Big Blues Versprechen auf dem Prüfstand (Teil 1)

Im Hardwaregeschäft ist IBM noch nicht über dem Berg

16.08.1996

Nach etlichen mageren Jahren mit Massenentlassungen und Umstrukturierungen sieht sich IBM seit dem guten Ergebnis für 1995 wieder auf der Sonnenseite im IT-Geschäft. Doch der Schein trügt. Besonders im Hardware- bereich konnten die Armonker allzuoft ihre Versprechungen im Hinblick auf Produkte und Verkaufszahlen nicht einlösen. Die COMPUTERWOCHE hat deshalb die einzelnen Produktsegmente des Herstellers unter die Lupe genommen.

Entgegen früheren Prognosen sehen einige Branchenbeobachter die Mainframes derzeit wieder im Aufwind. In der Studie "The Mainframes last Hurrah" etwa prophezeit Forrester Research den Großrechnern bis einschließlich 1998 sogar ein gewisses Marktwachstum, weil die Unternehmen durch Internet- und Client-Server-Anwendungen vorübergehend mehr Mainframe-Ressourcen benötigten. IBM setzt allerdings auch längerfristig Hoffnungen in seine Großrechnerschiene. Das Unternehmen versucht derzeit, die älteren Mainframes in Bipolar-Technik durch günstigere S/390-Rechner mit CMOS-Prozessoren zu ersetzen, die über die Parallel-Sysplex-Technik gekoppelt werden sollen. Den Unternehmen verspricht Big Blue damit niedrigere Betriebskosten und eine hohe Skalierbarkeit. "Ich glaube, unser Mainframe-System S/390 wird bis weit ins nächste Jahrhundert in den Unternehmen zu finden sein", verkündet Linda Sanford, General Manager der System-/390-Division bei IBM.

Branchenkenner wie Peter Lehmann von der Deutschen Leasing AG beurteilen den Markt allerdings skeptisch. "Die Unternehmen investieren zur Zeit lediglich in Upgrades", berichtet Lehmann. Nur sehr zögerlich werde auf die CMOS-Technologie gewechselt. Hans Bernecker, Vertriebsleiter beim Düsseldorfer IT-Leasing-Unternehmen Dataserv, schätzt die Situation ähnlich ein: "Früher konnte man durch ein interessantes Angebot noch einen Neukunden gewinnen. Das ist jetzt ziemlich vorbei." Hinzu komme, daß ein CMOS-basierter S/390-Rechner heute IBM erheblich weniger einbringe als die älteren Bipolar-Systeme. Bernecker: "Ein Bipolar-System vom Typ IBM 3090, 60J hat vor sieben bis acht Jahren 40 Millionen Mark gekostet. Was IBM heute plaziert, kostet nur noch etwa 2,5 Millionen Mark." Das Mainframe-Geschäft habe daher stark an Wert verloren.

Die abwartende Haltung der Unternehmen bei den CMOS-Rechnern kommt nicht von ungefähr. Die Kritik richtet sich vor allem auf die Leistungsfähigkeit der Systeme. "Für die Einbindung in Client-Server-Architekturen reicht die Leistung der CMOS-Prozessoren noch nicht aus", urteilt Lehmann. Mit der neuen Prozessorgeneration, die IBM für den September angekündigt hat, soll sich das ändern.

Für typische Großanwender kommen CMOS-Systeme derzeit kaum in Frage. Nach Angaben von Winfried Schmidt, Leiter Informationsverarbeitung bei BMW, München, plant der Automobilkonzern im Moment keinen Umstieg auf CMOS-basierte Sy- steme, weil die Leistung bisher nicht ausreiche und die Kosten noch zu hoch seien. BMW arbeitet überwiegend mit Bipolar-Mainframes. Das Argument der Armonker, die CMOS-Maschinen ließen sich über die Parallel-Sysplex-Technologie zu leistungsstärkeren Verbundsystemen zusammenschließen, läßt Schmidt nicht gelten.

"Man muß erst einmal Parallel Sysplex in großen Produktionsumgebungen einführen. Das klingt alles sehr logisch, ist aber in diesem Umfang für ein Großunternehmen noch nicht machbar." Nach Ansicht von Schmidt bedarf es dazu einer Testphase von mindestens einem Jahr. IBM hatte bei der Ankündigung der Technik aber anderes versprochen. "Was IBM mit Parallel Sysplex vor Jahren angekündigt hat, nämlich daß man das System schon nach einem Vierteljahr produktiv einsetzen kann, ist bis heute nicht nachgewiesen", beklagt sich der DV-Manager.

Bei größeren DB/2-Anwendungen stoßen IBMs Zehn-Wege-Bipolar-Rechner laut Schmidt schon jetzt an die Leistungsgrenze. Einen schnelleren Rechner bietet derzeit nur Hitachi/Comparex mit seinem Zwölf-Wege-System "Skyline" an. IBM sieht hierin erwartungsgemäß keine Gefahr. S/390-Managerin Sanford: "Ich sehe derzeit keinen Bedarf für ein Zwölf-Wege-System. Die Parallel-Sysplex-Architektur übertrifft die Möglichkeiten, die größere MP-Systeme bieten, bei weitem."

Die Abkehr Big Blues von den Bipolar-Rechnern könnte allerdings noch andere Gründe ha- ben. Nach Ansicht von Ulrich Dickamp, Geschäftsführer der U-D-M-Unternehmensberatung in Frankfurt am Main, hat IBM die technologische Führerschaft bei der bipolaren Rechnertechnik an Hitachi verloren. Einige Analysten glauben, daß die Armonker deshalb im obersten Leistungsbereich Marktanteile verlieren werden.

Zu den Institutionen, die bereits einen CMOS-bsierten S/390-Rechner einsetzen, gehört der ADAC in München. Die Gründe dafür liegen laut Herbert Asanger, Leiter Systemprogrammierung, vor allem in Kosteneinsparungen. Parallel Sysplex ist aber auch für den ADAC gegenwärtig kein Thema. Asanger: "Wir haben die S/390 installiert, weil die Leistung für uns im Moment ausreichend ist. Wir wollen derzeit aber keinen Parallel-Sysplex-Verbund aufbauen." Zum Zeitpunkt der Investition war IBM der einzige Hersteller, der CMOS-Systeme anbot. Die Konkurrenten Amdahl und Comparex wollen jedoch noch in diesem Jahr nachziehen. Besonders von Amdahl erwarten Branchenkenner eine aggressive Preispolitik. Asanger will sich denn auch bei künftigen Investitionen nicht auf Big Blue festlegen: "Wir sind nicht mit der IBM verheiratet." Bei einem vernünftigen Angebot komme auch ein anderer Hersteller in Frage.

Trübe Aussichten für VM/VSE-Systeme

Die Perspektiven für die kleineren IBM-Mainframes unter VSE und VM geben ebenfalls keinen Anlaß zur Euphorie. Einer Studie von Sterling Software zufolge plant die Hälfte der 1300 erfaßten deutschen VSE-Anwender, in zwei bis sechs Jahren auf eine andere Plattform zu migrieren. IBM-Managerin Sanford können solche Zahlen offenbar nicht schrecken. "Die Anzahl unserer VM/VSE-Kunden ist ebenso groß wie die unserer MVS-Kunden. Wir werden die Funktionalität dieser Plattformen weiter verbessern", verspricht die Managerin. Wie ernst diese Aussagen gemeint sind, muß sich allerdings erst noch erweisen. Immerhin hat IBM im Mai mit der Version 2.2 ein neues Release für das Betriebssystem VSE/ESA vorgestellt.

Konkurrenz im eigenen Haus könnte Big Blues Mainframe-Geschäft durch die massiv-parallelen RS/6000-SP-Systeme erwachsen. Die Marktforscher der Bloor Research Group sehen in Parallel Sysplex zwar eine preiswerte Möglichkeit, Großrechnersysteme auszubauen. Im Vergleich zur RS/6000-SP mit ihren Skalieroptionen sei Sysplex aber deutlich teurer. Für Data-Warehouse-Lösungen ist die RS/6000 SP nach Ansicht der Analysten wegen der größeren Offenheit durch das AIX-Betriebssystem besser geeignet als die S/390.

Doch auch bei der RS/6000 SP mußten sich potentielle Kunden lange gedulden, bis IBM Versprochenes einlösen konnte. Die schon für 1995 angekündigte Unterstützung von SMP-Knoten in den massiv-parallelen Systemen wurde erst vor wenigen Wochen realisiert. Das Einsatzspektrum der Maschinen erweitert sich dadurch. Die RS/6000 SP gehört im Bereich der Enterprise-Server zu den Hoffnungsträgern bei IBM. Nach den Erfahrungen von Thomas Lehmann sind die Anwender aber im Moment noch an einer Hand abzuzählen.

Big Blue ist unterdessen weiter bemüht, gegenüber der Konkurrenz verlorenen Boden gutzumachen. Viel zu spät erkannt hat der Hersteller nach Ansicht von Analysten die Bedeutung des Internet. Neben der S/390 sollen jetzt vor allem die RS/6000-Systeme als Web-Server positioniert werden. Im Web-Server-Markt hinkt IBM allerdings weit hinter den Konkurrenten Sun Microsystems und Silicon Graphics her, meint etwa Jonathan Eunice, Analyst bei der Beratungsfirma Illuminata in Nashua, New Hampshire. Bestenfalls werde es gelingen, die Maschinen bei der eigenen Kundenbasis zu positionieren. Ob das Konzept des Branchenriesen aufgeht, ist daher auch in diesem Segment völlig offen. (wird fortgesetzt)