IBM und SEL beantragen Genehmigung zur "Konti"-Schicht:Sonntagsarbeit auf dem Prüfstand

19.02.1988

MÜNCHEN (ih) - IBM und die Standard Elektrik Lorenz AG (SEL) wollen in ihren Werken in Sindelfingen beziehungsweise Stuttgart künftig rund um die Uhr arbeiten. Weil Sonntagsarbeit jedoch grundsätzlich verboten ist, prüft das baden-württembergische Regierungspräsidium derzeit, ob die beiden Unternehmen die Voraussetzungen des "technisch notwendigen Sachzwanges" erfüllen.

Für Unruhe bei den SEL-Mitarbeitern hatte in den vergangenen Wochen der Verkauf des Bereichs Unterhaltungselektronik an den finnischen Elektronikkonzern Nokia sowie Probleme in Bildröhrenwerken gesorgt. Die IG Metall befürchtet, daß aufgrund der SEL-Geschäftspolitik bis ZU 8000 Jobs in Gefahr geraten seien. Arbeitsplätze erhalten und die Wettbewerbsfähigkeit sichern soll dagegen nach Unternehmensangaben jetzt ein anderer firmenpolitischer Schachzug: Die SEL-Geschäftsführung beantragte bei den schwäbischen Behörden die Genehmigung, in ihrem Stuttgarter Glasfaserwerk durchgehend arbeiten zu dürfen. Derzeit prüft das Regierungspräsidium im "Musterländle", ob die grundsätzlich verbotene Sonntagsarbeit bei der Herstellung von Glasfasern gewerberechtlich zulässig ist. Der Konzern habe dabei geltend gemacht, daß die Maschinen in der Anlaufphase nach einem Wochenend-Stillstand für 18 Stunden unbrauchbare Produkte lieferten. Ein Sprecher der Arbeitnehmervertretung bei SEL erklärte hierzu, prinzipiell seien die Betriebsrats-Mitglieder zwar gegen Wochenendarbeit. Wenn allerdings von der Unternehmensleitung nachgewiesen werden könne, daß der Rund-um-die-Uhr-Betrieb technologisch notwendig sei und davon die Konkurrenzfähigkeit und der Weiterbestand von Arbeitsplätzen abhinge, sei man bereit "umzudenken".

Aber nicht nur der SEL-Antrag wird im Regierungspräsidium unter die Lupe genommen. Auch IBM hat sich nämlich für seine Herstellung von Megabit-Chips auf den Paragraphen 105 c der Gewerbeordnung berufen, der lautet: "Das Sonntagsarbeitsverbot gilt nicht für Arbeiten, die zur Verhütung des Verderbens von Rohstoffen oder des Mißlingens von Arbeitserzeugnissen erforderlich sind." (Siehe CW Nr. 3 vom 15. Januar 1988, Seite 34: "Wettbewerbsfähigkeit bedingt flexiblere Arbeitszeit.") Nachdem es Big Blue aufgrund des Widerstands der Mitarbeiter bislang nicht gelungen war, im Sindelfinger Werk die Wochenendarbeit einzuführen, hat IBM mit eine Verlagerung der Megachip-Produktion ins Ausland oder in den Freistaat Bayern gedroht. Der Konzern schaute nämlich nicht nur in den Fernen Osten, sondern auch nach Regensburg, wo Siemens bereits seit einigen Monaten die Megachip-Herstellung rund um die Uhr aufgenommen hat.

Wenig später folgten erste Reaktionen auf diese Warnung: Die immer erbitterter werdenden Auseinandersetzungen spielten sich nicht mehr nur zwischen der Geschäftsleitung und den Belegschaftsvertretern ab. Auch innerhalb des Betriebsrates sorgte das Thema für "Schläge unter die Gürtellinie". Hardliner gegen die Einführung mußten sich sagen lassen, sie seien schuld, wenn Arbeitsplätze verlorengingen. Wie die IG Metall wenig später in Stuttgart mitteilte, wurden fünf Gegner der geplanten "Konti-Schicht" (kontinuierliche Schichtarbeit) im Sindelfinger Betriebsrat von der Betriebsratsmehrheit abgewählt. Danach konnte das Gremium mit 17 von 29 Stimmen beschließen, mit der Geschäftsleitung Verhandlungen über die Sonntagsarbeit aufzunehmen.

Während bei IBM von der Sonntagsarbeit 400 Mitarbeiter betroffen wären, sind es bei SEL zunächst 40. Beide Unternehmen müssen sich jedoch noch einige Zeit gedulden, bevor die endgültige Entscheidung fällt. Die gewerberechtliche Prüfung der Anträge wird nämlich, so der Pressesprecher des Regierungspräsidiums, Walter Weik, einige Wochen in Anspruch nehmen. Schließlich wollen die Stuttgarter Regierungsstellen mit allen Beteiligten diskutieren. Weik: "Uns sitzen ja schließlich auch noch die Kirchenvertreter mit ihrer massiven Kritik im Genick."