Erfahrungsberichte von DEVK und Lufthansa Systems

Im liberalisierten TK-Markt dreht sich alles um den Preis

25.11.1998
KÖLN (sra) - Das Preiskarussell dreht sich. Doch auf neue Dienste und überzeugenden Service alternativer Carrier warten Anwender noch immer. Auf dem Telekom-Anwenderkongreß '98 in Köln berichteten die DEVK-Versicherungen und Lufthansa Systems über ihre Erfahrungen mit Otelo und Viag Interkom. Nach leichten und im zweiten Fall heftigeren Geburtswehen wollen beide Firmen ihrem Carrier vorerst treu bleiben.

"Der Preiswettbewerb hat begonnen, die anderen Ziele der Deregulierung sind noch nicht erreicht", bilanziert Arne Börnsen, Vizepräsident der Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation (Reg TP), nach zehn Monaten Liberalisierung im TK-Markt. Zu den noch nicht erreichten Zielen zählt der Politiker die Schaffung eines Wettbewerbs, der ohne Schutz der Regulierungsbehörde auskommt, die Förderung von Konkurrenz bei Infrastrukturen sowie neuer Dienste und moderner Technologien.

Für die Anwender ist der Preisverfall jedoch ein entscheidender Vorteil. So konnte beispielsweise Dieter Kassel, Leiter System- und Kommunikationstechnik bei den DEVK-Versicherungen Köln, die TK-Kosten seines Unternehmens mit einem Wechsel auf den Telekom-Wettbewerber Otelo senken. Schon 1990 schloß die Versicherung einen Vertrag mit Meganet, dem Vorgänger von Otelo. Damals litt das Unternehmen unter hohen, jährlich steigenden Gebühren. Da zugleich das Kommunikationsaufkommen wuchs, waren die Übertragungsleitungen der Versicherung chronisch überlastet. Die Folge: Der Betreuungsaufwand stieg. Kassel suchte einen Ausweg. Meganet bot dem Kunden eine Halbierung der Kosten bei doppelter Kapazität, mithin eine Viertelung des Preises. 1998 handelte die DEVK einen neuen Vertrag mit Otelo aus, der ähnlich gute Konditionen bietet.

Auch bei Lufthansa Systems stand der Wille zur Einsparung am Anfang. "Nach der Ausgliederung aus dem Lufthansa-Konzern hatte der Vorstand Dollars in den Augen", schilderte Heinz-Dieter Hansmann, Leiter Telekommunikation bei Lufthansa Systems, die Ausgangssituation. Vor der Umschaltung auf Viag Interkom verfügte das Unternehmen über ein Corporate Network, das aber nach dem Outsourcing von Lufthansa Systems nicht mehr rentabel war.

Die Umschaltphase selbst war bei Lufthansa Systems von größeren Geburtswehen begleitet. Hansmann berichtet von einem überzogenen Anspruch des neuen Carriers, alles besser zu können. Die Realität bestätigte aber die Zweifel des Kunden: Viag Interkom konnte seine Versprechen bezüglich der überregionalen Leistungsmerkmale nicht einhalten.

"Es folgten endlose Sitzungen in immer größeren Runden und mit umfangreichen Protokollen", erinnert sich Hansmann. Schließlich wurden die Ansprüche auf das Machbare reduziert, und es kehrte etwas Ruhe ein. Die Umschaltungsaktivitäten fanden jeweils in den Wochenendnächten statt. Zwischen 0 Uhr und 5 Uhr früh änderten Mitarbeiter die Routing-Tabellen der TK-Anlagen. "Dafür ging viel Zeit drauf", kommentierte Hansmann.

Die Versicherung dagegen hatte die größten Schwierigkeiten bereits im Jahr 1995 zu bewältigen. Damals kriselte es in der Ehe zwischen DEVK und Meganet, denn die Übernahme des Carriers durch Vebacom erforderte die Zusammenlegung der Netze mit unterschiedlicher Infrastruktur. Das wiederum führte zu einem Absacken der Verfügbarkeit. Zudem beklagt die Versicherung einen häufigen Wechsel der Ansprechpartner in Vertrieb und Service. "Kontinuität bei Betreuung und Service entscheiden über den Erfolg", betont Kassel nochmals. Aber letztendlich hat die Zeit die Wunden geheilt.

Carrier übernahm Mehrkosten

Im Jahr vor der Liberalisierung verhandelte die DEVK-Versicherung erneut mit verschiedenen Carriern. Im Sommer 1997 gaben sie ihre Angebote ab. Die Entscheidung für Otelo fiel im Dezember. Der noch laufende Vertrag wurde durch einen neuen ersetzt. Die Umstellung der Datenübertragung auf Frame Relay schritt zügig voran, lediglich ein Fehler in der Router-Software und die verspätete Bereitstellung von Anschlüssen für die letzte Meile durch die Deutsche Telekom an einigen Stellen sorgten für Verzögerungen. Da die Umstellung die Antwortzeiten deutlich verbesserte, äußerte sich Kassel zufrieden. Die Umschaltung der Sprachkommunikation auf das Netz von Otelo war zwar eigentlich für den 1. Mai 1998 zugesagt, erfolgte jedoch erst am 26. Juni. Das sei aber kein größeres Problem gewesen, relativierte Kassel, weil der Carrier die Mehrkosten übernahm.

Beide Anwender lobten schließlich die erreichte Sprachqualität. "Wir haben von der Umstellung nichts gemerkt", bekräftigte Kassel von der DEVK. Die Verfügbarkeit liege bei mehr als 99 Prozent. Dennoch setzt das Versicherungsunternehmen ISDN-Backup-Leitungen ein, falls einmal das ganze Netz ausfallen sollte. Otelo bietet den Kunden sekundengenaue Abrechnung. "Die Rechnungen kommen allerdings mehrere Monate später", führt Kassel aus. Das stört ihn jedoch wenig, er betrachtet das als "zinsloses Darlehen von Otelo".

Auch bei Lufthansa Systems wartete man auf die Rechnung. Doch die kam erst "nach einem Jahr und drei Monaten und war dann auch noch unbrauchbar", so Hansmann. Schließlich erhielt Lufthansa Systems statt dessen eine Pauschalrechnung, die auf einzelne Posten hin nicht kontrollierbar war. Trotz der Schwierigkeiten hat das Unternehmen den Vertrag mit Viag Interkom verlängert. Zum einen glaubt Hansmann, beide Partner hätten inzwischen eine Menge gelernt, und vieles würde jetzt anders laufen. Auf der anderen Seite wollte er seinem Unternehmen ersparen, "das Ganze noch einmal von vorne durchzustehen".

Die Beispiele DEVK und Lufthansa Systems zeigen, daß in den Punkten Service und neue Dienste bei den alternativen Carriern tatsächlich noch einiges im argen liegt oder zumindest lag. Zur Verunsicherung sowohl der Anwender als auch der Anbieter tragen die wechselnden internationalen Allianzen (derzeitiger Stand: siehe Grafik "Komplizierter Markt") sowie die nicht endenden Diskussionen um Interconnection-Preise und den entbündelten Teilnehmeranschluß bei. Die Entscheidung über die Interconnection-Gebühren etwa hat auch Auswirkungen auf den Anwender: Sie bestimmt, bei wem er zu welchem Preis Leistungen einkaufen kann.

Bei den Interconnection-Gebühren ist noch strittig, ob diese künftig gestaffelt werden oder Reseller, Verbindungsnetzbetreiber und Teilnehmernetzbetreiber den gleichen Preis bezahlen sollen. Betreiber von Teilnehmernetzen bauen eigene lokale Netze auf und haben den größten Aufwand. Verbindungsnetzbetreiber haben zwar keine eigenen Teilnehmernetze, stellen aber die Verbindung zwischen diesen her. Reseller dagegen verfügen über gar kein Netz.

"Interconnection bedeutet Zusammenschluß von Netzen", definiert Börnsen auf dem Telekom-Anwenderkongreß. "Und wer kein Netz hat, der kann diese Tarife nicht in Anspruch nehmen." Er schlägt vor, für die Zusammenschaltung von zwei Teilnehmernetzen den im Herbst 1997 angeordneten Tarif anzuwenden. Verbindungsnetzbetreiber sollten seiner Meinung nach einen Aufschlag bezahlen und die Reseller noch mehr. Bei letzteren unterscheidet er Reseller mit eigenem Netzzugang (Switch-based Reseller) und Switchless Reseller. Insgesamt enthält sein Modell also vier verschiedene Preisstufen.

Eine gestaffelte Interconnection-Gebühr schafft zudem einen Anreiz, in eigene Netze zu investieren, und könnte damit den Wettbewerb (jenseits des Preises als alleinigem Kriterium) weiter ankurbeln. Wenn die Reseller keinen konkurrenzlos günstigen Preis mehr anbieten können, greifen sie womöglich zu einem besseren Service oder entwickeln Ideen für neue Dienste, um sich vom Wettbewerb abzuheben.

Für die Zukunft erwartet Börnsen außerdem das Ende des Zwangs zu einheitlichen Tarifen im ganzen Bundesgebiet. Schließlich sind die Anschlußpreise regional unterschiedlich, nämlich in Großstädten geringer als in dünn besiedelten Gegenden. "Wir werden nicht um eine Differenzierung herumkommen, aber es wird einen bösen Streit geben", folgert er. Für Firmen und Privathaushalte in strukturschwachen Gebieten könnte so die Liberalisierung zum Bumerang werden.

Als weitere Zukunftstrends werden die Konvergenz von Informations- und Kommunikationstechnik sowie die Tendenz zu Komplettanbietern gehandelt, die auch im Sektor Telekommunikation an Boden gewinnen. Bei vielen Carriern befinden sich Festnetz und Mobilfunk unter einem Dach. Andere Angebote wie Internet-Telefonie oder Multimedia-Dienste kommen hinzu. Zudem konstatiert Dieter Spangenberg, Leiter Vertrieb Kommunikationssysteme und -netze der Siemens AG in München, eine gestiegene Nachfrage nach Lösungen aus einer Hand. Systemintegration sieht er als Wettbewerbsvorteil. Die Anpassung von Systemen an Kundenwünsche nimmt seinen Angaben zufolge heute mehr Raum ein als in der Vergangenheit.

Allerdings geht die Integration von Telekommunikation und Datenverarbeitung langsamer vonstatten als erwartet. Anwender wie Günther Wilhelm, Fachgruppenleiter für TK-Systeme auf dem Flughafen Frankfurt am Main, kritisieren kurzlebige von Marktführern gesetzte Standards, immer kürzere Produktzyklen und eine heterogene IT-Welt, die sich nur schwer verwalten läßt.