Interview

"Ich warte nicht, bis der Vorstand zu mir kommt"

30.10.1998

CW: Sie sind einer von wenigen IT-Verantwortlichen im deutschsprachigen Raum, die den Titel Chief Information Officer führen. Was unterscheidet Sie von einem DV-Leiter?

Keller: Ich weiß es nicht so genau, weil ich nie ein DV-Leiter war. Bevor ich vor fünf Jahren CIO wurde, war ich Generaldirektor bei Unisys und bei DEC.

CW: Warum sind Sie von der Anbieter- auf die Kundenseite gewechselt?

Keller: Ein Hilti-Vorstand, mit dem ich gut bekannt war, bat mich: Wir haben da ein großes Projekt, und wir brauchen jemanden, der es leitet. Das Wort CIO hat er nicht benutzt, vielmehr suchte er nach einem Generaldirektor, der etwas von der DV verstand.

CW: Ist das Ihre Definition für CIO?

Keller: Also gut, ich kann es Ihnen erklären: Ein DV-Leiter ist dafür verantwortlich, daß die Systeme hundertprozentig funktionieren. Ein CIO muß wesentlich mehr vom Business verstehen. Ich verfechte nicht die DV, sondern die Firma. Technologie interessiert mich nur, wenn sie die Wertschöpfung verbessert.

CW: Wie wirkt sich dieser Unterschied in der Praxis aus?

Keller: Nehmen Sie zum Beispiel die Einführung einer neuen Anwendung. Für den DV-Leiter ist die Arbeit getan, wenn das System läuft - für den CIO noch lange nicht. Er hat seine Aufgabe erst gelöst, wenn der gesamte Prozeß optimiert, alle Mitarbeiter geschult und die erwartete Wertschöpfung erreicht sind. Außerdem sollte ein CIO kritisch gegenüber der Technik sein.

CW: Was meinen Sie damit?

Keller: Beispielsweise in bezug auf das Thema E-Commerce, das jetzt in aller Munde ist. Bevor wir ein solches anspruchsvolles Internet-Projekt starten, sollten wir uns zunächst einmal überlegen, wie E-Commerce überhaupt in unsere Verkaufsstrategie hineinpaßt. Da muß ein CIO auch schon einmal hart bleiben.

CW: Wenn ein Vorstand, der selbst wenig Ahnung von der Technik hat, über die Medien oder einen Kongreß von den Vorzügen einer neuen Applikation oder Architektur überzeugt wurde, ist es sicher schwer, sie ihm wieder auszureden.

Keller: Das ist die Argumentation eines DV-Leiters. Ich würde nie versuchen, dem Vorstand etwas auszureden. Vielmehr würde ich ihm eine Alternative anbieten. Außerdem warte ich als CIO nicht, bis der Vorstand auf mich zukommt, sondern handle vorausschauend. Ist die Kommunikation mit dem Vorstand gut, so stellt sich das Problem in dieser Form sowieso nicht. Und wenn die Geschäftsführung einmal vor uns von einer gute Idee oder einer neuen Entwicklung gehört hat, übernehmen wir das gern, denn wir handeln ja im Interesse der Unternehmung und nicht zugunsten unseres Machterhalts.

CW: Dazu sollte sich der CIO intensiv mit der Denk- und Handlungsweise des Vorstands auseinandersetzen.

Keller: Ja, sicher. Ein CIO muß sich in die Probleme eines Vorstands hineindenken können. Wenn er wartet, bis der Vorstand ihm den Anstoß zu einer IT-Strategie gibt, ist es meistens zu spät. Gute Strategien werden nur in der intensiven Auseinandersetzung mit allen Beteiligten entwickelt.

CW: Wie sorgt der CIO am wirkungsvollsten dafür, daß er über das, was im Vorstand besprochen wird, rechtzeitig informiert ist?

Keller: Er darf nicht warten, bis er informiert wird, denn er wird nie rechtzeitig informiert. Vielmehr muß er die Initiative ergreifen und den ständigen Dialog mit den entscheidenden Leuten führen. Eine Strategie entsteht schließlich nicht von heute auf morgen. Für viele Dinge ist im übrigen gar keine große Strate- gie notwendig. Wenn Sie in einer global orientierten Firma arbeiten, wissen Sie, daß Sie Informationen austauschen müssen und deshalb ein Netzwerk brauchen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Da muß der Vorstand nicht extra betonen, daß das Unternehmen Kommunikation benötigt.

CW: Mit anderen Worten: Der CIO muß nicht unbedingt einen Sitz im Vorstand haben, um mitdenken zu können.

Keller: Der Dialog hängt nicht von einem Sitz im Vorstand ab. Andererseits ist es für einen CIO, der seine Rolle optimal spielen will, einfacher, wenn er im Vorstand sitzt. In machen unserer Landesorganisationen ist der lokale CIO deshalb in dieser Position.

CW: Und Sie selbst?

Keller: Meine Stellung hier ist davon unberührt. Ich habe einen Ausnahmechef, der mir weitgehend freie Hand läßt, so daß ich selbst wie ein Unternehmer handeln kann.