"Im Diplom mindestens eine Zwei"

15.12.2006
Von Heidrun Haug 
Das Softwarehaus sd&m ist bekannt für seine hohen Ansprüche an Mitarbeiter. Im CW-Interview erklärt Vorstandschef Edmund Küpper, warum er keine Abstriche machen kann und von Einsteigern viel Einsatz fordert.

CW: In Deutschland gibt es 80 000 arbeitslose IT-Fachkräfte. Warum klagen IT-Unternehmen dennoch über einen Mangel an guten Bewerbern?

KÜPPER: Es gibt eine Kluft zwischen den gestellten Anforderungen und den angebotenen Qualifikationen. Zudem wird viel potenzielle Arbeit im IT-Bereich, die weniger qualifizierte Tätigkeiten betrifft, ins Ausland verlagert. Für Applikations-Management zum Beispiel wird in Deutschland kaum noch jemand gesucht.

CW: Wäre es nicht sinnvoll, die Arbeitslosen entsprechend weiterzubilden?

KÜPPER: Für eine solche Qualifizierung müssen nicht nur gewisse fachliche Voraussetzungen vorhanden sein, sondern auch die mentale Bereitschaft. Viel problematischer ist jedoch der nach wie vor weitgehend zementierte Arbeitsmarkt. Für einfachere Tätigkeiten ist das in Deutschland tariflich fixierte Gehaltsniveau einfach zu hoch. Das kann mit den Offshore- und Nearshore-Zentren in Indien, China oder Osteuropa nicht konkurrieren.

CW: 2006 haben Sie mehr als 10000 Bewerbungen erhalten und mehr als 260 neue Mitarbeiter eingestellt. Warum bewerben sich so viele Jobsuchende bei sd&m?

KÜPPER: Manche bewerben sich aus purer Verzweiflung auf jede Anzeige. Dass ein Unternehmen Arbeitskräfte einstellt, ist für viele ein Signal: Denen geht es gut! Es kommt auch vor, dass sich ein Koch auf eine nicht vorhandene Kantine bewirbt.

CW: Welche Anforderungen stellen Sie an Bewerber?

KÜPPER: Exzellente Qualifikation ist das Einzige, durch das sich ein Unternehmen vom Mitbewerb abheben kann. Am Wissen dürfen wir deshalb keine Abstriche machen. Formale Kriterien sind die erste Hürde. Wer kein gutes Abitur hat oder beim Diplom nicht mindestens eine Zwei vorweisen kann, den laden wir nicht ein. Fachlich suchen wir unter den Informatikern eher die Generalisten, die sich auf neue technologische Herausforderungen einstellen können. Die Spezialisierung erfolgt dann bei uns. Wir entwickeln in Kundenprojekten sehr komplexe Anwendungen.

CW: Dafür benötigen Sie doch Spezialisten.

KÜPPER: Richtig, wir suchen Projekt-Manager oder etwa auf Data Warehouse oder SAP Netweaver spezialisierte Spitzenleute. Wir brauchen Mitarbeiter, die sich in der Projekterfahrung spezialisieren und dafür sorgen, dass Projekte fachlich und wirtschaftlich erfolgreich sind. Aber die Mehrzahl sind generalistisch veranlagte Informatiker.

CW: Welche Rolle spielt die Persönlichkeit eines Bewerbers?

KÜPPER: Der erste Eindruck, den man gewinnt, ist wichtig: das Auftreten, die Umgangsformen. Aber wir suchen keinen bestimmten Typ. Der introvertierte Tekki ist uns ebenso willkommen wie der eloquente Bewerber, den man an die Vertriebsfront schicken kann. Wir müssen darauf achten, dass die Mischung stimmt. Die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten zu fördern, auch Ängste abzubauen, ist die Aufgabe unserer Personalentwicklung. Wir erleben immer wieder Überraschungen, wie viel Argumentationskraft unter der Schale des schweigsamen Analytikers versteckt sein kann.

CW: Die besten Bewerber sind heiß umworben. Wie überzeugen Sie die Kandidaten?

KÜPPER: Mit Geld ködern wir sie nicht. Neue Mitarbeiter erzählen mir, dass sie von der Professionalität, Schnelligkeit und Ernsthaftigkeit unseres Rekrutierungsverfahrens beeindruckt waren. Jeder Bewerber erhält sofort eine kurze Antwort. Positiv ist für Bewerber, dass sich nicht die Personalabteilung mit ihnen unterhält, sondern der künftige Chef. Jeder lernt sofort das berufsnahe Umfeld kennen und hat ein konkretes Bild von den Aufgaben, den Projekten und dem Team. Viele interessieren sich für unser ingenieurmäßiges Vorgehen, ihnen gefällt die Campus-Atmosphäre, die bei uns in der Softwareentwicklung weiter besteht.

CW: Welche Rolle spielen die Perspektiven, die ein Unternehmen bietet?

KÜPPER: Internationalität, was manche Einsteiger reizt, können wir kaum bieten. Aber sd&m hat ein gutes Image in der Branche und gilt als Sprungbrett. Wer bei uns seinen Berufsweg begonnen hat, braucht sich über eine berufliche Zukunft im Software-Engineering keine Sorgen zu machen.

CW: Die Fachabteilungen als IT-Einkäufer gewinnen an Bedeutung. Was folgt daraus für den Personalbedarf?

KÜPPER: Richtig, die Einkaufsmacht der CIOs nimmt ab. Im Gegenzug wächst der Entscheidungsspielraum der Fachabteilungen. Intern werden wir deshalb sd&m von einer Regional- in eine Branchenorganisation umstrukturieren. Bei der Stellenbesetzung werden Wirtschaftsinformatiker vermehrt Chancen haben, weil wir unser betriebswirtschaftliches Wissen verstärken werden.

CW: Was unterscheidet die heutigen Einsteiger von der Generation der 40-Jährigen?

KÜPPER: Die Leistungsbereitschaft ist größer. Die Absolventen sind in der Realität angekommen. Wir haben den Urlaubsanspruch für die Neuen um zwei Tage gekürzt - das wurde ohne Murren akzeptiert. Die Auftaktveranstaltung für alle findet in der Freizeit statt; da kommt selten einer auf die Idee, nach Überstunden zu fragen.

CW: Steht die Angst dahinter, dass man den Arbeitsplatz schneller los ist, als man ihn gefunden hat?

KÜPPER: Nein, das sind keine Angsthasen oder Duckmäuser. Die jungen Mitarbeiter sagen selbstbewusst ihre Meinung, diskutieren offen und sind kritisch. Aber sie wissen, dass die Rahmenbedingungen sich geändert haben.

CW: Gilt das auch für Bewerber, die längere Zeit arbeitslos waren?

KÜPPER: Leider eher selten. In dieser Generation dominiert oft das Besitzstandsdenken. Das macht es so schwer, diese Menschen wieder in den Arbeitsprozess aufzunehmen. Aber wir müssen uns damit abfinden, dass die goldenen Zeiten nicht mehr zurückkommen. (am)