Ich fahre nicht nach Hannover

22.04.1977

Ich fahre nicht nach Hannover. Was entgeht mir da alles? Prächtige Messe-Stände und echte Neuheiten, Vorführungen und interessante Zubehör-Angebote, Prospekte und Messe-Flair, kleine Geschenke und der Anblick fescher Messe-Mädchen.

Was nehme ich aber dafür in Kauf? Stand-Personal, das manchmal nicht kompetent ist oder keine Zeit für mich hat; gewisse Darbietungen, die mit dem, was mich interessiert, nichts zu tun haben; Werbeslogans und Beschreibungen, die ich dreimal lesen muß, um zu wissen, daß ich immer noch nichts weiß; eine Bockwurst im Stehen; zwei geopferte Arbeitstage.

Überwiegen die Vorteile?

Die Frage ist nicht generell zu beantworten. Ohne Zweifel nützlich ist die Messe dem Anwender, der gerade im Begriff ist, etwa ein Datenerfassungs-System, einen Bürocomputer, eine Offline-Druckerkonfiguration auszuwählen oder der größere Anschaffungen beabsichtigt. Er erhält auf der Messe einen umfassenden Überblick über den Markt und bringt große Tüten mit Drucksachen nach Hause. Dort tut er freilich gut daran, anhand der Prospekte und des Telefonbuches erst einmal die Präsenz der einzelnen Firmen in seiner Nähe zu überprüfen. Und gleich macht er eine wichtige Entdeckung: Firmen mit großer Messebesetzung sind oft gar nicht so groß, ja, in mancher Großstadt nicht zu finden. Die anschließende Ausschreibung bringt die nächste Erkenntnis: Manche Firmen, die ihn auf der Messe noch mit Elan umworben haben, scheinen plötzlich kein besonderes Interesse mehr an einer Geschäftsverbindung zu haben. Die Ausschreibung wird nämlich nicht termingerecht oder nur oberflächlich beantwortet.

Dennoch sind in solchen Fällen die Messe-Eindrücke wichtig und gehören zur Gesamtbeurteilung der zur Auswahl stehenden Anbieter.

Von großem Wert ist ein ausgedehnter Messe-Besuch für die Marketing- und PR-Spezialisten und die Vertriebsleute der Hersteller. Nirgendwo sonst können sie so unmittelbar erfahren, wie, womit und wofür die Konferenz wirbt.

Dem EDV-Neuling vermag die Messe wichtige Ergänzungen seines Wissens zu liefern: Er sieht, daß es nicht nur einen Hersteller gibt. Er bekommt einen Eindruck davon, wie vielschichtig und farbig die Branche ist und welche Randgebiete dazugehören.

Anders steht der Anwender, der bis über den Kopf in den Tagesproblemen steckt, zu der Frage wie nützlich für ihn ein Messe-Besuch sein kann. er weiß, daß ihn auf den Ständen der großen Hersteller nicht viel unbekanntes erwartet: Den neuen Drucker kann er sich bald im örtlichen Kundenrechenzentrum oder anläßlich der ersten Installation bei einem Anwender ansehen, wo man für seine Fragen auch mehr Zeit haben wird. Bei Zentraleinheiten und Großplatten wird ihm ein Prospekt mit technischen Merkmalen wichtiger sein als die Original-Ansicht, und die Spielchen mit Carrera-Rennbahnen und Reaktionszeitmessung sind vielleicht doch für fachlich weniger vorbelastete Messe-Besucher gedacht. Ein Datensichtgerät schließlich hat zwischenzeitlich wohl auch jeder einmal gesehen. System-Vorführungen können im Messe-Rummel kaum mit der erforderlichen Intensität und Konzentration verfolgt werden. Hier scheint auch eine gewisse Skepsis angebracht, zumal man da schon von "potemkinschen Dörfern" gehört haben soll. Software auf der Messe ist - so meine ich - ein Problem: Über einen gewissen Anstoß und vielleicht noch einige Highlights hinaus kann der Messe-Besucher kaum den großen Einblick gewinnen. Eine gut aufgemachte Kurzbeschreibung in der Tagespost informiert mich gründlicher.

Fazit: Auch für den Messe-Besuch gilt: Ja, wenn triftige Gründe vorliegen, wenn ein Gewinn aus dem Aufwand zu erwarten ist. Nein, wenn es nur darum geht, dort gewesen zu sein.

Übrigens: Zur Systems nach München sollen doch dieses Jahr auch die großen Hersteller kommen. Na also!

Ich fahre jedenfalls nicht nach Hannover.

*EDV-Leiter in München