IBM und RISC: Erhöhtes Risiko

23.02.1990

Analysten aus der DV-Szene tun sich vermeintlich leicht, das neue "IBM RISC System/6000" - so die genaue Bezeichnung - sauber einzustufen: kein Parkschutzprodukt wie die AS/400, keine PC-Clone-Bremse wie das Personal System/2, auch keine Abteilungsrechner-Fata-Morgana wie die 9370, sondern ein Neukundenfänger, eine "Power"-Station, mit der IBM im DEC-Markt der technisch-wissenschaftlichen Anwendungen wildern will. Deshalb Unix, sprich: AIX - auf Altkunden muß Big Blue in diesem Falle ja keine Rücksicht nehmen, Indiz dafür, daß diese Sichtweise richtig ist: Die IBM gibt sich sibyllinisch, wenn es um die Nennung von geplanten Absatzzahlen geht. Läuft was: gut; läuft nichts: auch gut. Dies war und ist doch die Einstellung der IBM-Salesforce, was die Vermarktung des Vorgängersystems 6150 betrifft - die Ergebnisse sind entsprechend.

Damit wären wir bei einem Punkt, der das klare Bild trüben könnte: Auch das neue RISC-System/ 6000 gehört nicht zu den Mainline-Produkten des Marktführers - und es gibt Beispiele genug, daß sich diese Tatsache auf den Verkauf nachteilig ausgewirkt hat. Die IBM braucht in dem für sie neuen Markt der technischen Workstations die Unterstützung möglichst vieler Softwarehäuser; diese wiederum sehen sich in Mainline-Umgebungen besser aufgehoben. Von der Anziehungskraft, die die 1370 Hardware Plattform auf "unabhängige" Softwarehäuser nach wie vor ausübt, wollen wir in diesem Zusammenhang gar nicht reden. Auch bei DEC gibt es diesbezüglich keine Probleme - wer Digital sagt, wird automatisch "VAX" sagen.

Das führt zu der Frage, ob der Mini Marktführer die RISC Offensive des Mainframe-Marktführers fürchten muß. Durch den Hinweis auf den Stiefkind-Status der Produktfamilie /6000 ist sie zum Teil schon beantwortet. Das stärkere Engagement spricht für DEC - schwer vorstellbar auch, daß Ingenieure auf einmal nicht mehr "DEC", sondern "IBM" denken. Die Gefahr für DEC besteht allerdings darin, daß durch das RISC/AIX-Votum der IBM der Mini Markt insgesamt verunsichert werden könnte, wovon die VAX-Company als "leader of the pack" am meisten betroffen wäre. Nicht wenige VAX-Watcher denken in diese Richtung und zeichnen ein graues Bild der DEC-Zukunft.

Da wird es für die Olsen-Mannschaft wohl nur ein schwacher Trost sein, daß die IBM mit der neuen "Power" Waffe ("Power" steht für "Performance Optimization with Enhanced RISC) äußerst unvorsichtig hantiert: Was als Breitseite gegen DEC bestimmt ist, könnte sehr leicht die eigenen PS/2-, AS/400- oder 9370-Arsenale treffen. "Erhöhtes Risiko" für die IBM-Midrange-Welt also - und ein Unix/AIX-Schwelbrand soll sehr schwer unter Kontrolle zu bekommen sein.