Semiconductor-Industrie reagiert zyklisch:

IC-Branche fährt Gewinnerwartungen zurück

07.12.1984

MÜNCHEN (aw) - Nach der jüngsten Präsidentschaftswahl in den USA gab es keine neuen Anregungen und Kursgleichungen, sondern Kursverluste. Die US-Steuerreform ist nicht dazu angetan, den Aktienmarkt positiv zu beeinflussen. Eine höhere Belastung bei Aktiengewinnen von Privatanlegern und eine Verlängerung der Abschreibungsfristen bei Unternehmen werden die Liquidität für Aktienanlagen eher schmälern und das Kurssteigerungspotential - zumindest kurzfristig - weiter senken. In den vergangenen Tagen kam es bereits zu einer Welle von Verleiderverkäufen, die zu sparbaren Indexrückschlägen führten.

Ein größerer Konjunkturabschwung in den USA ist nicht zu erwarten. Die augenblicklichen Zinsrückgänge (Tagesgeld unter neun Prozent) machen sogar eine Konjunkturbelebung ab Frühjahr 1985 wieder möglich. Die gegenwärtige Konjunkturentwicklung unterscheidet sich ganz wesentlich von sämtlichen Konjunkturzyklen der Nachkriegszeit. Während sich in der Vergangenheit die Rohstoffpreise während des Konjunkturaufschwungs stark erhöhten (Inflation), erleben wir zur Zeit eine sich fortsetzende nachhaltige Abschwächung der Rohstoffpreise trotz konjunkturellen Wachstums (Deflation). Die leichten Konjunkturabschwächungstendenzen in den USA werden diesen Trend noch verstärken.

Die Chance für sich fortsetzende Zinssenkungen sind - zumindest mittelfristig - dagegen weiter gut. Der Zinsrückgang der letzten Monate war nicht stärker als der Rückgang der Inflation. Die Realzinsen (Zins minus Inflation) sind weiterhin so hoch wie nie während der Nachkriegszeit. Dies sollte weitere Kurssteigerungen bei festverzinslichen Anlagen und zinsabhängigen Aktien möglich machen.

Auch die DV-Branche reagiert auf diese Entwicklung. Konjunkturzyklisch verhalten sich hierbei die Halbleiterhersteller. Amerikanische Produzenten, die im laufenden Jahr etwa drei Milliarden Dollar in Produktionsanlagen investieren wollten, strecken nunmehr die Investitionsvorhaben.

Die Einstellung von neuem Personal wurde zunächst weitgehend zurückgestellt. So gab der siebtgrößte Halbleiterhersteller der Welt, National Semiconductor (NatSemi), bekannt, auch auf die geplante Erweiterung der Fertigungsanlagen im schottischen Greenock zu verzichten.

Für die gesamte Branche stellt sich die Frage, ob nach Jahren traumhafter Expansion die deutlich spürbaren Preisrückgänge für Halbleiterelemente der Anfang eines scharfen, anhaltenden Preisrückgangs ist. Im Silicon Valley hat man sich zunächst auf die Sprachregelung geeinigt, daß der Bedarf an Halbleiterelementen weiter steige und die rückläufigen Absatzzahlen der jüngsten Vergangenheit auf zu hohe Lagerbestände bei den verarbeitenden Industrien zurückzuführen sei. Die Börse scheint hier anderer Meinung zu sein, National Semiconductor fielen während des zweiten Halbjahres von 16 auf 11,1 Dollar, Motorola von 44 auf 32 Dollar, Texas Instruments von 145 auf 120 Dollar, Intel von 48 auf 30 Dollar sowie Advanced Micro Devices von 41 auf 28 Dollar. Diese Aktiengruppe sollte weiter gemieden werden.

Weitaus optimistischer geben sich die japanischen Halbleiterhersteller. Das führende japanische Wertpapierhandelshaus, Nomura Securities, veröffentlichte, daß es zur Zeit keine Überversorgung der weiterverarbeitenden Industrie mit Halbleiterelementen gäbe, noch während dieses Jahres geben werde. Lediglich die anlaufende Produktion qualitativ hochwertiger Bauelemente (DRAMs) könnte den Verkauf der bisherigen Generation weniger leistungsfähiger Halbleiterelemente bremsen.

In Japans Binnenmarkt ist im laufenden Jahr noch kein Rückgang der Nachfrage zu verspüren. Dennoch werden die Prognosen vorsichtiger. Ein Rückgang bei der Produktion von Videorecordern und Bürokommunikationstechnik, beides Bereiche, die in starkem Maße auf den Einsatz von Halbleiterelementen angewiesen sind, hat zu ersten skeptischen Stimmen bezüglich eines Andauerns des Absatz- und Preisbooms geführt.

Japan exportiert die Hälfte seiner Halbleiterproduktion. Die USA sind der Hauptabnehmer. Die Dollarstärke der vergangenen Monate hat hier zu unerwartet guten Erträgen geführt.

Diese starke Abhängigkeit von Export in die USA ist nicht nur für die Halbleiterindustrie, sondern die gesamte DV-Branche gefährlich. 1983 exportierte Japan elektronische Produkte im Werte von 51 Milliarden Dollar in die USA. Der in den zurückliegenden Jahren wachsende wirtschaftliche Protektionismus könnte dazu führen, daß die japanischen Hersteller mit Einfuhrbeschränkungen konfrontiert werden.

Auf Dollarbasis gerechnet, würde sich die Produktion europäischer Halbleiterelementehersteller im laufenden Jahr um 55 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöhen. Dennoch liegt Westeuropa weit hinter den beiden Haupt-Mitwettbewerbern USA und Japan zurück. Für 1984 erwarten Experten, daß Halbleiterelemente im Wert von 2,6 Milliarden Dollar (nach 1,8 Milliarden Dollar 1983) eingeführt werden müssen. Europäusche Hersteller richten sich auf eine bevorstehende Marktkorrektur ein. Der vierzehntgrößte Hersteller von Halbleiterelementen der Welt (zweitgrößter in Europa), Siemens, hat die Gewinnerwartungen für diesen Bereich für das kommende Geschäftsjahr deutlich zurückgefahren.

Die Aktienmärkte haben auf diese veränderte Erwartung reagiert. So fielen in Deutschland Electronic 2000, die bisher außergewöhnlich stark von den Lagergewinnen durch Preisanstieg profitierten, um 100 Mark auf 510 Mark zurück.

Die hohen Kurs/Gewinn-Verhältnisse, die sich während des Kursaufschwungs seit August 1982 bei Aktien aus der EDV-Branche gebildet haben, gefährden diese Papiere bei Rückschlägen besonders. Die Markttechnik in Wall Street gibt weiterhin keine Kaufsignale, sondern mahnt zur Vorsicht.

Die Grafik zeigt, daß zuwenig Pessimismus für einen bevorstehenden Kursaufschwung vorhanden ist. Dieser Indikator geht von der - immer wieder gleichen - Grundüberlegung aus, daß bei großem Optimismus die Anleger und Institutionen weitestgehend investiert haben und weitere Kurssteigerungen nicht mehr möglich sind. Umgekehrt hat der Markt den Großteil eines Kursrückschlages hinter sich, wenn besonders viel Pessimissus herrscht, Grund: dieser Pessimismus wurde erstens durch die Kursrückschläge aufgebaut und hat zweitens dazu geführt, daß die eingegangenen Positionen aufgelöst worden sind.

Die Chart der negativ gestimmten Börsenberater wurde zusammen mit der A/D-Linie US-Aktien abgebildet. Die A/D-Linie ist die grafische Darstellung der täglichen Subtraktion der Anzahl der gefallenen Aktien von den gestiegenen. Das Ergebnis dieser Subtraktion wird summiert. Die A/D-Linie bietet ein zuverlässiges Marktbild als die Indices. Der Kursrückschlag der 2. Hälfte 1980 und Mitte 1983 wurde von dem Indikator zuverlässig angezeigt. Betrachtet man die aktuellen Zahlen, so scheint die Möglichkeit einer Rallye in Wall Street sehr unwahrscheinlich.

Weiter deutlich unter Druck steht der PCM-Hersteller Amdahl Corp. Dieser an der American Stock Exchange gehandelte Titel befindet sich auf einer seit Monaten andauernden Talfahrt. Gemessen an den Höchstkursen des laufenden Börsenzyklus hat sich die Aktie bereits gedrittelt. Die für das dritte Quartal 1984 ausgewiesenen Gewinne haben erneut enttäuscht. Das Kurs/Gewinn-Verhältnis - hochgerechnet auf den Gewinn für das dritte Quartal - beträgt nahezu 30. Selbst wenn man ein gewinnstarkes viertes Quartal voraussetzt, dürfte Amdahl 1984 pro Aktie kaum mehr als einen halben Dollar verdienen können.

Hewlett-Packard zeigte große relative Stärke während der Konsolidierung seit Mitte 1983. Allerdings notiert die Aktie sur Zeit nahe ihren Tiefstkursen während der laufenden Konsolidierung. Für Rückläufe ist es noch zu früh. Die jüngsten Kursrückschläge wurden auch bei Hewlett Packard durch enttäuschende (Gewinnmitteilungen für das dritte Quartal 1984 ausgelöst (52 nach 57 Cents im zweiten Quartal). Dies fiel besonders unangenehm nach dem kontinuierlichen Gewinnwachstum der vergangenen Jahre auf.

Die Übernahme von Rolm durch IBM ist vollzogen. Die Übernahmebedingungen waren fair. Die 77,8 Prozent IBM-Wandelanleihe, die Rolm-Aktionäre im Tausch erhielten, notiert bei 98 Prozent.

Einer der wenigen interessanten Technologiewerte an der deutschen Börse, Siemens, brachte hervorragende Zahlen für das laufende Geschäftsjahr. Eine Dividendenerhöhung von acht auf zehn Mark wurde beschlossen. Diese Entscheidung - von Teilen der Wirtschaftspresse als besonders aktionärsfreundlich gefeiert - war längst überfällig. Auf mehrere Monate Sicht dürfte dies die positivste Nachricht bleiben. Getreu dem schon so oft richtigen Grundsatz "Sell on Good News" sollten die Kursgewinne bei Siemens zunächst einmal mitgenommen werden. Ein Kursrückschlag von fünf bis zehn Prozent scheint nicht unwahrscheinlich. Die denkbare Kapitalerhöhung könnte kurzfristig eher kursbelastend wirken.

Deutsche DV-Werte erscheinen weiterhin zu hoch bewertet. Insbesondere Electronic 2000 sollte weiter abgegeben werden.