Computer Based Training wartet immer noch auf den Durchbruch

Im Schneckentempo auf dem Weg zum Einsatz in der Praxis

30.11.1990

Das Angebot von Produkten für computerunterstütztes Training wächst stetig. Doch wo bleiben die Kunden? Welches größere Unternehmen ist schon über ein Pilotprojekt hinausgekommen und setzt computerunterstützten Unterricht wirklich standardmäßig im Aus- oder Weiterbildungsbereich ein? Welcher Anbieter von derartigen Produkten kann von guten Geschäften berichten? Thomas Wilkens* beleuchtet die aktuelle Szene und wagt eine Prognose.

Obwohl heute kaum ein größeres Unternehmen auch nur ein Prozent des gesamten Bildungsvolumens mit rechnerunterstützten Lernprogrammen bewältigt, lassen sich doch eine Reihe von Fortschritten gegenüber der Marktsituation von vor drei bis vier Jahren feststellen. Während sich noch 1986/87 kaum jemand etwas unter Computer Based Training (CBT) vorstellen konnte, gibt es heute in fast jedem größeren Unternehmen Ansprechpartner oder Koordinatoren für diesen Bereich. Darüber hinaus haben heute einige Betriebe erste Erfahrungen mit Pilotprojekten gesammelt, und es gibt fast zu allen DV-Themen, zu einigen allgemeinen betriebswirtschaftlichen Themen und zum Thema "Sprachen" Standardprodukte.

Während vor Jahren noch CBT von "Experten" als Ersatz für Seminare angepriesen wurde, (pädagogische) Autorensysteme als Lösung vieler Ausbildungsprobleme galten und einige Trainer schon den Verlust ihres Jobs befürchteten, nimmt man heute eine beinahe vorsichtige Haltung gegenüber dem computerunterstützten Unterricht ein.

Zu intensive Beschäftigung mit technischen Fragen

Wie sieht aber heute die Situation in Unternehmen in bezug auf diese Trainingsform konkret aus? Eindrücke von CBT-Präsentationen in größeren Unternehmen lassen folgende Feststellungen zu:

1) Die Ansprechpartner befinden sich in den unterschiedlichsten Abteilungen, sei es in der DV, in Benutzerservice, Fortbildung, Organisation, Personalentwicklung oder Fachabteilungen.

2) Der Anlaß für die Einladung zu einer Präsentation ist selten ein aktuelles Problem, bei dem man an den Einsatz dieses Lernmediums denkt, sondern meistens ein ganz allgemeines Bedürfnis nach Information.

3) Wenn man Über Nutzen beziehungsweise Vorteile des Rechnereinsatzes im Unterricht spricht, treten quantitative Argumente wie Kosteneinsparungen oder weniger Produktivitätsausfall in den Vordergrund, während qualitative Argumente wie selbstgesteuertes Lernen, Lernzielorientierung und bessere Methode kaum genannt werden.

4) Die in den Unternehmen für CBT Verantwortlichen beschäftigen sich sehr intensiv mit technischen Fragen (PC oder Host, EGA oder VGA, Autorensystem oder -sprache) und vergleichen manchmal jahrelang Autorensysteme, während die eigentlichen Probleme verkannt oder verdrängt werden. Organisatorische Einbettung, Integration des CBT-Einsatzes in ein umfassendes Aus- und Fortbildungskonzept, Motivation von Mitarbeitern zum selbständigen Lernen, Bedarfsanalysen, solche wichtigen Fragen bleiben oft ungeklärt.

5) Die Akzeptanz und der Erfolg von maßgeschneiderten, individuellen Produkten zu umfassenden betrieblichen Bildungsmaßnahmen sind in der Regel sehr hoch, während dies beim Einsatz von Standardprodukten nicht immer der Fall ist.

Was ist aber wichtig, wenn ein Unternehmen computerunterstütztes Lernen als zusätzliche Methode in der Aus- und Weiterbildung nutzen möchte? Verantwortliche sollten folgende Punkte beachten:

- Problemorientiertes Vorgehen: Die allgemeine Orientierungsphase über Möglichkeiten und Grenzen, Vor- und Nachteile sollte möglichst kurz sein. Viele Aspekte wie Kosten, Umfang des Einsatzes, Ersatz oder Ergänzung des Seminars und geeignete Entwicklungswerkzeuge lassen sich erst vor dem Hintergrund eines konkreten Themas und einer konkreten Zielgruppe analysieren. Beispiele für dankbare erste Themen sind etwa die "Benutzerschulung für ein neues DV-Anwendungssystem", die "Einführung eines neuen Produkts" oder auch ein Grundlagenthema wie "Steuern", "Recht", "Grundbuch" oder ähnliches. Es sollte sich um ein Thema mit überwiegend kognitiven Lernzielen handeln. Innerhalb von etwa drei Jahren sollten mindestens 300 Personen unterrichtet werden.

Ganz am Anfang der CBT-Entwicklung muß dann eine detaillierte Zielgruppen- und Lernzielanalyse stehen, vergleichbar einem Anforderungskatalog oder Pflichtenheft aus der Systementwicklung. Erst danach lassen sich Wirtschaftlichkeitsberechnungen vornehmen, die richtigen Entwicklungswerkzeuge auswählen und eine Einsatzkonzeption für das Lernprogramm entwickeln.

- Lernzielorientiertes Vorgehen: Das zu vermittelnde Thema ist in Richt-, Haupt- und operationalisierte Fein-Lernziele zu zerlegen. Wenn es beispielsweise um die Benutzerschulung für ein DV-Anwendungssystem geht, sind mögliche Richt-Lernziele:

a) Überblick über Stellung des Systems im Gesamtsystem gewinnen;

b) Bedeutung des Systems für das Unternehmen und für die eigene Tätigkeit kennen;

c) das System DV-technisch selbständig nutzen können;

d) das System praktisch am Arbeitsplatz als Werkzeug verwenden können.

Nach Analyse aller Lernziele läßt sich abschätzen, welche mit interaktiven Lernmodulen, welche durch schriftliches Selbststudienmaterial (Begleitheft) und welche durch Seminar oder Workshop vermittelt werden sollten.

Eine Großbank hat in diesem Jahr zum Beispiel ein neues DV-Anwendungssystem für weit über 1000 Mitarbeiter eingeführt, in dem interaktive Lernmodule von 90 Minuten Umfang kombiniert mit einem halbtägigen Workshop zum Einsatz kamen. Ähnliche Systeme wurden in der Vergangenheit mit einem dreitägigen Seminar vorgestellt.

CBT kann nicht von einem Sachbearbeiter in einer DV-Abteilung oder Fortbildungsabteilung allein eingeführt werden. Die Methode braucht Fürsprecher im obersten Management. Nach einer nicht zu langen Orientierungsphase sollte deshalb auf jeden Fall eine Entscheidungsvorlage für das Management erfolgen, aufgrund der die Führung Ressourcen für ein erstes Projekt genehmigt.

Es empfiehlt sich auch dringend, alle relevanten Gruppen im Unternehmen wie die DV- und Fortbildungsabteilung, Fachabteilungen, dezentrale

Führungskräfte und auch den Betriebsrat bei der Einführung einzubeziehen.

FCBIT scheitert oft an der Organisation

Es gibt Beispiele von sehr guten rechnerunterstützten Entwicklungen, die nie zum breiten Einsatz gekommen sind, weil es den Verantwortlichen nicht gelang, das organisatorische Umfeld in den Griff zu bekommen. Zur Organisation des Lernens gehören mindestens:

- Verteilungssystem für die Lernprogramme,

- Ansprechpartner für die Zielgruppe,

- vorgesehene Lernzeiten während der Arbeitszeit,

- Lernplätze ohne dauernde Störungen,

- Motivation für das CBT-Lernen durch Führungskräfte,

- gezieltes Timing des CBT-Lernens innerhalb einer Fortbildungsmaßnahme.

CBT sollte als Methode ganz klar in dem Bereich Aus- oder Weiterbildung angesiedelt sein. Gute interaktive Lernprogramme erfordern eine Menge pädagogisches Know-how. Lernpsychologische Fähigkeiten sind gefragt. Die DV-Abteilung oder der Benutzerservice sollten technisch beraten, dürfen aber keinesfalls dominieren.

Lernprogramme "von der Stange" eignen sich höchstens als zusätzliches Medium im Seminar. Solche Standardprogramme werden alle individuellen, firmenspezifischen Lernziele nicht abdecken können, weil praxisbezogene Beispiele und Aufgaben aus dem Tagesgeschäft der Mitarbeiter fehlen. Die Qualität und insbesondere Interaktivität von guten maßgeschneiderten Programmen wird bei Standardprodukten kaum erreicht.

Wenn also das Ziel darin besteht, CBT im Unternehmen zu einem breiten Einsatz zu verhelfen und nicht nur als Randerscheinung zu sehen, so sollte der Weg von maßgeschneiderten Eigenentwicklungen begangen werden. Eine Möglichkeit, Kosten zu sparen, bietet sich hier über eine gemeinsame Entwicklung mit anderen Unternehmen an, die den ähnlichen Bedarf haben. So können dann beispielsweise 50 bis 70 Prozent der Lernmodule identisch sein, während die restlichen firmen- und zielgruppenspezifische Besonderheiten abdecken. Gemeinsame Entwicklung bietet so einen guten Mittelweg zwischen unflexiblen Standardprodukten und teuren Maßanfertigungen.

Kein Risiko mehr CBT einzusetzen

Zum Schluß sollen noch drei Punkte genannt werden, die im Zusammenhang mit CBT wichtig sind.

- Wirtschaftlichkeit: Es werden beim Einsatz von CBT für breite Mitarbeitergruppen vor allem Abwesenheitszeiten reduziert. Aus einem fünftägigen Seminar können unter Umständen acht bis zehn Stunden CBT kombiniert mit einem Tagesworkshop werden. Im Zuge steigender Personalkosten wird computerunterstütztes Lernen deshalb für Unternehmen, die ein Thema oft einigen hundert oder sogar einigen tausend Mitarbeitern zu vermitteln haben, immer entscheidender.

- Projektabwicklung: Umfangreiche maßgeschneiderte Entwicklungen lassen sich am besten mit DV-Systementwicklungen vergleichen und unterliegen einer ähnlichen Verfahrenstechnik. Das Drehbuch als wichtigstes Ergebnis dieser Verfahrenstechnik ist dem Fachkonzept eines DV-Projekts ähnlich.

- Zukunftsperspektive: Die Erfahrungen mit größeren CBT-Projekten sind heute so zahlreich, daß es eigentlich kein Risiko mehr bedeutet, Lernprogramme auf dem Computer als Dreh- und Angelpunkt umfangreicher Schulungsmaßnahmen für eine breite Zielgruppe einzusetzen. Wenn die wesentlichen Voraussetzungen beachtet werden, und man sich zumindest bei den ersten Projekten von erfahrenen Firmen beraten läßt, kann eigentlich gar nichts schiefgehen.

* Thomas Wilkens arbeitet bei der Integrata AG in Tübingen als Produktmanager für CBT.