Weiter hart auf OS2-Kurs

IBM wirft Windows-Version von Officevision über Bord

02.08.1991

MENLO PARK (IDG) - Die IBM scheint weiterhin entschlossen, hart auf OS/2-Kurs zu segeln. Aus diesem Grund hat Big Blue seine Pläne, eine Windows-Version für Officevision zu entwickeln, über Bord geworfen. Außerdem will man beim Blauen Riesen mehr Geld in das entsprechende OS/2-Projekt pumpen und kurzerhand Windows-Programmierer in anderen Projekten einsetzen.

An "Meer-Kat", wie das aufgegebene Projekt mit Kodename heißt, hatte die IBM schon seit mehr als einem Jahr entwickelt. Das Ableben der Meerkatze scheint deshalb auch IBMs Willen zu dokumentieren, seine gesamten Windows-Aktivitäten zu durchforsten und umzuorganisieren.

Einige der Top-Manager bei IBM wollen einen Großteil der finanziellen und personellen Aktiva, die momentan noch auf Windows-Projekte ausgerichtet sind, auf OS/2-Applikationsprojekte umleiten.

Zu ihnen gehört Entry-Systems-Division-President Jim Cannavino, der die politische Großwetterlage in der DV-Branche zitiert, um den Schwenk bei der IBM zu begründen: "Auch eingedenk der Meinungsverschiedenheiten mit Microsoft ist die Konzentration auf OS/2 und die Entwicklung von OS/2-Applikationen das für uns politisch richtige Vorgehen", wird Cannavino von gut unterrichteten Quellen zitiert.

Über die Killeraktion herrscht innerhalb der IBM allerdings kein uneingeschränktes Einvernehmen. So äußerte sich ein IBM-Mitarbeiter wenig enthusiastisch über die zu erwartenden Kosten: "Hier laufen einige halbfertige Windows-Projekte, die Cannavino alle stoppen will. Wenn das wirklich durchgesetzt wird, geht eine ganze Menge Geld den Bach runter."

Bei IBM Desktop Software, einer in Milford, Connecticut, ansässigen Abteilung, die für Applikationsentwicklung zuständig ist, gehen bislang sowohl die OS/2- als auch die Windows-Aktivitäten weiter. "Uns hat Cannavino bislang noch kein Stoppzeichen für Windows gegeben. Wir entwickeln parallel für beide Systeme weiter", relativiert Dave Cassano, der Direktor der Abteilung Produkt-Marketing in Milford.

Das Aus für Meer-Kat könnte auch im Zusammenhang mit dem Lotus-IBM-Deal stehen. Bekanntlich soll die Lotus-Groupware "Notes" unter Officevision zum Einsatz kommen. "Mit Notes kann IBM in kurzer Zeit einen Windows-Client anbieten, der in Officevision, Version 2.0, integriert ist", argumentiert Stuart Woodring vom Marktforschungsinstitut Forrester Research Inc.

Nichtsdestotrotz setzt Big Blue die Anstrengungen fort, Officevision-Versionen für alle bedeutenden IBM-Hardware-Plattformen zu entwickeln.

Die IBM selbst wollte sich zu den Windows-Plänen für Officevision nicht äußern. Man bestätigte lediglich, daß es bei den Plänen bleibe, Officevision-LAN-Requester für Windows bis Ende dieses Jahres bereitzustellen.