IBM stärkt Notes gegen Microsoft

22.01.2008
Verunsicherte Anwender von Lotus Notes/Domino können durchatmen. Auf der Lotusphere brannte IBM ein Produktfeuerwerk ab, das deutlich machte: Microsoft wird den Collaboration-Markt nicht kampflos erobern.

Es herrscht Aufbruchstimmung in der Notes-Gemeinde. Nach Jahren der Unsicherheit und unklarer Produktpläne (man denke an die gescheiterte Workplace-Strategie) spürt IBM wieder den Zuspruch der Anwender. Dazu trägt nicht nur das im August 2007 präsentierte Notes 8 bei, das vor allem einen weitgehend neu entwickelten Collaboration-Client brachte, sondern auch eine Strategie, die eine tiefere Integration der Produkte sowie neue Anwendungsgebiete eröffnet. Auf der Jahreskonferenz Lotusphere in Orlando, die mit 7500 Teilnehmern eine Rekordbeteiligung meldete, bezeichnete Mike Rhodin, General Manager für IBM Lotus Notes, den neuen Ansatz als "Community-centric Collaboration".

Gemeint sei damit eine revolu-tionäre Weiterentwicklung dessen, wie Anwender miteinander Informationen austauschen. Künftig werde die elektronische Zusammenarbeit von der Ad-hoc-Kommunikation und sich spontan bildenden Gruppen geprägt sein, prophezeite Rhodin zur Eröffnung der Konferenz. Dabei setzt IBM wie schon auf der Lotusphere 2007 insbesondere auf neue Notes-Funktionen, die die bisherige Collaboration-Umgebung um solche für "Social Networking" oder um Office-Programme (Symphony) erweitern. Auch redet IBM nicht mehr von "Composite Applications", sondern ganz im Web-2.0-Jargon von "Mashups" und "Widgets", die künftig die Entwicklung prägen sollen. Zudem geht es dem Hersteller darum, Notes/Domino stärker als Umgebung für Unified Communications zu positionieren.

Nach den Arbeiten am Client im letzten Jahr soll 2008 im Zeichen einer tieferen Backend-Anbindung, der Kopplung der einzelnen Collaboration-Funktionen sowie überarbeiteter Entwicklungs-Tools stehen. Hinzu kommen das neue Mittelstandspaket "Lotus Foundations" und die SaaS-Lösung "Lotus Bluehouse", mit denen IBM vor allem seinen Vertriebspartnern neue Märkte erschließen helfen will. Neben der viel beachteten Ankündigung einer tieferen Notes-Integration in die SAP-Welt mit Hilfe der Software "Atlantic" (siehe hierzu den CW-Online-Beitrag "Lotusphere: IBM und SAP rücken zusammen") gab der Hersteller erste Details zum weiteren Produktfahrplan von Notes und Domino bekannt. So stehen mit Version 8.5 vor allem Neuerungen im Lotus Domino Server an. Dieser soll zusammen mit Notes 8.5 voraussichtlich Anfang 2009 fertig sein. Auf der Veranstaltung hieß es, dass Domino 8.5 erstmals ein externes LDAP-Verzeichnis unterstützen und über eine Server-basierende ID-Verwaltung verfügen werde.

Notes-Appliance für den Mittelstand und Software as a Service

Mit Lotus Foundations bereitet IBM ein Produktbündel für Collaboration vor, das sich an kleine und mittelständische Firmen mit fünf bis maximal 500 Mitarbeitern richtet. Es handelt sich um eine Server-Appliance aus vorinstallierter Hard- und Software, die auf einer Intel-Rechner-Architektur und Linux basiert. Eine erste, derzeit bei ausgewählten Anwendern im Betatest befindliche Konfiguration soll neben Lotus Domino Funktionen zur Dateiverwaltung, Directory Services, Firewall, Backup- und Produktivitätswerkzeuge enthalten. Auch soll es laut Hersteller Funktionen für "Autonomic Computing" geben, mit denen der Server Probleme automatisch beheben kann. Dazu wird IBM die Server-Technik des kürzlich erworbenen Anbieters Net Integration Technologies nutzen. Dessen Server-Betriebssysem "Nitx" konkurriert mit Produkten von Collax und vor allem mit dem Microsoft Small Business Server. Preise für Lotus Foundation nannte IBM nicht. Man wolle aber aggressiv an den Markt gehen, hieß es auf der Lotusphere. Den Vertrieb sollen Partner im Rahmen des bisherigen "Express-Advantage-"Programms übernehmen. Zudem hoffe der Hersteller, dass künftig Softwarehäuser und Systemintegratoren Lotus Foundations um neue oder existierende Anwendungen erweitern.

Parallel dazu arbeitet der Hersteller an dem Web-Dienst "Lotus Bluehouse". Dieser soll Collaboration-Funktionen auf Mietbasis bereitstellen. Hierzu zählt IBM Features für die Kontaktverwaltung, File Sharing, Online Chat und Web-Konferenzen. Interessenten können unter www.bluehouse.lotus.com die Betaversion ausprobieren. Laut IBM-General-Manager Mike Rhodin ist Bluehouse der Versuch, ein passendes und vor allem wirtschaftlich sinnvolles Modell für Mietsoftware zu entwickeln (Software as a Service). Auch hier setze man auf Partner.

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Vor allem aber hat sich IBM zum Ziel gesetzt, den Speicherbedarf für Dokumente und Anhänge durch Kompressionsverfahren erheblich zu vermindern. Dies soll sich auch positiv auf andere Systemparameter wie den Platten- und Netzwerkdurchsatz auswirken. Innovationen und mehr Einsatzgebiete verspricht der Hersteller ferner beim Anwendungsdesign durch die Weiterentwicklung des Werkzeugs "Domino Designer 8.5". Dieser wird künftig keine eigenständige IDE mehr sein, sondern auf der Eclipse-Plattform und dem Lotus-Expeditor-Framework basieren. So sollen Anwender Widgets und Plug-ins einfacher erstellen sowie per Drag and Drop in den Lotus-Notes-8.5-Client einfügen können. Ferner können Anwender dann in ihren Collaboration-Anwendungen Ajax (Asynchronous Javascript and XML), Stylesheets sowie RSS- oder ATOM-Feeds nutzen. Zudem ist eine Unterstützung für die Javascript-Frameworks "Jquery" und "Dojo" geplant.

Notes 8.0.1 bringtviele neue Funktionen

Zunächst steht aber für Februar Version 8.0.1 von Lotus Notes bereit. Auch sie bringt eine Reihe neuer Funktionen mit sich. So erhalten Anwender mit "My Widgets" die Option, ihre Notes-Oberfläche um eine Leiste (Sidebar) solcher Mini-Anwendun-gen zu erweitern, die beim Klick auf einen Link starten. Dabei setzt IBM auch die Technik "Live Text" ein, mit der sich Muster und Begriffe in Notes-Dokumenten erkennen und mit bestimmten Aktionen und Widgets verbinden lassen. Anwender sollen so beispielsweise Fluginforma-tionen abrufen können, indem sie auf eine Flugnummer im Text einer E-Mail klicken. Technisch fasst IBM unter der Bezeichnung Widgets Komponenten wie Google Gadgets, Feeds und auch Web-Seiten zusammen. Auf diesem Feld soll mit "Lotus Mashup" ein weiteres Tool, mit dem sich Widgets zu Anwendungen zusammenfügen lassen, zur Jahresmitte sein Betastadium erreichen.

Bestandteil von Lotus Notes und Domino 8.0.1 ist auch der Dienst "Lotus Notes Traveler", mit dem sich elektronische Post samt Anhängen sowie PIM-Daten (Personal Information Manager) auf einen mobilen Client (mit Windows Mobile 5 und 6, Professional und Smartphone) replizieren lassen. Ebenso ist eine Unterstützung von Apples iPhone durch Domino Web Access 8.0.1 vorgesehen. Weitere Neuerungen sind beispielsweise die einfache Übermittlung von Anhängen aus der Office-Umgebung "Lotus Symphony" nach Notes, die Unterstützung des Linux-Derivats "Ubuntu" sowie (wieder eingeführte) Menüpunkte wie "Öffnen im neuen Fenster" oder "Öffnen im Designer".

Lotus Sametime, Lotus Connections und Linux

Im Verlauf des Jahres sind noch andere Updates diverser Notes-Bestandteile geplant. So soll allein "Lotus Sametime 8.0" zwei Aktualisierungen erfahren. Dabei erhält die "Advanced Edition" unter anderem das Feature "Persistent Chat", mit dem sich Gesprächsgruppen automatisch verbinden lassen. Mit "Sametime Unified Telephony" kommt eine Middleware hinzu, durch die sich die VoIP-Features (Voice over IP) von Sametime in verschiedene Telefonanlagen integrieren lassen. Zur Jahresmitte wird zudem die Tool-Sammlung "Lotus Connections 2.0" erwartet, die Social Software für Unternehmen bereitstellt und nun mit einer erweiterten Sprachunterstützung sowie einem Übersetzungsmodul aufwartet. Ebenfalls neu in Connections sind Features für Attention-Management (Benachrichtigungen über Ereignisse und neue Informationen) und eine Software mit Codenamen "Atlas", mit der sich soziale Netzwerke grafisch auf diversen Geräten darstellen lassen. Mehr Support gibt es künftig für das Paket "Open Collaboration Client Solution". Es umfasst Lotus Notes, Lotus Sametime, Lotus Symphony, das Websphere Portal, Lotus Connections, Lotus Quickr für File Sharing und Teamarbeit (Version 8.1 kommt im März) sowie Lotus Expeditor. Es richtet sich an kleinere Unternehmen und soll ihnen eine Alternative zum Microsoft-Desktop beziehungsweise auf dem Server zu dessen "Small Business Server" bieten. Zu den Versionen für Suse Linux (Desktop und Enterprise) und Red Hat gesellt sich nun eine für Ubuntu.

Schwierige Aufholjagdmit Microsoft

Die mit Notes 8 und den kommenden Produkten beschrittene Strategie war und ist dringend nötig, da der Erzrivale Microsoft mit Outlook und Exchange zu enteilen droht und ebenfalls verstärkt auf Unified Communications setzt. Verschiedene Schätzungen beziffern die Zahl der weltweit genutzten Notes-Mailboxen in Unternehmen zwischen 101 und 135 Millionen und rechnen in den kommenden drei Jahren nur mit einem leichten Anstieg. Laut der Radicati Group könnte Microsoft bis 2011 hingegen 304 Millionen Mailboxen vorzeigen. Auch verstärkt Microsoft seine Anstrengungen, durch verbesserte Migrationswerkzeuge und angeblich geringere Lizenz- und Betriebskosten IBM Kunden abzuwerben. So wurden jetzt die bisher separaten Migrations-Tools für Notes/Domino 6 und 7 in der "Microsoft Transporter Suite" gebündelt, wodurch sich laut Hersteller ein Umstieg schrittweise nach Anwendergruppen und Anwendungen bewerkstelligen lässt.

Hinzu kommen weitere Konkurrenten im Umfeld Collaboration/ Unified Communications, darunter Cisco, Google, Oracle, Sun oder Openxchange, die sich IBMs Versuch, die Kundenbasis auszubauen, entgegenstellen werden. Doch Analysten bewerten den neuen Kurs von IBM dennoch als vielversprechend. Allerdings zeigten sie sich angesichts der vielen Updates und Neuerungen außerstande, diese im Einzelnen zu bewerten. "IBM Lotus geht den richtigen Weg, indem es seine Entwicklungswerkzeuge öffnet, plattformübergreifende Funktionen schafft und es Anwendern ermöglicht, Ad-hoc-Anwendungen zu erstellen. Doch es ist schwer, die Angebote vor allem für Notes-Neulinge nachvollziehbar darzustellen", sagte Karen Hobert, Analystin der Burton Group. Doch genau auf diese Kunden ist IBM angewiesen, um im Markt zu expandieren.u