In Europa sollen 1992 rund 7000 Stellen gestrichen werden

IBM strafft Organisation und gibt Business-Units mehr Macht

13.12.1991

ARMONK (CW) - Die IBM Corp. strebt im Rahmen der bereits angekündigten Umstrukturierung, die zu unabhängigeren Business-Units führen soll, eine Reihe von Änderungen an, die vorerst hauptsächlich die Personal-Systems-Division, die Druckerproduktion sowie das Massenspeichergeschäft betreffen. Für alle "Lines of Business" gelten außerdem veränderte Organisations- und Management-Verfahren, die eine individuelle Leistungskontrolle der Geschäftsbereiche erlauben sollen.

Voraussichtlich wird die "Personal Systems Divison" (PSD) als erste Unit in den Genuß größerer Autonomie kommen. Ein international besetzter "Executive Board" hat sich bereits formiert, die PC-Entwicklung wurde umorganisiert, und die Verantwortung für Entwicklung, Herstellung sowie Preisgestaltung der PCs und Workstations übernimmt ab 1992 die Business-Unit selbst. "Diese Maßnahmen erlauben es uns, Marktveränderungen besser vorauszusehen und schneller die entsprechenden Entscheidungen am Markt umzusetzen", erklärte James Cannavino, IBM Senior Vice-President und General Manager Personal Systems, der auch die neustrukturierte Gruppe führt.

Im sogenannten Executive Board haben die Marketing-Chefs der einzelnen Regionen ihren Platz. Sie tragen die Verantwortung für die Ergebnisse in ihrem Zuständigkeitsbereich. Für die Region Europa, Mittlerer Osten, Afrika (EMEA) wird der zuständige Manager William McCracken heißen. Er ist gehalten, die im Board beschlossene Politik in seiner Region durchzusetzen.

Außerdem wurde für die Zehn-Milliarden-Dollar-Unit eine eigene Entwicklungsabteilung - "Entry Systems Technology" - gegründet, um die Entwicklung künftiger Subsysteme und Technologien effektiver gestalten zu können. Auch diese Gruppe soll weitgehend unabhängig arbeiten, damit keine bürokratischen Hürden die Entwicklung im PC-Bereich einschränken, betonte IBM-Chairman John Akers.

Unternehmensnahen Quellen zufolge denkt die Cannavino-Truppe bereits über die Gründung eines eigenen Unternehmens nach, das die Low-end-Systeme - PS/1 bisPS/2 Modell 57 - betreuen soll. An der zu gründenden Gesellschaft soll IBM nur eine Minderheitsbeteiligung halten. So hoffe man, mit aggressiven Marketing-, Vertriebs- und Produktions-Strategien an Billig-Anbieter verlorene Marktanteile zurückzugewinnen.

Als weiteren Teil der Unternehmensüberholung kündigte Big Blue die Gründung zweier Tochterunternehmen an. Eine davon, die Pennant Systems Co., wird weltweit für Entwicklung und Produktion der "Advancedfunction"- Drucker (Systeme für den Midrange- und Mainframe-Bereich), der zugehörigen Software sowie der Services zuständig sein. Zum Präsidenten der hundertprozentigen Tochter mit Sitz in Norwalk, Connecticut, hat man James T. Vanderslize gemacht.

Eigens für die Pennant-Produkte abgestellte Spezialisten sollen mit den regionalen Vertriebs- und Marketingorganisationen der IBM in den USA, Kanada, Latein-Amerika und im Fernen Osten zusammenarbeiten und für den gewünschten Umsatz sorgen.

In Europa läuft das anders: Hier werden die Ländervertretungen sogenannte Pennant-Systems-Business-Units mit eigenen Vertriebsmitarbeitern einrichten. Ihre Vorgaben erhalten diese Einheiten künftig von der ebenfalls neu gegründeten Pennant Systems Organization, die von Robert Dies geleitet wird. Er zeichnet heute noch als General Manager bei der IBM-Europa für "Products and Systems" verantwortlich.

Künftig sind die Units für die Fabriken verantwortlich

Ebenfalls umorganisiert wird das Massenspeichergschäft. Es firmiert künftig unter dem Namen "Information Storage Products" als eigene Line of Business. In diesen Bereich gehören Plattenspeicher, Laufwerke, Magnetband-Systeme, optische Speicher und die damit verbundene Software. Die "Line" macht zur Zeit in einem insgesamt 53 Milliarden Dollar großen Markt rund elf Milliarden Dollar Umsatz. General-Manager der neuen Unit ist Ray S. AbuZayyad, der überdies in den Corporate Management Board der IBM berufen wurde.

Die anderen Hauptgeschäftsfelder waren bereits 1988 in Lines of Business umgewandelt worden. Im einzelnen sind das heute neben den Massenspechern folgende Units: Personal Systems, Application Business Systems (AS/400), Entrepryse Systems, Communications Systems, Progamming Systems, Technology Products (Halbleiter) und Application Solutions. Bisher berichteten alle Lines außer Personal- und Application Business Systems an Terry Lautenbach. Die beiden genannten Bereiche berichten an Jack Kuehler, der künftig auch für die Technology Products verantwortlich ist.

Die Personalbeschaffung sowie damit zusammenhängende Dienstleistungen sollen, ebenfalls ausgelagert und von der hundertprozentigen Tochter "Employment Solution Corp." übernommen werden,

Für die AS/400-Produktlinie sollen in jeder größeren regionalen Niederlassung der IBM sogenannte Brand-Manager ernannt werden. Viele Landesvertretungen werden darüber hinaus spezielle Marketing-Organisationen für diese Produktlinie einrichten. Ferner soll ein sogenanntes Executive-Steering-Committee geschaffen werden, das über die reibungslose Zusammenarbeit der mit Mainframes befaßten Einheiten wachen soll.

Die Veränderungen betreffen nicht nur die amerikanischen Aktivitäten, sondern auch die europäischen Unternehmungen der IBM. So sollen von den für das nächste Jahr angekündigten 20 000 Stellen 7000 in Europa gestrichen werden. Wie Renato Riverso, IBM-Europachef, in einem Interview mit dem amerikanischen Wirtschaftsblatt "The Wall Street Journal" sagte, betreffen viele der angekündigten Maßnahmen auch das europäische Big-Blue-Hauptquartier in Paris. Riverso betonte allerdings, daß es in erster Linie um effektivitätssteigernde Maßnahmen im Management- und Produktionsbereich gehe. Die sogenannten Field-operations, also Vertriebs- und Marketing-Aktivitäten, wären von den Stellenstreichungen nicht "signifikant" betroffen.

Sämtliche Vertriebs- und Marketing-Organisationen - auch die der europäischen Länder sind von der Armonker Zentrale ermutigt worden, sich auf bestimmte Bereiche zu spezialisieren anstatt nur als Boxenschieber der jeweils neuesten Hardware zu fungieren. Künftig dürften sie sogar IBM-fremde Produkte verkaufen, hieß es aus Armonk.

Die Produktionsstätten werden in Zukunft allein in den Verantwortungsbereich der Business-Units fallen. Das bedeutet, daß die europäischen Fertigungsstandorte für Mainframe-Komponenten oder Halbleiter nach USA berichten und nicht mehr an die europäische Zentrale. Dort wird allerdings wie bei den Personal Systems ein regionaler "Executive" residieren, der im jeweiligen Unit-Board die Interessen der Region vertritt.

"Praktisch verändert sich für die IBM-Deutschland nichts. Die internationale Organisation ist gestrafft worden -und das kommt den Länderorganisationen schließlich entgegen", resümiert ein Sprecher der IBM Deutschland die direkten Auswirkungen der Umstrukturierungen für die hiesige Tochtergesellschaft.

Große amerikanische Anwender, die von der CW-Schwesterpublikation Computerworld gefragt wurden, wie sie die Konsequenzen der Reorganisationen für sich einschätzen, gaben sich zurückhaltend. Die Urteile variieren stark. Alte Hasen, die schon mehrere Reorganisation von Mother Blue erlebt haben, wollen abwarten. Andere machen sich Sorgen über den Fortbestand der Integrationsprojekte SAA, Open Enterprise oder Officevision. Pessimisten befürchten sogar, daß die neu gewonnene Agilität der Lines of Business den Anwendern eher schadet als nützt, weil sie mit "Chaos im Vertrieb" erkauft worden sei.