EARN-Engagement schließt Mitarbeit beim DFN nicht aus:

Im Forschungsbereich fährt IBM zweigleisig

30.11.1984

Für öffentliche Forschungseinrichtungen und Universitäten In Europa hat ]IBM 1984 ein Kommunikationsnetz - das European Academic and Research Network (EARN) - errichtet. Im Zusammenhang damit beteiligt sich IBM auch an dem Deutschen Forschungsnetz (DFN), einem Projekt des Bundesministers für Forschung und Technologie, DFN wird ein sogenanntes "Offenes System" sein, das den Anschluß von Rechnern verschiedener Hersteller gestattet. Otto Bernd Kirchner von der IBM Deutschland GmbH, Stuttgart, stellt die beiden Projekte vor und berichtet über bereits gesammelte Erfahrungen*.

Ausgehend von dem Ziel, die wissenschaftliche Welt in Europa mit einem wirksamen Nüttel zu unterstützen, wurde von der IBM die Idee geboren, ein internationales europäisches Netzwerk, aufbauend auf IBM-Technologie, zu errichten und es für mehrere Jahre ausgewählten Partnern aus dem akademischen beziehungsweise Forschungsbereich kostenlos zur Verfügung zu stellen. Zusätzlich sollte dieses Netz eine Verbindung zum "Bitnet", einem umfassenden amerikanischen Universitätsnetz, erhalten, um einen Zugang zu allen wichtigen dortigen Universitäten und Forschungseinrichtungen zu ermöglichen.

In jedem größeren europäischen Land (Frankreich, Großbritannien, Dänemark, Schweden, Spanien, Deutschland, Italien, Schweiz, Irland) und in Israel wurde eine Datenverarbeitungsanlage installiert, um die Knoten eines Basisnetzes zu bilden, das in Zukunft eventuell noch um Anschlüsse in den Nahen Osten (die arabischen Länder) erweitert werden wird. Von diesen Datenverarbeitungsanlagen ausgehend, wird jeweils ein nationales Netz angeschaltet, das die Forschungszentren und Universitäten verbindet, die dazu bereit und in der Lage sind. Voraussetzung ist dafür jeweils das Vorhandensein einer IBM-Datenverarbeitungsanlage oder einer IBM-kompatiblen Anlage, oder aber auch jeder anderen, der IBM-Technologie angepaßten Anlage.

Trägersoftware dieses Netzwerkes ist VM/RSCS und MVS/NJE, die auch im IBM-internen VNET Verwendung finden und vielfach bei Kunden und IBM intern installiert sind.

24 EARN-Teilnehmer In der Bundesrepublik

Aufgrund der Gegebenheiten in Deutschland wurden neun Großforschungseinrichtungen und 15 Universitäten ausgewählt, um als Pilotinstallationen für vier Jahre das Rückgrat des deutschen EARN zu bilden. Allen weiteren Institutionen, die sich anschließen wollen, steht das Netz kostenlos zur Verfügung, doch müssen sie den Anschluß bis zum nächsten verfügbaren Knoten selbst tragen.

Ein zentraler, bei der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt installierter Knotenrechner hat die Aufgabe, neben nationalen Knotenfunktionen die Verbindung zu den anderen EARN-Ländern mit internationalen Leitungen herzustellen.

Dieser zentrale Knotenrechner bietet neben seinen Knotenfunktionen auch verschiedene zentrale Dienste zur Unterstützung der Endbenutzer und Knotenbetreiber an.

Neben verschiedenen Helpfunktionen steht ein Teilnehmerverzeichnis, ein elektronisches "Schwarzes Brett", ein Softwarekatalog und in Zukunft auch ein Computerconferencing-System zur Verfügung. Die Dienste des Rechners stehen allen Benutzern kostenlos zur Verfügung.

Nach der Installations- und Testphase in den Monaten März und April 1984 nahm das deutsche EARN im Verlauf der Monate Mai und Juni seinen Betrieb auf nationaler Ebene voll auf.

Die Benutzung des Netzes übertraf alle Erwartungen. Hunderttausende von Datensätzen werden täglich über das Netz übertragen. Unter Führung der Kernphysiker und Informatiker wird das installierte Netz bereits so stark genutzt, daß Erhöhungen der Leistungsgeschwindigkeiten und Änderungen der Netzwerktopologie eingeplant werden müssen.

Aufgrund von Vertrags- und Tarifschwierigkeiten konnten die internationalen Verbindungsleitungen (zum Beispiel von Darmstadt nach Genf) erst in jüngster Zeit in Betrieb genommen werden. Es war erforderlich, mit der europäischen Vereinigung der Postgesellschaften (CEPT) eine gemeinsame Tarifgrundlage zu finden, um die auftretende Datenvermittlung durch Dritte zu behandeln. Die von Rom ausgehenden Verbindungen nach USA und Israel, die bereits längere Zeit installiert waren, konnten dadurch erst seit wenigen Wochen genutzt werden. Erfahrungen über deren Nutzung liegen daher noch nicht vor, doch ist auch hier mit einem sehr regen Datenaustausch zu rechnen.

Das deutsche Forschungsnetz, ein herstellerneutrales, offenes Kommunikationsnetz für Universitäten und Forschungszentren, hat das Ziel, die Infrastruktur in der Forschung zu verbessern, die Produktivität und Effizienz der Forschung zu erhöhen und die wirtschaftliche Nutzung von vorhandenen Rechnern und Programmen zu verbessern. Durch die Entwicklung des DFN erwartet man außerdem eine Verbesserung des Know-how auf dem Gebiet der Offenen Systeme und Leistung von kreativen Beiträgen in entsprechenden internationalen Gremien. Da der Entwicklungsstand solcher Netze zur Zeit weltweit etwa gleichwertig ist, besitzt Deutschland gute Startvoraussetzungen, um auch international wissenschaftlich relevante Arbeit auf diesem Gebiet leisten zu können.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT) wurden nach verschiedenen Vordiskussionen Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit den Kernproblemen des geplanten Netzes beschäftigen:

- Basisnetz (Ebenen 4 und 5 des ISO-Refernzmodells/PIX-Protokolle)

- Lokale Netze (Local Area Networks)

- Grafische Datenverarbeitung im DFN

- Elektronisches Nachrichtensystem (Message System)

- Forschungsorientierte Arbeiten im Rahmendes DFN

- Infrastruktur des Netzes

Die bisherigen Ergebnisse der Arbeitsgruppen wurden in einem Projektvorschlag zusammengefaßt, der sowohl den interessierten Universitäten und Forschungsinstituten als auch der Industrie (darunter auch IBM) vorgelegt wurde.

Im weiteren Ablauf wurden von den Beteiligten Projektanträge für Einzelprojekte innerhalb des DFN erarbeitet, die vom BMFT zu genehmigen waren.

Nach Genehmigung des gesamten Komplexes und Bewilligung der entsprechenden Mittel wurde eine Struktur aufgebaut, die sich mit der Entwicklung, der Implementierung, der begleitenden Forschung und auch dem Betrieb des DFN beschäftigt. Es wurde ein DFN-Verein gegründet, dem jede interessierte Institution oder Person beitreten kann. Der Verwaltungsrat und der sich daraus konstituierende Vorstand bilden das oberste Gremium, die zentrale Projektleitung (ZPL) leitet und steuert die einzelnen Arbeitsgruppen, die die Entwicklung des Projektes vorantreiben. Ein Technischer Ausschuß koordiniert und kontrolliert die technischen Details in der Planung und Durchführung des Projektes, die über die Aufgaben einzelner Projektgruppen hinausgehen. Neben Mitarbeitern der Universitäten und Großforschung gehören auch Angehörige von interessierten Industriefirmen den einzelnen DFN-Organen an.

Grundlage des DFN-Projektes ist das Bestreben, für alle Implementierungen einheitliche, international genormte, herstellerneutrale Protokolle zu verwenden. Darüber hinaus wird angestrebt, in den noch nicht standardisierten Bereichen eigene Ergebnisse in die internationalen Standardisierungsaktivitäten einzubringen.

Aufgrund der derzeit bestehenden Normungssituation ist es nicht möglich, internationale Standards für alle Ebenen und Funktionen einzusetzen. DFN wird daher eine Interimslösung, das sogenannte Basis-DFN, implementieren, das oberhalb der Ebene 4 die Protokolle des PIX-Projektes für RJE und Filetransfer einsetzt. Nach Normung entsprechender Protokolle durch die ISO werden diese dann auch im DFN eingesetzt werden und das Basis-DFN ablösen. Diese Implementierung von international genormten Protokollen wird dann auch die internationale Kommunikationsfähigkeit mit entsprechenden anderen Netzen gewährleisten.

Die Funktionen des Netzwerkmanagements, Probleme der Adressierung innerhalb des Netzes und bestimmte Betriebsablaufprobleme (wie zum Beispiel Unikonfigurierung und Wiederanlaufprozeduren etc.), die noch nicht Bestandteil von Nominierungsbestrebungen sind, werden als Projektbestandteil behandelt und erst im Verlauf des Projektes entwickelt werden.

Eine Sonderstellung nimmt das elektronische Mailsystem ein, das bereits von Anfang an entsprechend internationaler Normen implementiert wird (CCITT X.400) und auf der Ebene 5 aufsetzt.

Integration der beiden Netze

Trotz der unterschiedlichen Ursprünge, der großen Funktions- und Leistungsunterschiede und der verschiedenen verwendeten Technologien ist eine Verbindung zwischen EARN und DFN sowohl sinnvoll als auch erforderlich. In einigen Teilbereichen wird EARN bereits als Kommunikationsinstrument bei der Entwicklung der DFN-Teilprojekte eingesetzt. Da RSCS ein universelles Spoolingverfahren zum Filetransfer darstellt, ist eine Verbindung zum DFN durch ein Software-Gateway relativ einfach möglich.

Als erste Implementation einer derartigen Verbindung wird in einer Kooperation zwischen der GMD-Darmstadt und dem Wissenschaftlichen Zentrum der IBM in Heidelberg ein Gateway zwischen dem elektronischen Mailsystem des DFN und dem Mailsystem des EARN entwickelt. Dieses Gateway wird eine Kommunikation zwischen den beiden Netzen ermöglichen.

Beide Projekte werden in gegenseitiger Abhängigkeit bis zu ihrer Verbindung beziehungsweise Integration von einem IBM-Projektteam unterstützt.

Nach der Verfügbarkeit von umfassenden DFN-EARN-Gateways und ausgebauten DFN-Anwendungsfunktionen wird EARN als Netz abgelöst und im DFN aufgehen. Die bis dahin entwickelten Anwendungen und Dienste des EARN werden dann generell allen DFN-Benutzern zur Verfügung stehen.

Für den Zeitpunkt der Ablösung beziehungsweise Integration von EARN ist nicht nur die internationale Normungssituation und die Verfügbarkeit der daraus resultierenden Produkte sondern auch die nationale und internationale Tarifsituation von entscheidender Bedeutung.

* Der vorliegende Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Vortrages, den der Autor auf dem Forum 84 für Wissenschaft und Verwaltung der IBM in Göttingen gehalten hat.