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IBM: Volle Breitseite e-Server

04.10.2000
Portfolio wird komplett neu positioniert

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Vor drei Jahren überrollte IBM die Welt mit seinem Buzzword vom "e-Business". Allerdings gelang es Big Blue nicht unbedingt, sich an die Spitze der Internet-Revolution zu setzen. Andere heimsten den Löwenanteil der Einnahmen ein, nicht zuletzt Sun Microsystems, der selbsternannte "Dot in Dot.com". Das soll sich nun ändern: IBM fasst seine reichlich unübersichtlichen und bislang über vier Linien verteilten Server-Produkte unter einer Marke "e-Server" zusammen. Außerdem will man das so genannte Big Iron mit neuer Technik ins 21. Jahrhundert hieven.

IBMs President Sam Palmisano räumt freimütig ein, woran IBMs Server-Geschäft in der Vergangenheit krankte: "Ein Grund, warum unsere Wettbewerber schneller wachsen konnten als IBM ist die Tatsache, dass sie mit einer simplen Botschaft aufwarten konnten", so der Herr über die Server in Armonk. "Die adressiert zwar nur einen Teil der Probleme beim Kunden, kommt aber viel knackiger rüber." Von Wachsen kann bei IBM übrigens in Wahrheit keine Rede sein: Die Einnahmen aus dem Server-Verkauf sanken im vergangenen Jahr um 18 Prozent auf 8,72 Milliarden Dollar, und in den ersten sechs Monaten 2000 ging es um weitere elf Prozent abwärts (auf 5,2 Milliarden Dollar).

Das soll mit der neuen Dachmarke e-Server nun anders werden. Allein in den kommenden drei Monaten will IBM 75 Millionen Dollar in das Marketing stecken, weitere 250 Millionen Dollar Werbemittel liegen für das kommende Jahr bereit. Für Palmisano ist der e-Server-Launch "ganz klar die größte IBM-Ankündigung der letzten zwei oder drei Jahre". Senior Vice President Bill Zeitler nennt sie gar "den radikalsten Wechsel unseres Hardwaregeschäfts seit 30 Jahren".

Analysten halten das "Ausmustern" etablierter Marken allerdings für riskant. "Das Rebranding ist ein echtes Glücksspiel", warnt Tom Bittman von Gartner. Er konzediert aber auch, dass dem Hersteller kaum eine andere Wahl bleibt. "Unterm Strich liegt IBM bei Unix- und Intel-Servern nur auf Platz drei, und mit Geld allein lässt sich das nicht ändern." Im Unix-Markt führt Sun Microsystems vor Hewlett-Packard, den PC-Server-Markt dominiert Compaq vor Direktanbieter Dell. "Wir glauben nicht, dass IBM in den nächsten drei Jahren den zweiten Platz im Unix-Markt erobert. Wenn sie das damit erreichen wollen - das können sie sich abschminken", urteilt Gartner-Mann Bittman.

e-Server - was steckt dahinter?

Die bisherigen Server-Marken der IBM - "Netfinity" für PC-Server, die hochintegrierte "Mittelstandsplattform" AS/400, RS/6000 im Unix-Segment, S/390-Mainframes - werden ersatzlos gestrichen. Statt dessen baut das Unternehmen künftig nur noch e-Server. Damit Anwender erkennen können, um was für Systeme es sich dabei handelt, gibt es analog zu den bisherigen Produktlinien vier neue "Submarken", die jeweils einen Buchstaben charakterisiert werden:

"zServer" (für "zero downtime") ersetzt S/390 = Großrechner, Preisbereich ab 1 Million Dollar aufwärts;

"pServer" (für "power") ersetzt RS/6000 = Unix-Server von 150 000 bis 600 000 Dollar;

"iServer" (für "integrated) ersetzt AS/400 = hochintegrierte Server von 20 000 bis 100 000 Dollar, sowie

"xServer" (für "cross architecture") ersetzt "Netfinity" und die von Data General übernommenen NumaQ-Maschinen = PC-Server mit Intel-Prozessoren für 10 000 bis 50 000 Dollar (alle Preisangaben: "Wall Street Journal").

Auf allen Plattformen mit Ausnahme der Intel-basierten Maschinen will IBM die ursprünglich nur auf dem Mainframe verfügbare so genannte logische Partitionierung (LPAR) offerieren. Damit lassen sich auf einem Rechner mehrere Betriebssysteme oder Betriebssysteminstanzen vollkommen unabhängig voneinander betreiben. Neben weiteren, teilweise aus der Großrechnerwelt übernommenen Features wie Hochverfügbarkeits-Clustering oder Unterstützung für Remote I/O setzt IBM nach eigenen Angaben für alle Systeme auf offene Industriestandards wie Java und Enterprise Javabeans (EJB), HTTP (Hypertext Transfer Protocol) , HTML (Hypertext Markup Language) und XML (Extensible Markup Language) sowie die Open-Source-Produkte Linux und "Apache". Optional können Kunden jeden e-Server zudem mit dem hauseigenen Application-Server "Websphere" bestellen. Weitere Paketangebote gibt es mit Produkten von Siebel, Ariba, Logility, SAP, ChiliSoft sowie Hyperion - allesamt ISVs (Independent Software Vendors), die bereits offiziell ihre Unterstützung für Big Blues Produktoffensive bekundet haben.

Anwender dürften indes am stärksten von IBMs neuen "Capacity-Upgrade-on-Demand"-Angeboten (CUoD) profitieren. Dahinter verbirgt sich die Möglichkeit, bei Bedarf in einem System installierte, aber noch nicht genutzte CPUs zuzuschalten ("vertikales CUoD") oder aber die Systemleistung durch zusätzliche, vorher nicht genutzte komplette Server zu erhöhen ("horizontales CUoD").

"z900" - der erste "echte" e-Server

Ab 18. Dezember dieses Jahres kommt mit dem "z900" der erste e-Server auf den Markt - laut Hersteller der "erste Mainframe, der von Grund auf für die Bedürfnisse des E-Business ausgelegt" ist. Die früher unter dem Codenamen "Freeway" gehandelte Maschine arbeitet erstmals in Sachen Betriebssystem - das von "OS/390" in "zOS" umgetauft wurde - und CPUs mit 64 Bit. Mehr als zwei Jahre Arbeit und rund eine Milliarde Dollar will IBM in die Neuentwicklung gesteckt haben.

Francis Kuhlen, Vice President Sales Central Region, erläutert eine der wichtigsten Neuerungen des Systems: "Die z900-Server wissen aufgrund benutzerdefinierte Vorgaben, was Anwendungen benötigen, und reagieren selbstständig auf Veränderungen". Die Systeme, so der IBM-Mann, verwalteten und reparierten sich selbst. Sie seien in der Lage, Rechenlasten dynamisch und ohne manuelle Eingriffe innerhalb des Systems und des Netzwerks zu verteilen und könnten damit effizient und stabil den im Zeitalter des e-Business nicht vorhersehbaren Anforderungen an die Systemressourcen begegnen.

Erstmals in der Mainframe-Geschichte soll der z900 eine "bedarfsbezogene" Ermittlung von Softwarelizenzkosten gestatten. Im Klartext: Der Kunde zahlt nicht mehr für die schiere MIPS-Rechenleistung seines Systems, sondern beispielsweise auf Basis der tatsächlich abgewickelten Transaktionen. Große Mainframe-ISVs, unter anderem BMC, Candle, Computer Associates, Compuware oder die Software AG, haben laut IBM bereits erklärt, sie würden das neue Berechnungsmodell unterstützen.

Zu guter Letzt noch ein paar technische Einzelheiten des neuen Systems (für alle, die es interessiert):

Multichip-Modul (12,7 x 12,7 x 0,64 Zentimeter) mit 35 Chips auf 101 Schichten keramischen Glases, verbunden über 4226 I/O-Pins und rund 1 Kilometer Kabel, Kupferleiterbahnen, rund 2,5 Milliarden Transistoren;

Rechenleistung laut Hersteller über 2500 MIPS bei vollem Ausbau (16 Wege), das entspräche rund 300 Millionen Transaktionen pro Tag. Durch Clustering sollen sogar bis zu neun Milliarden Transaktionen täglich möglich sein;

I/O-Bandbreite 24 GB/s (Vorgängermodell "G6" 8GB/s, Sun-Server 6,4 GB/s;

weiterentwickelte "FICON"-Verbindungstechnik zum direkten Anschluss von "Magstar"-Bandbibliotheken, zusätzlich FICON-Direktoren für die "Shark"-Speichersubsysteme;

laut Hersteller 2000 SSL-Transaktionen pro Sekunde (Secure Sockets Layer), sowie

"Hypersocket"-Technik, die die virtuellen Server innerhalb eines z900 über TCP/IP verbindet und damit quasi ein Netzwerk innerhalb des Systems bereitstellt.