Standortbestimmung nach dem SAP-Einstieg

IDS will Unabhängigkeit vom neuen Partner bewahren

11.07.1997

CW: Wie kam es zu der letztlich doch überraschenden Entscheidung, SAP als Gesellschafter in das Unternehmen zu holen, nachdem Sie noch zu Beginn des Jahres Wachstum aus eigener Kraft als Devise ausgegeben hatten?

Scheer: Vielleicht ist allein schon diese Frage typisch deutsch, weil man sich hierzulande zuwenig damit auseinandersetzt, wie der Lebenszyklus von Software-Unternehmen, insbesondere von Start-up-Companies, im Normalfall verlaufen müßte. Kann, um eine Gegenfrage zu stellen, aus jedem Anbieter etwas Vergleichbares wie Microsoft werden? Oder müßte es nicht vielmehr möglich sein, sich als mittleres Unternehmen über kurz oder lang in eine größere Struktur zu integrieren - und selbige mit Innovationen zu füttern? Man sollte jedenfalls nicht immer gleich mißtrauisch reagieren und mit einer gewissen Häme darüber spekulieren, ob jemandem die Luft ausgegangen ist.

CW: Ob Häme oder nicht, noch im Februar hörten sich Ihre Pläne auf der IDS-Bilanzpressekonferenz anders an. Warum also der plötzliche Sinneswandel?

Scheer: Wir entwickeln uns momentan von einem Ein-Produkt- zu einem Mehr-Produkt-Unternehmen - verbunden mit einem entsprechenden Aufwand bei Entwicklung, Marketing und Vertrieb. Unsere bisherige Cash-cow, das "Aris-Toolset", hätte dieses Wachstum alleine wohl nicht mehr finanzieren können. Anders formuliert: Wir betreiben momentan im Unternehmen eine enorme Quersubventionierung. Ungefähr zwei Drittel unserer Entwickler und damit rund 80 Mitarbeiter arbeiten derzeit an Produkten, die noch nicht fakturiert werden.

Trotzdem hätten wir auch die aktuellen Herausforderungen unter Aufbietung aller Kräfte wahrscheinlich alleine meistern können, denn die Umsätze entwickelten sich in den ersten sechs Monaten des laufenden Geschäftsjahres überdurchschnittlich. Unabhängig davon habe ich mich unter Einbeziehung aller Faktoren, auch meines Alters, für eine gesicherte Struktur entschieden - im Interesse des Unternehmens, wie ich meine. Daß dabei etwas von meiner Vision, alleine durch die Welt zu marschieren, auf der Strecke geblieben ist, muß ich mit mir selbst ausmachen.

CW: Warum ausgerechnet SAP, wo Ihrem Unternehmen von vielen Branchen-Insidern seit jeher eine zu große Produktaffinität zu Walldorf attestiert wurde?

Scheer: Mit SAP verbindet uns bekanntlich eine langjährige Zusammenarbeit. Wir generieren den Großteil unserer Beratungsumsätze im SAP-Umfeld, wir entwickeln gemeinsam Produkte.

Und daß man im Bereich Business Process Engineering an SAP nicht vorbeikommt beziehungsweise stets komplementäre Produkte anbieten muß, ist eine Binsenweisheit. SAP ist also, so plakativ es auch klingt, der geborene Partner für uns.Es gab übrigens auch lockere Gespräche mit anderen Interessenten, vorwiegend aus den USA. In Deutschland hätten wir uns allerdings mit einer Alternative zu SAP äußerst schwergetan, was wieder mit dem von mir eingangs erwähnten Strukturdefizit zu tun hat. Die wenigen großen Software-Anbieter in Deutschland ziehen sich eher aus dem Produktgeschäft zurück, anstatt gezielt junge innovative Firmen zu beobachten, sie gegebenenfalls einzubeziehen und dadurch zu fördern.

CW: Das kann aber doch nicht der alleinige Grund dafür sein, daß sich die Vision eines Herrn Scheer in Deutschland als nicht tragfähig erweist. Und in den USA gibt es ja neben Microsoft auch noch andere nicht ganz unbedeutende Softwarefirmen.

Scheer: Ihrer Bemerkung entnehme ich, daß ich mich vorhin vielleicht etwas zu pointiert ausgedrückt habe. Meine Vision ist nicht gescheitert, ich habe sie vielmehr durch einen starken Partner gesichert. Was das Beispiel USA angeht, muß man schon etwas genauer hinsehen: Natürlich gibt es erfolgreiche Beispiele wie IBM, Oracle und CA - aber wissen wir heute, wie in fünf Jahren Netscape dasteht? Gerade in den USA gibt es viele Beispiele für eine aggressive Beteiligungspolitik an Softwarehäusern, denken Sie nur an IBM und Lotus. Warten wir es also ab. Der Wettbewerb wird härter. Das spüren wir auch in dem Markt, in dem IDS tätig ist. Sie kennen doch die einschlägigen Prognosen für den Bereich der Enterprise-Resource-Planning-Software, wonach weltweit über kurz oder lang nur fünf große Anbieter überleben werden.

CW: SAP wird sich an IDS mit 25,2 Prozent beteiligen. Warum ausgerechnet in dieser Höhe? Ist mittelfristig ein noch größeres Engagement geplant?

Scheer: Es gibt keine weitergehenden Planungen. Wir haben uns an der oberen Grenze einer Minderheitsbeteiligung orientiert. Ohne Zweifel eine Sperrminorität, aber damit haben wir keine Probleme. Wir sehen darin im übrigen auch keine Gefahr für unsere Unabhängigkeit. SAP unterstützt zum Beispiel ohne Wenn und Aber unseren für 1998 geplanten Börsengang und damit unsere Idee, mit der Ausgründung ursprünglich universitärer Aktivitäten in ein erfolgreiches Unternehmen den nachahmenswerten Weg vieler US-Firmen im Silicon Valley zu gehen. Unsere Eigenständigkeit wird letztlich davon abhängen, wie gut wir bei der Entwicklung innovativer und erfolgreicher Produkte sind.

CW: Und wenn der erwartete Erfolg ausbleibt, droht IDS vermutlich das Schicksal eines reinen R/3-Wiederverkäufers.

Scheer: Abgesehen davon, daß dies keine Schande wäre, gehe ich nicht davon aus, daß dieser Fall eintritt. Natürlich haben wir ein stabiles SAP-Beratungsgeschäft, aber wir stehen gleichzeitig, wie vorhin angedeutet, vor einer neuen Innovationswelle. Es werden in Kürze Produkte auf den Markt kommen, die alle Merkmale einer zukunftsorientierten und offenen Architektur haben. Damit werden wir uns als Ergänzungsanbieter zu R/3 - aber eben nicht nur - positionieren.

CW: Können Sie das, was Sie unter einer Innovationswelle verstehen, etwas genauer schildern?

Scheer: Unser Aris Toolset ist ein Modellierungs-Tool, mit dem sich Geschäftsprozesse beschreiben und optimieren lassen. Dieses ist nun so erweitert worden, daß die Modelle auch zur Steuerung der jeweiligen Informationssysteme eingesetzt werden können. Das heißt, wir haben ein eigenes Workflow-System entwickelt, das sich direkt aus dem Aris Toolset konfigurieren läßt. Auch Aris selbst wurde völlig neu gestaltet. So wird noch im Juli "Aris Easy Design" auf den Markt kommen, ein vor allem für die Fachabteilungen entwickeltes Modellierungs-Tool, weil wir der Auffassung sind, daß dort das meiste Organisationswissen vorhanden ist und nicht bei den DV-Spezialisten.

CW: Mit dieser Produktausrichtung schwimmt IDS aber doch erneut im Kielwasser von SAP.

Scheer: Ein Vorurteil, mit dem wir gelernt haben, zu leben. Ich würde es so sehen: IDS hat immer wieder Lösungen entwickelt, für die sich hinterher SAP interessiert hat. Gleichzeitig haben wir aber stets unsere eigenen Produkte eigenständig vermarktet. Dies gedenken wir auch in Zukunft so zu tun.

CW: Gilt dies auch für Kooperationen, die sie mit direkten SAP-Wettbewerbern eingegangen sind?

Scheer: Baan und Siemens-Nixdorf, mit denen gemeinsame Projekte angelaufen sind, Schnittstellen zwischen den jeweiligen Modellierungs-Tools zu definieren, wurden über die Kapitalbeteiligung informiert - und über unsere Absicht, diese Arbeiten fortzuführen. Vielleicht muß man es an dieser Stelle noch einmal betonen: SAP war an der IDS als innovativem Software-Unternehmen, nicht nur als R/3-Beratungshaus interessiert. Dies setzt voraus, daß wir nicht nur einen guten Job in der Entwicklung machen, sondern uns in Randbereichen auch als Wettbewerber im Markt gegenüberstehen.

CW: Kommen wir noch einmal zu den Gründen, warum sich IDS einen großen Partner ins Boot geholt hat. Die mit dem SAP-Einstieg einhergehende Kapitalerhöhung läßt doch nur den Rückschluß zu, daß eine Geldspritze notwendig war.

Scheer: So kann man das nicht stehenlassen - auch wenn so gut wie alle aus dem Kaufpreis sowie der Kapitalerhöhung zufließenden Mittel in das Unternehmen investiert werden. Wir finanzieren seit Gründung des Unternehmens vor zwölf Jahren alle Produktentwicklungen aus dem operativen Betrieb; es gibt also so gut wie kein Fremdkapital im Unternehmen. Dies können Sie nur bewerkstelligen, wenn Sie entsprechend innovativ sind. Genau hier liegt aber auch das Risiko, das ich angesichts der Größe, die das Unternehmen mittlerweile erreicht hat, nicht mehr bereit war, länger einzugehen. Ich kann mich hier nur wiederholen: Der künftige Finanzbedarf für Entwicklung, Marketing und Internationalisierung erfordert eine stabile Eigenkapitaldecke.

CW: Wie sieht es in Sachen Börsengang aus?

Scheer: Nach wie vor gilt unsere Aussage, das Going Public bis Ende 1998 zu realisieren.

CW: Wo?

Scheer: Das lassen wir derzeit von einschlägigen Beratern prüfen. Zur Disposition stehen die herkömmliche Frankfurter Börse, der Neue Markt und natürlich die Nasdaq.

CW: Ist der Gang an die Börse überhaupt noch notwendig, wenn das Motiv einer zusätzlichen Kapitalbeschaffung durch den SAP-Einstieg weitgehend obsolet geworden ist? Spielen jetzt vielleicht nur noch Imagegründe eine Rolle?

Scheer: Ich gebe zu, daß dieses Thema derzeit en vogue ist. Und für einen Auftritt an der Nasdaq würde ich den Begriff Imagebildung sogar gelten lassen, weil eine Notierung in New York immer ein gewisses Standing im US-Markt nach sich zieht. Für uns war aber der schon seit längerem geplante Börsengang immer Teil der Unternehmenskonzeption - zum Beispiel auch als Instrument, mit dem sich eine Mitarbeiterbeteiligung realisieren läßt.

Kritische Grösse erreicht

Die 1985 gegründete IDS Prof. Scheer Gesellschaft für integrierte Datenverarbeitungssysteme mbH galt als eines der wenigen unabhängigen deutschen Softwarehäuser, die nicht nur im Umfeld eines großen Anbieters mit entsprechendem Dienstleistungs- und Beratungsgeschäft, sondern auch mit erfolgreicher Produktentwicklung existieren können. Ursprünglich aus dem Institut für Wirtschaftsinformatik an der Universität des Saarlandes hervorgegangen, wuchs die Saarbrücker Softwareschmeide kontinuierlich - vor allem auch mit dem Absatz eigener Lösungen im Bereich Prozeßmodellierungstools und Fertigungssteuerungssysteme. Allein im Geschäftsjahr 1996 stiegen die Umsätze um 47 Prozent auf über 88 Millionen Mark - bei rund 550 Mitarbeitern. Erste Gehversuche in Sachen Internationalisierung (unter anderem die Etablierung einer US-Tochter) waren vielversprechend. Das Unternehmen ist mittlerweile in rund 30 Ländern mit Niederlassungen oder Partnerfirmen vertreten - eine Struktur, die nun aber offensichtlich zu groß und zu teuer für einen Alleingang wurde. Das Schicksal von Ixos, KHK, Ploenzke, Strässle, Software Union & Co. läßt grüßen!