Buchtipp: Perspektivwechsel im IT Service Management

Immer Ärger mit dem IT Service Desk

13.11.2015
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Mist, der Laptop ist kaputt. Wir müssen den IT-Service-Desk anrufen. Wird er uns helfen? Kommt drauf an, wie groß das Problem ist, wer sich verantwortlich fühlt, was vereinbart wurde… Literatur über das IT Service Management (ITSM) gibt es reichlich, unterhaltsam ist sie selten. "Perspektivwechsel im IT Service Management" ist eine Ausnahme.

Was haben sich die Herausgeber Peter Bergmann und Dierk Söllner gedacht, als sie Autoren aus unterschiedlichsten Marktbereichen (Anwender, Berater, Provider, Manager…) zusammentrommelten, um gemeinsam einen etwas anderen Blick auf das Dauerthema ITSM zu richten? Im IT-Service-Management liegt vieles im Argen, zu viele Menschen stecken im Hamsterrad und nehmen sich nicht die Zeit, einmal von außen zu schauen, was sie hier eigentlich tun.

Perspektivwechsel im IT Service Management von Peter Bergmann und Dierk Söllner.
Perspektivwechsel im IT Service Management von Peter Bergmann und Dierk Söllner.
Foto: itSMF

Die Autoren in diesem durchweg unterhaltsamen, manchmal direkt zu Lachanfällen reizenden Buch, reden keinem grundsätzlichen Richtungswechsel das Wort. "Die Ziele des ITSM bleiben bestehen: Versorgung der Kunden und Anwender mit bedarfsgerechten Services, eine moderne und marktorientierte IT-Organisation mit strukturierten Prozessen und einer Serviceorientierung jedes einzelnen Mitarbeiters", heißt es in der Einleitung. Doch wie weit die tägliche Arbeit davon oftmals entfernt ist und wie sich Helpdesks und Servicemanager selbst ein Bein stellen, das zeigen die vielen oft lustigen Beispiele und Vergleiche im Buch.

Wie professionell ist doch die Autowerkstatt

Nehmen wir, um das Konzept des Buchs zu veranschaulichen, Kapitel 3.5 - verfasst vom ITSM-Experten Thomas Pröpper. Der Autor vergleicht seine Erlebnisse in einer Autowerkstatt, in die er sein Fahrzeug zur Reparatur gibt, mit denen beim IT Service Desk in seinem Unternehmen, wo er seinen regelmäßig abstürzenden Laptop gecheckt haben möchte. Während der Kunde im Autohaus von der gute gelaunten Assistentin mit einem Kaffee begrüßt wird und seine Probleme loswerden kann, hat er es beim Service Desk, der gerade erst ins Ausland verlagert wurde, zunächst einmal mit einer Bandansage zu tun: "Für Fragen zu Ihren Tickets, wählen Sie bitte die Eins. Für die Meldung neuer Störungen, wählen Sie bitte die Zwei…"

Schließlich erwischt er einen jungen Mann, der aber mit dem Versuch einer Ferndiagnose schnell an seine Grenzen stößt. "Ich werde einen Field-Service-Mitarbeiter zu Ihnen senden. Er wird sich bei Ihnen melden und einen Termin mit Ihnen vereinbaren. In der Regel dauert das so ein bis zwei Tage." Obwohl die IT im eigenen Hause sitzt, kann leider kein Ersatzgerät gestellt werden, denn, so der Help-Desk-Mitarbeiter: "Der Field Service wird von einem anderen externen Unternehmen durchgeführt. Das macht die IT nicht mehr. Ersatzgeräte gibt es auch keine mehr. Aus Kostengründen!"

"Please contact our IT Service Desk"

Dass trotzdem alles in bester Ordnung ist, signalisiert eine Bestätigungsnachricht aus dem IT Ticket System: "Confirmation receipt of you IMAP:1000034544P; Dear Ms./Mr. Proepper, your IMAP with the topic 'Laptop crashes' has been opened and will be processed as soon as possible'. 'If you have any questions, please contact our IT Service Desk'".

Der Autor treibt den Vergleich der beiden Servicewelten immer weiter auf die Spitze: Im Autohaus darf er sich - kompetent beraten von einem Verkäufer - in aller Ruhe neue Modelle ansehen, während der Werkstattmeister eine erste Analyse am kaputten Fahrzeug vornimmt und ihm dann erklärt, dass ein wichtiges elektronisches Bauteil in der Motorsteuerung defekt sei und ausgetauscht werden müsse. Das Steuergerät sei nicht auf Lager, könne aber binnen 24 Stunden besorgt und eingebaut werden. Dafür werde man 1,8 Stunden brauchen. Die Kosten beliefen sich auf 335,35 Euro, man könne aber noch zusätzlich die überfällige Inspektion übernehmen (486 Euro), so dass sich die Gesamtkosten auf 821,35 Euro beliefen. Der Auftrag wird übermorgen erledigt, bis dahin bekommt der Kunde ein Leihfahrzeug gestellt.

Und wie steht es um den defekten Rechner? Es meldet sich ein Mitarbeiter von den "Laptop Doktoren", einem mit dem Field-Service beauftragten Unternehmen. Um 14 Uhr spaziert er gut gelaunt ins Büro - im Blaumann und mit Köfferchen in der Hand. Er startet den Laptop, prüft die BIOS-Version und sagt: "Ich hoffe, es ist nichts an der Hardware. Dann müsste ich den Laptop mitnehmen. Wenn ein Softwaredefekt vorliegt, muss ich den Laptop an die Truppe von der Softwareinstallation und Verteilung weitergeben. Das macht dann eine andere Firma. Wenn was mit dem SAP-System ist, dann macht das Ihr IT-interner Second Level Support."

Für jedes Problem ist ein anderer zuständig

Der Kunde versteht: Für jeden Fehler gibt es einen anderen Bearbeiter. Neugierig fragt er: "Sagen Sie mal bitte, was kosten denn diese Arbeiten unserer Kostenstelle und wie lange benötigen Sie dafür? "Keine Ahnung", lautet die Antwort, für eine Neuinstallation des Rechners berechne seine Firma 135 Euro und benötige maximal zwei Tage - "aber nur auf den originalen Auslieferungszustand". Die Software, die nachträglich installiert wurde, muss der Anwender wieder neu aufspielen lassen. Mit den zwei Tagen sei seine Firma übrigens viel schneller als vorher die interne IT. Er nimmt den Rechner schließlich mit, um das veraltete BIOS upzudaten und einen 24-Stunden-Dauertest vorzunehmen. Und dann sagt er den verhängnisvollen Satz: "Wenn er dann nicht abstürzt, dann ist - in meinem Aufgabenbereich - alles in Ordnung."

Und so spitzt sich in dem Kapitel des Buchs der Vergleich zwischen den Servicementalitäten eines über Jahrzehnte erfahrenen Autohauses und eines von Auslagerung, Sparzwängen und Bürokratie gelähmten IT-Service-Desks immer weiter zu. Der Autor bilanziert schließlich, dass beide Seiten das Problem am Ende gelöst hätten, die Eindrücke aber grundverschieden ausgefallen seien. "Das Autohaus: Es umwirbt mich. Begrüßung, Freundlichkeit und Aufmerksamkeit stimmen. Erzeugt ein persönliches Wohlbefinden. Ich rufe dort gerne an, fühle mich persönlich bedient und auch ernst genommen. Man kennt sich, alles wirkt vertraut…"

Kein Ersatzgerät, kein vernünftiges Arbeiten

Zu den Erlebnissen mit dem IT Service Desk schriebt der Autor bissig: "Operation gelungen, Patient tot. Ja, mein Laptop läuft wieder. Zum Glück. Aber nach den Erlebnissen habe ich eher Angst. Angst., dass mal etwas kaputt gehen könnte, was der Techniker nicht gleich beheben kann." Der Service Desk habe zwar bemüht gewirkt, aber eben auch fremd und unpersönlich. Der Kunde fühlte sich "mit Standardfragen aus dem Computer bedient" und war froh, als das Gespräch beendet war. Der Techniker aus dem Field Service - ein typischer Handwerker. "Was mich sehr ärgert: ich bekomme kein Ersatzgerät. Im Falle eines Defekts habe ich massive Auswirkungen auf meinen Arbeitsalltag. Im schlimmsten Falle über einige Tage hinweg. Hier spart man sicherlich am falschen Ende."

Die Kosten der Reparatur bleiben dem Anwender verborgen. Für die anstehende Reparaturzeit bekommt er keine verlässliche Auskunft. Und von der internen IT-Abteilung ist in dem gesamten Vorgang nichts zu sehen: "Sie lässt sich beim Kunden vertreten, überlässt den Kontakt zum Kunden den Mitarbeitern externer Dienstleister."

Fazit

Autor Pröpper zieht das Fazit, dass die IT noch immer die gleiche ist wie vor 20 Jahren sei. Daran änderten auch ein vorgeschalteter Service-Desk und ein paar Außendienstler nicht. Sie wirke "fremd und überfordert". Der Autor kritisiert mit Blick auf den Service Desk: "Liebe IT, das ist dein Aushängeschild zu Deinen Kunden. Und dafür setzt Du Berufsanfänger und Handwerker ein? Da sagt ja schon mein gesunder Menschenverstand, dass so kein Gefühl von freundlicher Betreuung aufkommt. Und ohne Ersatzgeräte, planbare Ausfallzeiten und Kosten bestellt man heute wohl nur noch bei der IT. Kein Kunde würde bei einem Autohaus eine Reparatur beauftragen, ohne deren Kosten und Dauer zu kennen."

Am Ende sei die IT-Industrie im Vergleich zur Autobranche immer noch jung und unerfahren. Eine "bereichsübergreifende Planung, Messung, Taktung und Abstimmung der Aktivitäten der Einzelbereiche in der IT, um darauf basierend planbare und verlässliche Services anbieten zu können, gebe es nicht. Stattdessen herrsche Hoheitsdenken einzelner Bereiche wie Einkauf, IT-Infrastruktur, ERP, Supply Chain, FI/CO, HR und CRM vor. "Eine Konventionalstrafe zu Lasten der IT bei nicht ordnungsgemäßer Bereitstellung oder Störung von IT-Services kann hier sicher ein Umdenken bewirken", meint Pröpper.

Er kritisiert, dass viele IT-Abteilungen sich noch immer nicht in der Konkurrenz zu externen Dienstleistern sähen. Dieser Schein trüge. Man könne sich nicht mehr auf der Rolle des Alleinlieferanten ausruhen. Mit dem "Welpenschutz" für die noch junge IT-Disziplin sei es nun vorbei. (hv)