Konsolidierung bis in die Hardware?

IBMs AS/400 und RS/6000 wachsen weiter zusammen

30.01.1998

Joseph Reger, bei der IBM in Deutschland Technikexperte (im IBM-Jargon "Chefdesigner") für die Midrange-Server, erläuterte im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE, wie die technische Konsolidierung seiner Ansicht nach aussehen wird.

Daß eine Zusammenführung der beiden Midrange-Linien bei der Hardware technisch machbar ist, steht für Reger außer Frage: "Die hundertprozentige Gleichheit kann erreicht werden. Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß es in zwei oder drei Jahren bei der IBM eine Midrange-Maschine gibt, die je nach verwendetem Betriebssystem eine AS/400 oder eine RS/6000 ist."

Technisch käme sogar eine Dual-Boot-Option (= beim Start kann der Benutzer zwischen zwei Betriebssystemen wählen) in Betracht. Ob so etwas auch in die Firmenpolitik paßt, wagt Reger nicht zu prognostizieren: "Ob wir das wirklich umsetzen, ist allerdings die Frage."

Der Übergang zu identischen Maschinen wird ohnehin nicht auf einen Schlag kommen. Reger erwartet, daß in den kommenden zwei bis drei Jahren zunächst zunehmend mehr Komponenten und nach und nach auch einzelne Modelle identisch sein werden.

Was ändert sich für den Anwender?

Der Midrange-Technologe legt großen Wert auf die Feststellung, daß es bei den Plänen von Big Blue um eine reine Hardware- und Herstellungskonsolidierung geht. Diese ändert nichts an der unterschiedlichen Positionierung der beiden Linien. "Die verschiedenen Server der IBM - vom PC-Server bis hin zur S/390 - werden künftig teilweise gleiche Eigenschaften entwickeln, ganz einfach weil die Anforderungen, etwa durch Electronic Business oder Internet, dieselben sind. Aber ihre Markenidentität werden sie alle behalten, weil sie ganz verschiedene Kundensegmente bedienen."

Dieses Zusammenwachsen bei gleichzeitiger Bewahrung der Identität schlägt sich in den neuen Strukturen beim Hersteller IBM nieder, wo künftig Generalisten mit Spezialisten Hand in Hand arbeiten sollen. Nach der Zusammenlegung der Bereiche PC-Server, AS/400 und RS/6000 sowie Open Storage unter dem Mid- range-Server-Dach gibt es einen zentralen Support und damit auch nur noch einen Ansprechpart- ner für die RISC-Plattformen. Lediglich die "Netfinity"-Server werden aus historischen Grün- den weiter vom PC-Bereich betreut.

Die Vertriebsmannschaften von AS/400 und RS/6000 hat man zusammengelegt, für die PC-Server und den Speicherbereich gibt es je eine eigene Sales Force. Vor allem aber sind vier lösungsorientierte und plattformübergreifende Solution Teams entstanden, die sich der Bereiche Standardsoftware, Notes- und Web-Server, Business Intelligence sowie Server-Konsolidierung annehmen.

Elke Preuß-Giangarra, Director of Midrange Systems Sale, erläutert das neue Konzept: "Wir bemühen uns um eine stärkere Marktorientierung und wollen die Kunden plattformübergreifend beraten, auch als Bindeglied zwischen Midrange und dem S/390-High-end.

Statt Konkurrenz zwischen den einzelnen Abteilungen und internem Gerangel um Abschlüsse sollen unsere neuen Lösungsteams für einen Kunden den IBM-Vorschlag erarbeiten, der am besten auf seine Situation paßt."

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Auf seiten der Hardware hat die IBM bereits vor einigen Jahren begonnen, bei der AS/400 und der RS/6000 so weit wie möglich gleiche Komponenten einzusetzen. Das geht schon heute über die identischen Prozessoren (siehe Kasten) deutlich hinaus. Beide Rechnertypen setzen inzwischen beim I/O-Bussystem verstärkt auf die aus dem PC-Bereich bekannte PCI-Technik. Zunehmend kommen auch dieselben (Serial-Storage-Architecture-) = SSA-Plattensubsysteme aus hauseigener Produktion zum Einsatz.

Schon heute laufen beide Mittelklasse-Serien in der gleichen Fertigungsstätte vom Band. In den USA erfolgte die Umstel- lung erst im vergangenen Herbst und sorgte für großen Presserummel. In Europa fertigt die IBM schon seit vielen Jahren sowohl die AS/400 als auch die RS/6000 im italienischen Santa Palomba.

Dennoch trennen beide Linien trotz vieler Gemeinsamkeiten heute noch entscheidende Details der Systemarchitektur. Das größte Problem für eine potentielle Hardware-Angleichung liegt im Memory-Subsystem. "Die RS/6000 besitzt aufgrund ihres Unix-Betriebssystems ein einfach strukturiertes, lineares Speichersubsystem. Die AS/400 dagegen hat eine ganz besondere Hard- und Software-Architektur. Vor allem die Darstellung von Zeigern ist deutlich komplexer - man kann etwa überprüfen, ob ein Pointer noch gültig ist - und wirkt sich auch auf die Hardware aus", erläutert der IBM-Experte.

Ein theoretisches, gemeinsam nutzbares Speichersubsystem kann sich Reger so vorstellen, daß es zur Bootzeit entsprechend konfiguriert wird. Das sei eine Aufgabe der Software. Keinesfalls werde man OS/400 und speziell dessen Speicherverwaltung ändern, um sich neuer Hardware anzupassen. Die seit Einführung der AS/400 bestehende Binärkompatibilität von Anwendungsprogrammen (auch alte Applikationen laufen auf aktueller, ganz anders aufgebauter Hardware) habe hier oberste Priorität.

Ein weiterer Unterschied zwischen AS/400 und RS/6000 liegt in der unterschiedlichen Behandlung von Hardware-Erweiterungen: "Wenn Sie in eine AS/400-Maschine irgendeine Subkomponente einschieben, kann das System anhand elektronischer Kennungen feststellen, ob sie zulässig ist", so Reger. Bei der RS/6000 gibt es solche Hardware-Überprüfungen hingegen nicht. Dennoch könnten Komponenten mit elektronischem AS/400-Gütesiegel ohne weiteres auch unter AIX zum Einsatz kommen. Dafür hat der IBM-Chefdesigner eine simple Lösung parat: "Diese Funktionen könnte man in einer RS/6000 einfach abschalten, und fertig.

Sonderfall AS/400

Seit seiner Einführung verfügt das Betriebssystem der AS/400 über einen Hardware Abstraction Layer, der die Anwendungssoftware weitgehend von der darunterliegenden Technik abkoppelt. Das OS/400 ist somit vergleichbar mit Sunsofts Internet-Programmiersprache Java. Es besitzt genau wie diese quasi eine "virtuelle Machine", die universellen Code abarbeitet. Auf diese Weise konnte die Rochester-Division - wenn auch unter Zuhilfenahme 700seitiger Anleitungen für die Anwender - den Wechsel von proprietären CISC-Prozessoren auf die Power-PC-Architektur und auf deren 64-Bit-Variante realisieren.

Identische CPU

Bereits heute sitzen in der AS/400 und RS/6000 identische Prozessoren. Es handelt sich dabei um eine 64-Bit-CPU, die vom AS/400-Team in Rochester entwickelt wurde und ausschließlich von Big Blue selbst produziert wird. Aus Marketing-Gründen läuft der Chip aber unter zwei verschiedenen Namen: Die AS/400-Leute nennen ihn "Power PC AS", die RS/6000-Abteilung tituliert ihn als "Power PC RS-64". Die "64" soll die in der RISC-Linie erst im vergangenen Jahr eingeführte 64-Bit-Architektur betonen, die bei der AS/400 schon länger etabliert ist.