Bisher war dem RZ-Spezialisten der Beitritt zu teuer

IBM räumt Systemview-Partner Legent Sonderkonditionen ein

17.07.1992

MÜNCHEN (gfh) - Für den RZ-Spezialisten Legent hat sich die Hartnäckigkeit gegenüber der IBM offenbar ausgezahlt. Das Unternehmen, das sich ursprünglich wegen der hohen Kosten geweigert hatte Systemview-Partner zu werden, ist jetzt doch der Allianz beigetreten, nachdem die IBM ihm Sonderkonditionen eingeräumt hat.

Grund für die bis vor kurzem ablehnende Haltung gegenüber der IBM war nach Angaben von Legent-Chef Joe Henson nicht das Konzept für unternehmensweites DV-Management selbst, sondern die Kosten der Partnerschaft. Die IBM hatte fünf Prozent vom Systemview-Umsatz des Partners verlangt. Als Gegenleistung hätten die Armonker das Marketing der Partnerprodukte übernommen (siehe auch CW Nr. 17 vom 24. April 1992, Seite 36: "Wir wollen nicht nur ein IBM-Softwarehaus sein").

Der Gesinnungswandel rührt nach Auskunft von Suzy Nicastro, Director Strategic Programs bei Legent, daher, daß es gelungen sei, andere Vertragsbedingungen auszuhandeln als sie den übrigen Systemviewpartnern zugestanden worden seien. Vor allem ging es Legent darum, das Marketing fest in eigener Hand zu behalten. Den Verzicht auf die Vertriebsmöglichkeiten der IBM, von denen sich Systemview-Partner Candle starke Umsatzzuwächse erhofft, begründet Nicastro vage: "Angesichts unserer weltweiten Marketing-Aktivitäten schien uns das unnötig".

Inzwischen ist das Verhandlungsziel erreicht. "Anders als Bachman, Candle, Goal und Platinum", freut sich Nicastro, "sind wir lediglich Entwicklungs-, nicht aber Vertriebspartner. IBM wird unsere Produkte nicht vermarkten." Ob dadurch die Zahlungen an die IBM wegfallen oder reduziert werden, wollte die Managerin allerdings nicht verraten.

Bedingungen sollen euch für Goal gelten

Auch ohne den jetzigen Vertrag wäre Legent IBM-Partner geworden, wenn am 3. August die Akquisition von - Goal Systems - einem RZ-Spezialisten, der bereits zum Systemview-Kreis gehört - über die Bühne geht. Dann steigt Legent nach Auskunft von Nicastro in eine neue Verhandlungsrunde mit der IBM ein, "um die für uns geltenden Bedingungen auf "Goal auszugehen". Allerdings rechnet die Managerin damit, daß die IBM für einige begrenzte Produkt-Bereiche die Vermarktungsrechte behalten wird.

Die Aufgabe von Legent als Systemview-Partnern wird es sein im Design-Council das Rahmenwerk und die Struktur von Systemview mitzugestalten.

Vorhandene DV-Struktur läßt sich weiter nutzen. Einer der wichtigsten Schritte im Rahmen der Fortschreibung war der Ersatz des Zentralrechners IBM 3090 15E mit VF durch das Nachfolgemodell IBM 9121 sowie durch eine Convex C3440. Der Convex-Computer fungiert als Server für die rechenintensiven Anwendungen des Biocomputing und der Bildverarbeitung. Der in seiner Leistung kaum veränderte IBM-Rechner 9121 Modell 210 deckt die laufenden Standardanwendungen (Datenbanken, Statistiken) und als Fileserver den verstärkten Bedarf an zentraler Datenhaltung und Archivierung im DKFZ-Netzverbund ab.

Diese Aufteilung der bisher vom Mainframe wahrgenommenen Aufgaben hat den Vorteil, daß die jeweils geeignete Rechnerarchitektur eingesetzt und die vorhandene DV-Infrastruktur weiterhin genutzt werden kann damit das DV-Konzept des BKFZ umfassend realisiert und trotzdem jede Kostenerhöhung vermieden wird.

Mithin steht auf zentraler wie auf dezentraler Ebene dringend erforderliche Rechenleistung bereits und die gravierenden Engpässe in den Bereichen Molekularbiologie und Bildverarbeitung sind behoben. Den Anstoß zur Fortschreibung des DV-Konzepts gaben mehrere Faktoren, darunter auch Aspekte der Rechnerhierarchie und der Realisierung einer Client-Server-Struktur. Insgesamt trägt das DV-Konzept des DKFZ einigen bedeutsamen Trends Rechnung:

- Das Endgerät am Arbeitsplatz wird zunehmend der PC mit lokalen Funktionen wie Textverarbeitung, Grafik und Spezialapplikationen sein. (Der Zugriff zu weitergehenden zentralen Diensten bleibt selbstverständlich notwendig.)

- Potente Anwendungen werden zunehmend auf Unix-Rechnern in den Abteilungen realisiert, insbesondere die Bildverarbeitung. Programmentwicklung verliert auf dem VM-Zentralrechner ebenso an Bedeutung wie die Verfügbarkeit von Rechenleistung.

Demgegenüber steigt der Bedarf nach Speicherung, Archivierung und Ausgabe großer Datenmengen.

- Das Betriebssystem Unix hat sich beim DKFZ auf Abteilungsebene weitestgehend durchgesetzt. Die dort installierten Rechner greifen als "Clients" auf zentrale DV-Server zu.

- Das praxisbewährte Ethernet-Rechnernetz des DKFZ wandelt sich durch den Anschluß vieler PCs zum "Terminalnetz". Daher wird für die zentralen DV-Server und für die Hochleistungs-Workstations ein neues Rechnernetz mit höherer Übertragungsgeschwindigkeit notwendig.

- Die externe Nutzung von DKFZ-Anwendungen gewinnt an Bedeutung, insbesondere durch die Installation eines zusätzlichen Convex-Rechners als nationaler EMBnet-Knotenrechner (European Molecular Biology) und durch das europaweite Angebot für das Human-Genome-Projekt.

Alle oben genannten Trends sind auch Ausdruck eines gewandelten Umfelds, das durch eine neue Rechnerhierarchie gekennzeichnet ist. Denn die rasante Entwicklung der Computertechnik hat neben den zentralen Großrechnern leistungsfähige Workstations und kostengünstige Personalcomputer entstehen lassen. Damit kam es zu, einer Verteilung von direkt verfügbarer Rechenleistung bis hin zum einzelnen Arbeitsplatz.

Dort wird festgelegt, welche Techniken und Funktionen in das Konzept passen. So soll zum Beispiel der OS/2 Presentation Manager als grafisches Front-end dienen. Außerdem hat sich Legent verpflichtet, einen Teil seiner Produkte für die Verwendung in einer Systemview-Umgebung umzuarbeiten.

Unabhängigkeit von Mainframes angestrebt

Als Grund für das Interesse am Systemview-Konzept für ein unternehmensweites DV-Management nennt Nicastro die Absicht ihres Unternehmens, seine Mainframe-Erfahrung im System-Management für andere Umgebungen wie DOS-LANs oder OS/400 oder Unix zu nutzen. "Wir wissen", so die Managerin, "daß unsere Anwender von uns erwarten, daß wir ihnen helfen mittelfristig von den Mainframes unabhängig zu werden."

Legent sieht darüber hinaus keinen Grund, warum man das bisher proprietäre Systemview-Konzept nicht auch auf andere Plattformen ausweiten sollte. Zu diesem Zweck hat der RZ-Spezialist bereits erste Verhandlungen mit Herstellern aufgenommen. Schon jetzt unterstütze Legent Digital- und Tandem-Umgebungen. Außerdem werde viel Geld und Arbeit investiert, um PC- und Workstation-Produkte auf den Markt zu bringen.

Systemview: ein Konzept von IBM

Mit Systemview hat die IBM im September 1990 ein Konzept für unternehmensweites System-Management vorgestellt. Vom Großrechner aus soll die gesamte Datenverarbeitung eines Unternehmens - möglichst mit automatisierten Verfahren - überwacht und gesteuert werden. Neben der RZ-Automation zielt das Konzept auch auf Bereiche wie Konfigurations-, Anwendungs- und Netzwerk-Management. Als Teil der System Anwendungs Architektur (SAA) ist Systemview für den Einsatz mit IBM-Großrechnern, den AS/400-Midrange-Systemen und den PS/2-Workstations ausgerichtet. Dazugenommen wurde auch die hauseigene Unix-Workstation RS/6000.

Bei der Realisierung läßt sich der Mainframe-Riese von den Software-Unternehmen Bachman, Candle, Goal, Platinum und jetzt auch von Legent helfen. Wichtige Anbieter wie BMC, BGS, Boole & Babbage und Computer Associates fehlen jedoch im Klub der IBM-Entwicklungspartner.