Kolumne

"Immer dahin, wo's wehtut"

06.06.2003
Christoph Witte Chefredakteur CW

Handelt es sich um ein Symbol oder sogar um ein Menetekel für ein mögliches Ende der Microsoft-Dominanz? Obwohl München als erste Großstadt seine 14 000 PCs und Office-Umgebungen mit Hilfe der Nürnberger Suse AG nebst Schützenhilfe der IBM auf Linux migrieren will, ist es für einen Abgesang auf Microsofts Monopol natürlich viel zu früh.

Dennoch haben Rathaus-SPD und Oberbürgermeister Christian Ude Microsoft an einer empfindlichen Stelle getroffen. Verliert es damit doch schon zum zweiten Mal eine imageträchtige Ausschreibung gegen Linux. Die erste Schlappe erlitt das Unternehmen im Kampf um die Server des Deutschen Bundestages. Entschied sich das Parlament noch diplomatisch für eine Doppelstrategie - Linux auf dem Server, XP auf dem Desktop - gehen die Münchner rigoroser vor. Obwohl sie noch gar nicht genau wissen, welche konkreten Anforderungen von den Fachreferaten an das neue System gestellt werden, haben sie sich auf die Open-Source-Variante festgelegt. Ebenso erstaunlich ist übrigens, dass die beiden Anbieter ohne ein exaktes Pflichtenheft einen genauen Preis für ihre Offerten nennen konnten.

Natürlich werden sich viele Bürgermeister und Behördenleiter ein Beispiel an der Münchner Entscheidung und vor allem am Verhandlungsgeschick der Stadt nehmen. Der Budgetdruck auf die Verwaltungen ist viel zu groß geworden, als dass sie sich die Kungelrunden früherer Jahre noch leisten könnten, die auf dem Prinzip der "Gegenseitigkeit" basierten. Insofern hat die Entscheidung für Linux Signalcharakter. Sie wird für Microsoft einige schon sicher geglaubte Verträge mit der öffentlichen Hand wieder in Frage stellen. Auch andere Anbieter, die Geschäfte mit dieser Kundschaft machen wollen, sollten sich unbedingt merken, dass dort keine Traummargen mehr zu erzielen sind.

Aber es geht nicht nur ums Geld. Microsoft ist Opfer seiner eigenen Anstrengungen geworden. Weil CEO Steve Ballmer extra nach München kam, weil ein preiswerteres Angebot nachgereicht wurde und weil die Öffentlichkeit so großen Anteil an der Ausschreibung nahm, entschied sich der Stadtrat politisch gegen Microsoft. Es galt unter allen Umständen den Eindruck zu vermeiden, dass Microsoft den Stadtrat eingewickelt hat. Mit den Folgen der Entscheidung müssen nun beide Parteien leben.

Ob sich das Votum für Linux langfristig für die IT und die Bürger der Stadt positiv auswirkt, lässt sich aus heutiger Sicht nur schwer beurteilen. Allein weil etwas offen ist, ist es weder automatisch funktional ausreichend noch bedienerfreundlich. Das werden erst die Implementierungen zeigen. Nur wenn alle 14000 PCs der Stadt reibungslos laufen, hat Linux in der öffentlichen Hand mehr gewonnen als eine Schlacht.

Bis dahin bleibt Microsoft-Geschäftsführer Jürgen Gallmann zumindest ein Trost: Die Niederlage muss er nicht allein tragen. Sein Boss Steve Ballmer hat es schließlich auch nicht geschafft, die Münchner auf Microsoft-Kurs zu trimmen.