Entschiedenes Sowohl-Als-auch bei System-Software

IBM: SAA oder AIX - je nach Markterfordernis

04.11.1988

MÜNCHEN - "Unsere zwei strategischen Säulen für die Zukunft heißen AIX und SAA." In ungewöhnlicher Klarheit stellt Arthur Goldberg, Direktor für Workstationsysteme/PS-Linie der IBM Corporation dar, wie sich die Führungsriege des Branchenriesen die 90er Jahre vorstellt.

Das derzeitige Gerangel um die einzig wahre Unix-Heilslehre stößt dabei auf Unverständnis - offene Systeme sind willkommen, der Führungsanspruch der IBM allerdings bleibt manifest.

Nach Jahren und Jahrzehnten des Verwirrspiels um Systeme, Betriebssysteme und Anwendungen vollzieht sich, so wurde in dem Gespräch mit Arthur Göldberg klar, ein kultureller Wandel innerhalb der IBM, der so einfach für In- und Externe nicht nachvollziehbar scheint. Von einem einzigen Standpunkt rückt die IBM allerdings dabei nicht ab: ihrem allgemeinen Führungsanspruch in der Datenverarbeitung.

Auf letztlich nur zwei strategische Säulen wird das Angebot der IBM der 90er Jahre abgestimmt - AIX und SAA. Mit einem gewissen Unverständnis wird dabei das Gerangel um Unix zwischen X/Open, OSF, AT&T und neuerdings der Unix Association betrachtet. "Wir haben deutlich gemacht, daß wir Posix mit seinen Standardisierungsbestimmungen unterstützen", bezieht Goldberg Stellung und verdeutlicht so indirekt, wo der Zug nach Meinung der IBM-Führungsetage hinfährt.

Das Commitment zu offenen Systemen schließe die Überzeugung ein, daß Standards von keinem Unternehmen kontrolliert werden sollen - "weder von IBM noch von anderen". Unter diesem Aspekt wird auch die Entscheidung der OSF gewertet, AIX als Basis für die weiteren Aktivitäten auszuwählen. Mit der Sicherheit des Gewinners in einem Milliardenspiel liefert Goldberg technische Beweise für den Entscheid, der "bestimmt einigen Mitbewerbern schwer gefallen ist".

So seien in AIX über fünf Jahre Entwicklungsarbeit eingeflossen, der Kernel, der von AT&T an IBM ausgeliefert wurde, von einer halben Million Lines of Code auf 2,5 Millionen LoCs erweitert und über 3000 bislang undokumentierte Bugs in Unix geschlossen worden. Hauptsächlich qualitative Verbesserungen bestimmten den Unterschied zwischen AIX und der Unix-Basis.

Goldberg gesteht im Gespräch zwar zu, daß IBM relativ spät auf den Unix-Zug aufgesprungen sei, bekräftigt aber, daß derzeit genausoviel Aufwand in die AIX-Entwicklung gesteckt werde wie in die Entwicklung für Intel-basierende Systeme. Mit der Verfügbarkeit des IBM-Unix für die PS/2, mit den RISC-basierenden Systemen der Mittelklasse und den 370er-Produkten stelle die IBM im nächsten Jahr die breiteste Palette eines Anbieters im Unix-Markt.

Die Verzögerung der Auslieferung von AIX-PS/2 hänge damit zusammen, daß das Betriebssystem nicht dem Qualitätsniveau entsprochen und die notwendige Stabilität geliefert habe, so Goldberg zur Terminverschiebung auf den März 1989. Davon allerdings sei die Vereinbarung mit der OSF nicht berührt; sie gehe planmäßig im November über die Bühne.

Aufgrund der Probleme mit der PS/2-Version habe IBM Kapazitäten umleiten müssen, so daß sich auch die Auslieferung der Version 2.2.1 für die RT-Maschinen um einige Wochen verschoben hat.

Keine Konkurrenz zwischen SAA und AIX

Ein nicht unwesentlicher Teil der Entwicklungsarbeiten sei bislang dafür verwendet worden, die Unix- und die SAA-Welt einander anzunähern. Zwar fehle noch die einwandfreie Kommunikationsbrücke zwischen den beiden Säulen, aber bereits beim Design der jeweiligen Betriebssysteme werde darauf geachtet, daß Überlappungen der Funktionsbereiche ohne eine Überfrachtung auch gemischte Anwendungen zulassen.

In den letzten zwei Jahren sei viel darüber nachgedacht worden, ob sich zwischen beiden Bereichen ein vermeidbarer Konflikt anbahne, resümiert Goldberg. Man sei zu der Überzeugung gelangt, daß sowohl für SAA als auch für Unix die Anwendung als solche auswahlentscheidend sei und nur bei sehr wenigen Applikationen eine echte Wahlmöglichkeit bestehe.

Eines stellt Goldberg klar heraus: Zwischen SAA und AIX gibt es nach entsprechender Umdenk- und Umschulungszeit - keine IBM-interne Konkurrenz mehr. Dieser Prozeß allerdings erfordere im eigenen Hause noch enorme Anstrengungen in Form interner Ausbildung, werde aber zum großen Teil im Verlauf des nächsten Jahres abgeschlossen sein.

Basis ist das offene System unter Berücksichtigung der aktuellen Erfordernisse: "Wann immer ein Unix-Standard verabschiedet wird, wird er in AIX implementiert; wann immer ein Nicht-Unix-Standard kommt, wird er in SAA eingearbeitet", so das Versprechen des IBM-Managers.

Horst-Joachim Hoffmann ist freier Mitarbeiter der COMPUTERWOCHE.