Illusionen

25.06.1982

Mit Netzwerkkonzepten á la Ethernet will die Mikrocomputerbranche für den Dialogeinsatz der Kleinen in Rechnerverbundsystemen werben. Auf DV-Veranstaltungen wie der amerikanischen National Computer Conference (NCC) werden mehr Mikros als Mainframes gezeigt (CW 25, Seite 1). Anbieter von Selbstfahr-Computern wie Tandy, Apple oder Commodore können die höchsten Wachstumsraten aller Firmen in der DV-Industrie vorweisen (Seite 1: "Amerikanische DV-Industrie im Mikrotrend"): Wird dieser Boom anhalten oder brennt ein Strohfeuer ab, dessen Asche man später in alle Winde zerstreut? Mit dieser Frage sehen sich immer mehr Leute konfrontiert, die am Erfolg der Winzlinge partizipieren wollen - ob als Hersteller, Vertreiber oder Anwender.

Eine Ursache für das Vordringen der Tischcomputer sehen Marktkenner in derselben Motorik, die einst den Universalrechnern zum Durchbruch verhalf: Sie werden immer "größer", nicht dicker, sondern leistungsfähiger. Doch was bringt diese Leistungsexplosion für den Normalverbraucher, der sich, "just for fun", einen Intelligenzverstärker anschaffen will. Wird er durch den Mischmasch von Merkmalen und Modellen nicht eher verunsichert?

Über die Kalamität der Branche, das Angebotswirrwarr, weiß am besten Bescheid, wer auf der Hannover-Messe versucht hat, die ausgestellten Mikros zu zählen.

Wer soll alle diese Kleincomputermodelle kaufen? Viele Mikro-Modelle sind unnütz wie ein Kropf, weil sie niemals ihren eigentlichen Bestimmungsort erreichen werden: den Schreibtisch des Anwenders.

Die Crux mit den Mikros ist doch, daß die Dinger so einfach zusammenzubauen sind: Man nehme diesen Chip, jenes Board, dazu einen Bildschirm und eine Handvoll Software - marktreif ist das Mikrosystem. Wer den neuesten Chip verwendet, wenn auch nur, um Funktionen zu bieten, die niemand benötigt, der kann sich schon als bedeutender Anbieter fühlen.

Je schneller die Hersteller das Innovationskarussell drehen, um so sicherer können sie sein, daß die Preise stabil bleiben. Technischer Fortschritt kommt nun mal nicht von ungefähr, das sieht jeder Kunde ein.

Der untrainierte Anwender scheint allemal der Gelackmeierte. Noch am wenigsten tangiert ist der echte Mikro-Freak. Es entbehrt sogar nicht einer gewissen Logik, zu sagen, daß der Lerneffekt für Heimcomputeure um so höher ist, je größer der Verhau. Mit anderen Worten: Ein Programm für den persönlichen Gebrauch, ob nun zum Spielen oder Geschäftemachen, kann noch so trivial sein, es richtet keinen organisatorischen Flurschaden an, solange der Benutzer mit Fehlerausbügeln beschäftigt ist. Wenn sich dann endlich die Floppy dreht, kommt der Heimwerker zu seinem Erfolgserlebnis.

Hochexplosiv ist dagegen die Mischung aus Naivität und DV-Euphorie im Mittelstand. Ein Scheitern am und mit dem Computer können sich insbesondere die Entscheider in kleinen und mittleren Unternehmen nicht leisten. Leider sind schon zu viele Fälle von Computerpannen bekannt - entweder streikten die Maschinen, oder die Anwendungsprogramme paßten nicht -, waren vielleicht auch nur lausig dokumentiert. Offenbar hat die Computerindustrie in zwanzig Jahren nicht gelernt, was die kleinen Benutzer wirklich brauchen - wirtschaftliche Lösungen nämlich, und gute Betreuung.

Die Anbieter wären gut beraten, das "Mittelstandstrauma" ernst zu nehmen. Eine Änderung der Vertriebspraktiken ist angezeigt. Wie wär´s mit einer Desillusionierunskampagne?

Auszugsweise bereits erschienen in "microComputerWelt", der neuen Monatszeitschrift des Hauses CW-Publikationen.