IBM-Topmanager Jacques Maisonrouge:\"Die neuen Ideen kommen nicht in guten Zeiten"

30.05.1975

ST. GALLEN - "Die zornigen jungen Männer von gestern sind oft die gewesen, die die Zukunft vorausbestimmt haben" meinte J. G. Maisonrouge vor 600 Teilnehmern beim Internationalen Management -Gespräch in St. Gallen. Während man im IBM-Country Böblingen/Sindelfingen noch meint, den IBMer schon auf der Straße am konservativen Anzug erkennen zu können, gab sich der World-Trade-Boß in der Schweiz auch radikal-liberal: Er lobte die unruhigen Studenten und sah in präziser Unternehmensplanung eine Möglichkeit der Mitbestimmung. CW veröffentlicht die wichtigsten Teile der Rede:

Unternehmensplanung: "Gut geführte Unternehmen müssen langfristige Pläne haben- beispielsweise Sieben-Jahres-Pläne, die jedes Jahr revidiert werden. Sehr wichtig ist eine Abstimmung von Entwicklung und Produktion- die Entwicklung muß nach den Bedürfnissen des Marktes beschleunigt oder verlangsamt werden. Als Ergänzung ist ein detaillierter Zweijahresplan nötig, der im Computer gespeichert werden kann, so daß er sich bei jeder Änderung einer wesentlichen Einflußgröße neu durchrechnen läßt."

Sparmaßnahmen:"In einer Krisenzeit wird oft von Budget-Kürzungen gesprochen. Es wäre ein großer Fehler, gerade am Forschungsbudget zu kürzen. Es hat sich gezeigt, daß gerade in schwierigen Perioden neue Problemlösungen gefunden, neue Produkte entwickelt oder neue Märkte entdeckt werden. Die neuen Ideen kommen nicht in guten Zeiten. Krisen können dagegen nützlich sein, um die Unternehmensstruktur durchzuchecken, neue Prioritäten zu setzen. Planen heißt, die Aktion der Reaktion vorzuziehen."

Delegation:"Eine gute Planung macht Delegation möglich. Weil viele Mitarbeiter an der Entscheidung beteiligt waren, muß man nur wissen, wer stehen bleibt oder vom Weg abkommt. Man denkt oft, daß die Entscheidungen in multinationalen Unternehmen in einem tausende von Kilometern entfernten Hauptquartier der Muttergesellschaft gefällt würden. Dagegen scheinen mir Dezentralisation und Delegation gerade die Bedingungen für ein Überleben des Großunternehmens zu sein. Ein Beispiel dafür ist die IBM-Organisation: unsere Filialen in 126 Ländern außerhalb der USA sind Profit-Centers, wo die nationale Leitung ihre eigenen Entscheidungen im Rahmen der allgemeinen Geschäftspolitik fällt. In einem gut geführten Unternehmen gibt es kein Entscheidungszentrum sondern viele. Die moderne Organisation ist polyzentrisch."

Gewinn: "Mit dem Gewinn wird die Qualität der Unternehmensführung gemessen. Das Unternehmen muß seine Kunden, Arbeitnehmer und Aktionäre zufriedenstellen und der sozialen Verantwortung gerecht werden - der Gewinn ist nur das Mittel dazu. Alle Welt fordert beispielsweise Fortschritte in der Forschung -aber keiner fragt sich, wer sie finanzieren soll.

Soziale Verantwortung: "Wir müssen ein neues Gleichgewicht zwischen beruflicher und sozialer Verantwortung finden. Arbeit wird immer nötig und nicht immer angenehm sein - wir müssen aber mehr die Qualität der Arbeit als die Stundenzahl messen und der "social activity" des einzelnen Mitarbeiters Rechnung tragen. Das Unternehmen wird auch eine Reihe von Sozialkosten übernehmen müssen, die in verschiedenen Ländern bisher traditionell vom Staat getragen wurden. Man darf aber keinesfalls die soziale Verantwortung zu einer Sache von Spezialisten werden lassen. Das ist keine PR-Aufgabe, sondern Sache eines jeden Managers, der sich ständig der Wirkungen seiner Arbeit auf die Gesellschaft bewußt sein muß. Soziale Verantwortung darf sich nicht auf finanzielle Leistungen beschränken - es wird aber neuer Antworten auf die Frage bedürfen, wie man das Erfüllen sozialer Verpflichtungen messen soll."

Mangelnde Kommunikation: "Die Studenten müßten mehr Kontakte mit den Geschäftsleuten haben. Nötig wären genügend lange Aufenthalte in den Betrieben, damit die Studenten die Führungssysteme kennen lernen. Ähnlich ist das Verhältnis zwischen öffentlichen und privatwirtschaftlichem Bereich: der Kontakt vollzieht sich im Einbahnverkehr."

Jacques Maisonrouge

fing 1948 im Vertrieb der IBM France an. 1964 war er oben - als President der IBM Europa. Jetzt ist er Aufsichtsratsvorsitzender der IBM Deutschland, Vorsitzender und Aufsichtsratsvorsitzender der IBM World Trade Corporation für Europa, Mittlerer Osten und Afrika sowie Senior-Vice-President der IBM Corp.