln.

Die mobilen Nordamerikaner kaufen Flugtickets wie Busfahrscheine. Das liegt zwar auch an den größeren Entfernungen, doch die Internet-Nutzung nimmt auch bei uns zu. Niemand verbietet beispielsweise Bertelsmann, liiert mit AOL, mit einem Buchungsprodukt auf den Online-Markt zu kommen. Expedia ist nicht einfach übersetzbar, doch Microsoft will Ende des Jahres mit der deutschen Version starten, inklusive der Angebote der Pauschalreiseveranstalter.

Die touristische All-Round-Information, die Expedia von Anbeginn anbot, findet man bei Focus (www.focus.de) und Traxxx. Cinetic will ähnliches für Flug.de und lastminute.de in einer Kooperation mit dem Verlag Das Beste realisieren. Ziel ist laut Greve ein "Rahmenprogramm mit hoher Qualität zur virtuellen Kundenbindung". Der Travel Club begnügt sich mit einer sehr umfangreichen Linksammlung zu Veranstaltungen, Diskussionsgruppen, Literatur und Wetter, zu Städten und Regionen.

Auch ein Straßenatlas ist geplant. Neueste Informationen kann der Kunde abonnieren. Expedia geht noch einen Schritt weiter und liefert auf das Profil des Users zugeschnittene Nachrichten.

Wie weit die Zusammenarbeit zwischen SNI und Start gediehen ist, zeigt sich am Start-Partner Net. Vom Design über die Software bis zur Hardware liefern die Münchner alles für die Anbindung der Reisebüros ans Internet. Der Link zum Mitspieler DB führte jedoch Mitte Februar ins Leere. Hier zeigt sich, wie so oft im Internet: Nur eine gepflegte Datenbank führt zum Erfolg.

Gebucht wird bei Start über eines von rund 900 Reisebüros, das heißt, erst etwa sechs Prozent derer, die Start nutzen, haben einen Internet-Anschluß. Frag-lich ist, ob sich ein Mittelständler das Start-Angebot leisten kann, oder ob er zur "Bombe" greift, die der Travel Club auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin (7. - 11. März) "plat- zen lassen will". Er bietet seine Software Ires (Internet Reservierungs System) zu Preisen an, "die deutlich unter denen von Start liegen".

Wo bettet der Geschäftskunde sein müdes Haupt? Ihn interessieren weder der Jugendflugtarif noch der Wickelraum, sondern die Ermäßigung ab 60 Jahren sowie Fax- und Internet-Anschluß im Hotel oder die ISDN-Dose für den Laptop. Nach diesen Kriterien auszuwählen ist bei den von uns angeklickten Flug- beziehungsweise Hotelvermittlern nicht möglich.

In vielen Firmen ist die Buchung von Reisen zu teuer. Siemens-Nixdorf ersann für den Siemens-Konzern eine Komplettlösung zur Online-Buchung. Mit "Scenic Interactive Travel" kann der Mitarbeiter von seinem PC aus Flüge, Hotels und Mietwagen, bei Start/Amadeus online buchen. Er begleicht die Reise mit einer von IBM in Zusammenarbeit mit American Express entwickelten Firmenkreditkarte. Die Tickets kann jedes an Start/Amadeus angeschlossene Online-Reisebüro liefern. Im April soll die Anbindung an das Reservierungssystem der DB erfolgen.

Ein ausgefeiltes System von Zusatzfunktionen läßt jede denkbare firmeninterne Verarbeitung der Daten über ein Intranet zu. Michael Kassner, Leiter des Geschäftsbereiches Verkehr in Frankfurt, hebt besonders die mit der Software mögliche Kostenkontrolle hervor: "Wir sind in einer Win-Win-Situation - der eine verdient, der andere spart." SNI führt heuer das System, plaziert neben der LH, auf der Touristik-Messe ITB in Berlin vor. Auf der CeBIT ist es nicht zu sehen, denn Kassner fühlt sich "branchenverpflichtet". Bei Redaktionsschluß stand der Anbieter in puncto Vermarktung in Gesprächen mit Reisebüroketten und Großkonzernen der deutschen Industrie.

Die Reise-Prozeß-Kosten beziffert die Lufthansa auf sieben Prozent des mehr als fünf Milliarden Mark umfassenden jährlichen Firmenreisemarktes. Ab Mitte des Jahres soll ihr "PC Reiseplaner" zur Verfügung stehen, ein in Intranets von jedem Mitarbeiter bedienbares Online-System, das die Prozeßkosten um mehr als 30 Prozent senken soll.

Doch so schön Online-Systeme für Reisebüros oder den Geschäftsverkehr auch sein mögen, eines bleibt dem Reisenden nicht erspart: das Sammeln der Belege für die Buchhaltung. Denn das Finanzamt verlangt immer noch die Originalquittung für den Regenschirm in London und die Blumen in New York.

Aussichten

Bisher braucht jeder deutsche "Onliner", der am Bildschirm eine Reise buchen will, immer noch ein Reisebüro zum Beispiel zum Bezahlen. Doch nimmt die hohe Anzahl der Online-Services, die dem PC-Besitzer ja auch via Internet zugänglich sind, den Reisevermittlern langsam, aber sicher etliche Kunden ab. Das Buchungsgeschäft steht vor einem Umbruch.

Expedia, der Reisedienst von Microsoft, enthält das umfassendste Angebot für Nordamerika bis hin zur Adreßfindung und detailliertem Straßenplan. Online-Flüge, Hotels, Schiffe, Eintrittskarten etc. buchen können bisher jedoch nur US-Amerikaner und Kanadier. Neun Monate haben deutsche Reisevermittler noch Zeit, mit neuen Ideen Kunden zu gewinnen und zu binden. Microsoft bedient sich des Systems Worldspan, mit dem auch Cinetic zusammenarbeitet.

*Gerda von Radetzky ist freie Journalistin in München.