"Vor 15 Jahren sprach noch niemand von einem Datenmodell"

IDMS-Anwender über Krisen und Probleme bei der Zusammenarbeit mit dem DB-Anbieter Cullinet

05.05.1989

Das Datenbank-Management-System IDMS aus der Cullinet-Schmiede in Westwood/Massachusetts galt vor einem halben Jahrzehnt als aussichtsreichster Kandidat gegen das IBM-Produkt IMS. Doch vor etwa drei Jahren rutschte die Bilanz des Herstellers in den roten Bereich. Seither macht das Gerücht die Runde, Cullinet stehe kurz vor dem Verkauf an Computer Associates. Der neueste Isis-Report weist für den deutschsprachigen Raum mehr als 150 Installationen aus; die Anwendervereinigung IDMS Deutschland und Schweiz (AID) zählt mittlerweile 82 Kundenunternehmen zu ihren Gesellschaftern. Am Rande der diesjährigen Benutzertagung fragte CW-Redakteurin Karin Quack die AID-Geschäftsführer Hans Kosolowski, Hans-Peter Kotowski und Peter Ulitz nach ihrer Einschätzung der Cullinet-Strategie und den möglichen Folgen für die Kunden.

- Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit der AID mit dem Hersteller?

Kosolowski: Wir haben seit Herbst vergangenen Jahres einen Ansprechpartner bei Cullinet, der unsere Kritik, Argumente, Forderungen und Wünsche aufnimmt und verarbeitet. Seither verhält sich der Hersteller uns gegenüber nicht mehr länger wie eine Wand.

- Wie war das Verhältnis AID-Cullinet vorher?

Kosolowski: Seit es Cullinet in Deutschland gibt, haben wir viele Wünsche und Forderungen vorgetragen, und zwei Jahre lang hat sich da sehr wenig getan.

- Was hat sich geändert, als Cullinet im Mai 1986 die deutschen Vertriebsrechte für IDMS von der ADV-Orga übernahm?

Ulitz: Zunächst einmal ist eine Zwischenstation weggefallen. Zuvor mußten wir immer über ADV-Orga an Cullinet herantreten. Die Kontakte zwischen ADV-Orga und Cullinet waren auch nicht immer die besten. Das heißt, es gab für unsere Anliegen einen Filter, der oft undurchlässig war. Dadurch, daß wir jetzt direkten Kontakt zum Hersteller haben, ist vieles einfacher geworden. Kosolowski: Außerdem tut sich Cullinet Deutschland leichter mit der Cullinet-Zentrale als die ADV-Orga.

-Trotzdem gab es eine mehr als zweijährige Durststrecke . . .

Kosolowksi: Das müssen Sie vor dem Hintergrund jenes Vertrags sehen, den Cullinet und die ADV-Orga geschlossen hatten. Der sah in der Praxis so aus, daß beide ein Jahr lang nichts getan haben oder nichts tun konnten.

Ulitz: Nichts tun durften.

Kotowski: Der eine durfte nicht, und der andere tat nichts.

Kosolowski: Das ging vom Mai 1986 bis zum Mai 1987, ein ganzes verlorenes Jahr.

Ulitz: Wie Sie sich erinnern werden, durfte Cullinet in diesem Jahr den Vertrieb nicht aufnehmen. Und ADV-Orga hatte im Prinzip kein Interesse mehr daran. Damit haben sich die beiden Anbieter gegenseitig blockiert. Wie Cullinet selbst zugab, war dieser Vertrag ein Riesenfehler. Zwar hatte der Hersteller das Problem, zunächst einmal eine Organisation aufzubauen. Aber es hatte sicher bereits nach einem Vierteljahr Möglichkeiten gegeben, am Markt aktiv zu werden.

Kosolowski: Als wir damals davon hörten, sind wir aus allen Wolken gefallen. Jedem, der auch nur halbwegs etwas von dem Geschäft versteht, war klar, wie das in der Praxis ablaufen mußte. Aber wir konnten nichts daran ändern.

Kotowski: Die ADV-Orga hat damals die heißen Kontakte zu Ende gebracht und die Provision kassiert aber nichts Neues aufgebaut. Doch die Entscheidung für ein Datenbanksystem fällt beim Anwender nicht innerhalb von vierzehn Tagen.

Kosolowski: Das alles hat uns natürlich unwahrscheinlich viel Arbeit gekostet. Wir hatten ständig Forderungen und Wünsche, aber infolge dieser Situation konnte sich nur sehr wenig ändern. Und dann gab es auch eine Zeit, wo Cullinet mit sich selbst so viele Probleme hatte, daß man dort den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sah. Insofern ist aus unserer Sicht der personelle Wechsel im vergangenen Jahr sehr zu begrüßen. Denn seither tut sich etwas.

- Wie stehen Sie dazu, daß es keinen Nachfolger für Hans Duve auf dem Sessel des deutschen Geschäftsführers gibt?

Kosolowski: Es gibt eigentlich sogar zwei Geschäftsführer, nämlich Thomas Eckhardt, der für Cullinet Europa als Personalchef tätig ist und als kommissarischer Mitgeschäftsführer fungiert, und den europäischen Entscheider, John McIntyre. Das darf aber sicherlich kein Dauerzustand sein. Spätestens nach Ablauf von zwei Jahren muß wieder jemand da sein, der das Fulltime macht.

Ulitz: Auf der anderen Seite geht unser Bestreben dahin, daß - wenn ein deutscher Geschäftsführer kommt - es sich um einen wirklich qualifizierten Mann handelt. Deshalb ist es nicht so wichtig, ob das nun ein halbes oder ein ganzes Jahr länger dauert.

- Ist schon jemand Bestimmtes im Gespräch?

Kosolowski: Nein.

- Cullinet ist offiziell nur als Gast hier . . .

Ulitz: Das ist nicht richtig. Cullinet ist auch als Gesellschafter hier.

Kosolowski: Bisher haben wir es kategorisch abgelehnt, Softwarehäuser als Gesellschafter aufzunehmen - bis auf zwei Ausnahmen: ADV-Orga und Cullinet.

- Was sind heute die Auswahlkriterien für ein Datenbank-Management- System für Anwender?

Kotowski: Die Frage ist, in welchen Unternehmen heute noch Datenbanksysteme ausgewählt werden. Die großen Anwender zumindest haben alle eines.

- Was ist mit dem Ablösegeschäft?

Kotowski: Von dem Augenblick an, in dem der Anwender wesentliche Teile seiner täglichen Bearbeitung mit diesem System durchführt, ist er daran gebunden. Eine Änderung ist hier keineswegs eine Sache von ein paar Monaten, sondern ein Entwicklungsprozeß, der mit dem vergleichbar ist, der auf das Unternehmen zukäme, wenn es ganz neu beginnen würde.

- Muß etwa auch das Datenmodell neu erarbeitet werde?

Kotowski: Meine Erfahrung ist, daß nur sehr wenige Unternehmen ihr Datenmodell so entwickelt haben, daß es unabhängig vom Datenbanksystem brauchbar ist. Außerdem leben die großen Firmen teilweise seit 15 Jahren mit ihrem System Als sie damit anfingen , sprach noch niemand von einem Datenmodell oder von einem logischen Entwurf.

- Aber was unterscheidet ein gutes von einem weniger guten Datenbank- Management-System?

Kotowski: die Tool-Umgebung ist enorm wichtig, aber ihr wird bei der Entscheidung meist nicht der erforderliche Raum gegeben. Eine gute Performance ist ebenfalls unabdingbar. Es nützt mir nichts, ein relationales System einzuführen und in Schönheit zu sterben, weil ich meine Transaktionen nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit durchbekomme. Wichtig ist auch, was auf der Kostenseite anfällt.

- Können Sie guten Gewissens einem Kollegen, der die Möglichkeit zur Entscheidung hat, noch zu IDMS raten?

Kosolowski: Selbstverständlich, das ist für uns überhaupt kein Thema.

- Welche Argumente sprechen denn dafür?

Kosolowski: Vor allem die Integration.

Kotowski: Das IDD, also das Data-Dictionary von IDMS, erfüllt zwar nicht alle theoretischen Bedingungen. Und mir fallen eine ganze Reihe von Dingen ein, die man dort verbessern könnte und müßte. Trotzdem reicht keines der anderen Systeme an ihn heran. Ich kann zwar verstehen, daß die IMS-Anwender glücklich sind, jetzt DB2 mit dem Katalog zu haben.

Andererseits kann jemand, der ein integriertes Dictionary gewöhnt ist, nicht begreifen, wie DB2 ohne Data-Dictionary betrieben werden kann.

- Die IDMS-Version 10.2 wurde auf dieser Konferenz als Reizthema bezeichnet. Wie ist das zu verstehen?

Kosolowski: Bei der um das Jahr 1985 erfolgten Umstellung von Release 5.7 auf die relationale Version 10.0 gab es erhebliche Schwierigkeiten. Da hatte sich Cullinet sehr viel, vielleicht zu viel auf einmal, vorgenommen. Bis das bei allen Kunden richtig lief, vergingen Jahre. Insofern reagieren wir bei jeder neuen Version etwas allergisch.

- Welche Konsequenzen hat die AID daraus gezogen?

Kosolowski: Damals gab sich die Benutzervereinigung ihre heutige, straffere Organisationsform.

- Cullinet erzielt seit drei Jahren keine Gewinne mehr. Wie reagieren Sie als Anwender darauf?

Kosolowski: Zunächst muß man dieses Problem von verschiedenen Seiten betrachten. In Europa und in Deutschland wurden meines Wissens durchaus Gewinne erzielt. Davon abgesehen, lügen wir uns natürlich in die Tasche, wenn wir behaupten, es sei beruhigend, daß Cullinet rote Zahlen schreibt. Allerdings wurden dort bisher wenig Fremdgelder in die Entwicklung einbezogen. Insofern gibt es ein gewisses Reservoir, daß sich noch ausschöpfen läßt.

Kotowski: Zur Zeit haben sich für die deutschen Anwender noch keine unmittelbaren Auswirkungen ergeben. Die Sorge darüber, wie es mit Cullinet insgesamt weitergehen soll ist allerdings vorhanden .

Ulitz: Probleme für die Anwender gibt es insofern, als in vielen Firmen die Leute, die an der Entscheidung für IDMS mitgewirkt haben, heute unter einem gewissen Druck von seiten der obersten Entscheidungsebene stehen, obwohl die operationale Ebene mit dem Produkt voll zufrieden ist.

- Die Branche spekuliert wieder einmal, Cullinet werde an Computer Associates verkauft. Wie ernst nehmen Sie solche Gerüchte?

Kosolowski: Das wäre für das Produkt furchtbar. Denn CA hat schon zwei Datenbanksysteme, die ADR-Entwicklung Datacom und das eigene Produkt CA-Universe. Eine Übernahme würde sich als katastrophal auf die Entwicklung von IDMS auswirken. Das wäre für uns das Schlimmste überhaupt.

Kotowski: Außerdem käme man dadurch möglicherweise vom Regen in die Traufe. Denn irgendwann kauft sich auch CA zu Tode.