Neue Strategie bei der Erschließung neuer Märkte:

IBM übernimmt Rolm und kooperiert mit Stet

05.10.1984

MÜHLHEIM AM MAIN/MÜNCHEN (cmd) - Statt mit Produkt-Announcements sorgte die IBM Corp., Armonk, ausnahmsweise einmal mit Fusions-, Kooperations- und Beteiligungsankündigungen für Gesprächsstoff: In New York gaben Big Blue und PBX-Hersteller Rolm Corp., an der der Marktführer bereits mit rund 23 Prozent beteiligt ist, die "Fusion" beider Unternehmen bekannt. Am gleichen Tag kam aus Rom die Nachricht, daß IBM mit der staatlichen Telekommunikationsholding Stet nach rund einjährigen Verhandlungen Zusammenarbeit unter Dach und Pach gebracht hat.

Die Nachricht von der beabsichtigten "Fusion" IBM-Rolm, die de facto eine Übernahme des kalifornischen Nebenstellenlieferanten darstellt - nach AT&T und Northern Telecom die Nummer drei auf dem US-Markt - kam selbst für Branchenkenner überraschend. Noch im Juni vergangenen Jahres, als sich der Marktführer mit 15 Prozent bei Rolm engagierte, hieß es, man wolle sich mit höchstens 30 Prozent der Anteile bescheiden.

Nun wollen die Armonker gleich alle noch ausstehenden rund 22 Millionen Stammaktien, insgesamt etwa 77 Prozent des Gesellschaftskapitals, für 1,27 Milliarden Dollar erwerben. Die weiteren Details des Deals, dem noch die Rolm-Aktionäre sowie die amerikanische Börsenaufsichtsbehörde zustimmen muß, sehen folgendes vor: Rolm bleibt als selbständige IBM-Tochtergesellschaft mit dem bisherigen Management und den bisherigen Mitarbeitern erhalten, allerdings unter der Maßgabe, wie Rolm-Präsident Kenneth Oshman in einem Brief an seine Belegschaft schreibt, daß die Geschäftsvorgaben des PBX-Herstellers in jene von IBM integriert werden.

Oshman sucht in seinem Schreiben auch dem Eindruck entgegenzutreten, daß sich Rolm aufgrund finanzieller Schwierigkeiten an den Marktführer anlehne. Das Unternehmen sei bisher und werde auch weiterhin in einer exzellenten Position auf dem Markt für geschäftliche Kommunikation sein und nach dem Rekordgeschäftsjahr 1984 erwarte man auch für 1985 gute Zahlen.

In amerikanischen Finanzkreisen freilich werden die Rolm-Ergebnisse des am 30. Juni abgelaufenen Geschäftsjahres nicht ganz so positiv aufgenommen. US-Experten verweisen darauf, daß der Gewinn sich trotz eines Umsatzplus von 31 Prozent gegenüber dem Vorjahresergebnis auf 659,7 Millionen US-Dollar lediglich um 6,2 Prozent auf 37,7 Millionen US-Dollar verbessert habe. Einer der Gründe, so hieß es unter anderem sei gewesen, das Rolm offenbar den finanziellen Aufwand für Forschung und Entwicklung neuer digitaler Vermittlungssysteme, insbesondere für die CBX II, unterschätzt habe, so daß die Geldspritze aus Armonk mehr als erwünscht sei.

Indirekte Bestätigung findet diese Vermutung durch Helmut Mühl-Kühner, den Geschäftsführer der Rolm Deutschland GmbH in Mühlheim am Main: Die Übernahme durch den Marktführer habe sich erst in jüngster Zeit ergeben, als man während der gemeinsamen Entwicklungsprogramme feststellte, daß die Projekte für Rolm zu groß und zu intensiv waren. Das Vorgehen IBMs wird dagegen als deutliches Signal gewertet, daß der Marktführer nun zum verstärkten Engagement in Sachen digitale Nebenstellentechnik und Office Automation ansetzt - zu Lasten seiner eigenen Nebenstellenanlagen 1750 und 3750, vor allem aber vor dem Hintergrund zunehmender Kooperationen zwischen DV und Telekommunikationsherstellern und neuen Konkurrenten wie AT&T und ITT.

Aufhorchen ließ auch eine weitere finanzielle Beteiligung IBMs: Kurz vor Bekanntwerden der Rolm-Übernahme hatte sich Big Blue bei der Sytek Corp., dem LAN-Breitbandspezialisten des PCNet, mit sechs Millionen Dollar eingekauft und 4,9 Prozent des Kapitals erworben.

Schließlich konnten die Armonker die seit einem Jahr währenden Verhandlungen mit der italienischen Telekommunikationsholding Stet erfolgreich zu Ende führen. Nach Berichten von VWD aus Rom bezieht sich die Zusammenarbeit der beiden Unternehmen auf die Bereiche Kommunikationsforschung, Mikroelektronik und Fertigungsautomatisierung. 1985 soll in Genua ein Jointventure gegründet werden, an dem die Stet-Tochter Ragruppamento Selenia-Elsag 51 Prozent und IBM Italia 49 Prozent halten. Das Gemeinschaftsunternehmen werde europaweit komplette Fertigungssysteme anbieten.

Bei der Kommunikationsforschung sehe das Abkommen die Zusammenarbeit der IBM mit Cselt-Centro Studi Laboratori Telecommunicazioni vor. Im Mittelpunkt stünden hier Systeme der Texterfassung und Spracherkonnung.

Teil 3 der Vereinbarung schließlich beinhalte die Lieferung von Halbleitern der Stet-Tochter SGS-Ates an IBM in erheblichem Umfang.