Neue Modelle lassen Softwareschwäche und 370-Defizit vergessen:

IBMs /36- und /38-Anwender im Stimmungshoch

25.07.1986

MÜNCHEN - Lob und Tadel ernteten die jüngsten Announcements für die beiden BM-Rechnerserien /36 und /38. Als Pluspunkte gaben die von der COMPUTERWOCHE befragten Anwender in erster Linie die stark hochgeschraubte Speicherkapazität, das verbesserte Preis/ Leistungs-Verhältnis und die neuen Kommunikationsmöglichkeiten an. Auf der Softwareebene dagegen brächten die angekündigten Erweiterungen noch nicht den entscheidenden Durchbruch.

Den Umstieg auf die neuen Modelle beziehungsweise die Implementierung der neuen Release-Stände haben viele Anwender bereits direkt nach den Ankündigungen angepeilt. Dies bestätigen nicht nur die IBM-Kunden selbst, sondern auch Softwarehäuser und Unternehmensberatungen. Dazu Heinrich Kissels, Geschäftsführer der Kissels GmbH aus Düsseldorf: "Die Erweiterungen bei der /36 und /38 bedeuten ja fast in allen Fällen eine Verdopplung der Kapazitätsgrenzen, und das wird natürlich schon sehr positiv aufgenommen." Ähnlich beurteilt wird die Stimmung von den auf diese beiden Systeme spezialisierten Firmen O + W DV-Beratung, Knief EDV-Beratung und der Unternehmensberatung Lunzer und Partner.

Anwender, die bereits geordert haben, heben neben dem nunmehr verwendeten 1-Megabit-Chip insbesondere die PC-Anbindungsmöglichkeiten via Token Ring und die vergleichsweise niedrigen Preise für die neuen Modelle hervor. So Olaf Brando, DV-Leiter bei der Hamburger Ritz-Meßwandler GmbH: "Das D-Modell der /36, das preislich unserem jetzigen B-Modell entspricht, geht mittlerweile in Größerungen hinein, die man früher nur auf der /38 kannte. "Der hier anvisierte Rechner soll in die Host-Rolle schlüpfen; in der Endausbaustufe ist die Ankopplung von 60 Einheiten inklusive Mikros vorgesehen. Eine Entwicklung in Richtung /370-Welt steht bei Ritz übrigens ebenso wie bei vielen anderen /36-Anwendern nicht zur Debatte. Beispiele dafür sind Underberg, Kister Maschinenbau und der Kunststoffhersteller Montaplast. In diesem Zusammenhang betont Joachim Knief von der Knief EDV-Beratung, daß viele mittelländische Unternehmen einen Durchgriff zur Großrechnerwelt gar nicht benötigten und diese Anwender oft auch nicht in der Lage seien, erweiterte Kommunikationsmöglichkeiten effektiv zu nutzen.

Annäherung der beiden Systeme

Als Vorteile im Rahmen der Neuankündigungen werden von IBM-Kunden und Beratern außerdem der erheblich verbesserte Wiederanlauf mittels Checksum, die zunehmende Annäherung der /36 und der /38 und die neuen Datenaustauschmöglichkeiten zwischen diesen beiden Systemen genannt. Dies werde auf der Softwareebene realisiert und laufe darauf hinaus, daß man auf der /36 schon fast ein Datenbankkonzept realisieren könne. Gerüchten zufolge sei es von der IBM sogar geplant, RPG III auf die /36 herunterzuholen. Die Angleichungen könnten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß weiterhin eine parallele Softwareentwicklung betrieben werden müsse. Der Markt verlange jedoch eine reine und einheitliche Programmierung. Heinz Wiesen von der O + WDV-Beratung beispielsweise sieht die völlige "Gleichschaltung" der beiden Systeme lieber "vorgestern als übermorgen. "

Unabhängig von dem Wunsch nach mehr Kompatibilität zwischen der /36 und /38 haben die "Kenner der Materie auch schon bei der bereits verfügbaren Software Mängel ausgemacht. So sei der Anwender auch mit dem modifizierten Textverarbeitungssystem für das System /36 nicht gut bedient, weil es überdimensional viel Speicherplatz benötige. Vermißt wird von einem Teil der Anwender bei der TV-Software auch die Möglichkeit, Texte problemlos in andere Anwendungen hineinzuspielen. Und im Hinblick auf die /38 wird der IBM vorgeworfen, daß es dort mit der Bürosoftware im argen liege und man für die Erledigung von einschlägigen Aufgaben zur zusätzlichen Anschaffung einer "kleinen /36 verleitet würde.

Auch bei der Softwareprogrammierung stolpern die Experten noch über einige Steine. Der COMPUTERWOCHE gegenüber wurden in bezug auf die Anlage /36 unter anderem folgende Probleme aufgeführt:

- Es steht keine Jobnummer zur Verfügung, die man in Prozeduren verwenden kann.

- Innerhalb des RPG II besteht die Restriktion, daß man nur 15 Dateien in einem Programm benutzen kann.

- Bediener- und Konsolsysteme, die man zur Zeit nur am Bildschirm eingeben kann, sollten in Prozeduren zusammengefaßt werden.

- Ein vernünftiges Job-Accounting zum Einteilen der Rechnerzeit nach verschiedenen Abteilungen im Betrieb fehlt.

- Die maximale Programmgröße liegt bei nur 75, 80 beziehungsweise 82 KB.

Schlechte Informationspolitk

Kritik geübt wird ferner an dem sich im Zuge der Announcements ergebenden Wertverlust bereits vorhandener Maschinen, der fehlenden Möglichkeit, ältere Modelle nachzurüsten und der IBM-Informationspolitik. So beklagt Olaf Brando von der Ritz-Meßwandler GmbH die Warterei auf die Liefertermine. "Wenn angekündigt wird, bemüht man sich der Anwender auch, einen Liefertermin zu erfahren, und dieser wird in der Regel um fast ein Jahr verzögert." Ein Beispiel dafür seien die im April letzten Jahres angekündigten, aber erst jetzt ausgelieferten Bandeinheiten 8809. Von der IBM sogar übers Ohr gehauen fühlt sich Klaus Danert, DV-Leitung bei der Delbag-Luftfilter GmbH. Er habe das Gefühl, daß man bei der IBM immer zum falschen Zeitpunkt bestellt. Im Falle der /38 kämen ihm die Neuankündigungen eher ungelegen, da er sich erst vor kurzem ein neues "altes" Modell dieser Rechnerserie angeschafft habe.