IDC sieht Big Blue auf dem Weg zum größten Unternehmen der Welt:

IBM nimmt verstärkt Superminis aufs Korn

02.12.1983

WIESBADEN (CW)-Mit über 70 Prozent Marktanteil ist IBM am oberen Produktende, dem Markt der über Eine-Million-Dollar-Computer, so stark wie selten zuvor. Jetzt scheint es dem Giganten an der Zeit zu sein, sich zielstrebig auch in andere Produktbereiche auszudehnen und Positionen in bisher schwach mit IBM-Produkten durchsetzten Märken offensiv auszubauen. Im Zusammenhang mit der Markteinführung der neuen Modelle 4361 und 4381 analysiert die International Data Corporation (IDC) die Strategien der IBM. Ein Ergebnis: Anfang des nächsten Jahrzehnts könnte IBM das größte Unternehmen der Welt sein.

Als IBM im Jahre 1981 die Reorganisation des Unternehmens ankündigte, war damit auch die Splittung der 4300-Serie in zwei Teilbereiche verbunden. Die größeren 4341 wurden der Data Systems Division in White Plains zugewiesen, während die 4331 der Systems Producis Division in Rochester zugeteilt wurden. Mit der Markteinführung der neuen Modelle 4361 und 4381 wird nun die damit angezielte Logik deutlich.

4300 trifft Hitachi-CPUs

Die 4381-Modelle 1 und 2 mit der Unterstützung von MVS/XA und IBM-Packaging-Technik schlagen klar eine Brücke in den 308X-Main(..)me-Bereich. Auf der anderen Seite nennt IBM die 4361-Modelle "Multi-application Superminis", mit starkem Schwerpunkt im technisch-wissenschaftlichen Einsatz. Die 4361-Modellbezeichnungen 4 und 5 lassen vermuten, daß kleinere Versionen folgen werden.

Die neuen Maschinen der 4381-Serie zielen im wesentlichen auf zwei Märkte. Zum einen erlauben sie den 4300-Anwendern den für viele dringend notwendigen Ausbau der Anlage mit MVS/XA-die meisten arbeiten noch mit DOS/VSE-zum anderen dienen die neuen Modelle als ein sehr wirtschaftliches MVS/XA-Entwicklungssystem für Mainframe-Kunden. Zwar ist eine /XA-Möglichkeit für die 4381 zum heutigen Zeitpunkt noch nicht gegeben, aber nach IBM-Angaben soll sich dies bis zu den ersten Kundenauslieferungen ändern.

Technologisch gesehen, lehnt sich die 4381 klar an die 308X-Familie an: Es wird dasselbe 704 Gates-pro-Chip-Board verwendet, allerdings beherbergt die 4381 insgesamt 36 solcher Chips auf einem 2,5-Zoll-Multichip-Modul, im Unterschied zu 120 Chips auf einem 3,5-Zoll-308X-TCM. 21 Multichip-Module (308X: 9 Multichip-Module) auf einem einzigen 22-layer Board bilden den vollständigen Befehlsprozessor der 4381. Obgleich die 4381 mit Luftkühlung arbeiten kann, empfiehlt IBM für größere Modelle Wasserkühlung.

Am unmittelbarsten betroffen von der Konkurrenz durch die neuen IBM 4381 sind die steckerkompatiblen Hitachi-CPUs, so die Modelle 6630 und 6650 von NAS und die entsprechenden Äquivalente von BASF.

Die NAS-6600-Serie sowie die entsprechenden BASF-Modelle unterstützen nicht MVS/XA. Die NAS-Begründung: Die Mehrzahl der 4341 Benutzer, die ihre DV-Kapazitäten ausbauen wollen, fahren DOS/VSE und sind nicht an /XA interessiert. Auf der anderen Seite kauften größere Kunden, für die die 4381 als MVS/XA-Entwicklungssystem interessant sein könnte, nicht eine PCM-Maschine. NAS plant auch weiterhin nicht, /XA auf der 6600 Serie zu unterstützen.

Für IBM stellt sich das Problem, durch die 4381 nicht den Verkauf der 3083 zu stören. Die selektiven Preissenkungen der 308X zu einer Zeit, als die 4381 angekündigt wurde, sichern beiden Maschinen ein ungefähr gleiches Preisniveau, obwohl die 43XX-Serie immer etwas offensiver im Preis lag. IDC schätzt, daß die Markteinführung der neuen 4381-Systeme-in hohen Stückzahlen ohnehin erst im Frühjahr 1984 erwartet -dem 3083E-Verkauf nicht allzu abträglich sein wird.

IBMs Marketing-Strategie, jetzt auch den technisch-wissenschaftlichen Markt verstärkt anzugehen, wird durch neue Hardware unterstützt: die 4361-Modelle. Dabei läßt sich das ältere Modell 4331 zu einer 4361 aufrüsten, was zwei Technikern zwei Tage Arbeit gibt. Diese Ausbaumöglichkeit ist wichtig, wenn man die Anzahl bereits installierter 4331-Systeme bedenkt.

Preisdruck fortgesetzt

Allein in den USA sind es über 6000, in Europa stehen etwa 4000 und in Deutschland rund 1200. Preismäßig liegt die 4361 im oberen Bereich der Superminis. Das ist sicher kein Zufall, sondern Kalkül: IBM zielt auf Marktanteile der traditionellen Mini-Hersteller.

Gegenüber den Herstellern nicht IBM-kompatibler Hardware setzt IBM auch mit den neuen Modellen den Preisdruck fort.

Mit der Zeit werden derartige Unternehmen gezwungen sein, ihre Preise denen der IBM anzupassen, wollen sie längerfristig an neuen Geschäften partizipieren. Ob sie das schaffen und dabei noch Gewinne erzielen können, ist heute noch nicht abzusehen.

Ein erhöhter Preisdruck auf den Markt von seiten der IBM ist auch im oberen Mainframe-Bereich zu beobachten. Burroughs und Honeywell haben vor kurzem erst ihre neuen "Flaggschiffe" auf den Markt gebracht, Sperry wird Anfang 1984 soweit sein. IBM auf der anderen Seite hat bereits mit Preisabschlägen begonnen. Sollten Burroughs, Honeywell und Sperry gezwungen sein, ihre Mainframe-Preise bereits im ersten Auslieferungs-Schwung der neuen Systeme herabzusetzen, könnte dies immense Gewinneinbußen zur Folge haben. IDC schätzt, daß diese Anbieter unter allen Umständen versuchen werden, ohne Preisabschläge -jedenfalls für die erste Zeit-auszukommen.

PCM-Anbieter hingegen haben prompt auf die Preispolitik der IBM reagiert und ebenfalls ihre Preise gesenkt.

Verstärkung im Supermini-Bereich

Für die traditionellen Mini-Anbieter wie DEC, DG und Prime ergeben sich aus der Markteinführung der neuen IBM-Modelle ganz andere Schwierigkeiten. Das Hauptproblem für sie ist nicht das Preis-/Leistungsverhältnis der IBM-Systeme, das zwar gut, aber nicht außergewöhnlich ist, sondern vielmehr generell die massive Verstärkung der IBM-Aktivitäten im Supermini-Markt. Schließlich ist jedem klar, daß die zukünftigen Marktanteile der IBM irgendwoher kommen müssen.

Besonders DEC ist durch die neuen IBM-Modelle in eine schwierige Position gekommen. Größere Stückzahlen des VAX-11/780-Nachfolgers dürften nicht vor Ende 1984 oder sogar erst Anfang 1985 verfügbar sein. Diese aber sind im Wettbewerb gegen die DG 10 000 und Prime 9950 für DEC unbedingt notwendig. DG und Prime sind bereits heute lieferfähig. Auch entsprechende Produkte von Perkin-Elmer, Tandem und Harris bringen den Mini-Marktführer DEC unter Druck. Die Aktivitäten von IBM machen dieses Problem für DEC nur noch akuter.

Doch garantiert die bereits relativ breite Basis installierter Hardware eine gewisse Stabilität im Geschäft. IBMs Aktivitäten sowohl im technisch-wissenschaftlichen Bereich (außer CAD) als auch im OEM-Geschäft halten sich nach wie vor in Grenzen, und IDC erwartet nicht, daß die neue 4361 im Bürobereich eine übermäßig große Verbreitung finden wird.

Da das IBM Operating System Grund häufiger Kritik war, vermutet IDC, daß IBM in Kürze Unix für die 4361 ankündigen wird. Unix ist im Laufe der letzten Jahre im technischwissenschaftlichen Bereich zunehmend beliebter geworden, wenngleich der Löwenanteil im Super-Mini-Markt natürlich nach wie vor in herstellereigenen Betriebssystemen liegt.

Strategien im Kommunikationsmarkt

Nicht nur die neuen 4381- und 4361-Modelle haben strategischen Charakter, auch eine ganze Reihe anderer Aktivitäten deuten Veränderungen in der IBM-Strategie an. So ist innerhalb der nächsten Jahre eine massive Verstärkung der IBM im Bereich der Netzwerke und Kommunikationstechnologien zu erwarten.

Obgleich IBM mit SNA ein weitverbreitetes Netzwerk-Management und einen "Quasi-Industriestandard" geschaffen hat, ist die Zukunftsträchtigkeit dieser Konzeption keineswegs gesichert. SNA wurde für ein einzelnes Host-System mit einfachen Terminals und geringen Übertragungsgeschwindigkeiten kreiert. Alle Daten werden zentral über das Host-System ausgetauscht. Dies verträgt sich kaum mit dem klar erkennbaren Trend zu immer verteilterer Intelligenz und Kommunikation einer immensen Anzahl einzelner "intelligenter" Terminals miteinander.

Andere Unternehmen wie GTE/Telenet, Tymshare/Tymnet , Geisco und die AT&T-Tochter American Bell stoßen bereits in diese Lücke vor. Es ist klar, daß insbesondere AT&T seine Position hart gegen IBM verteidigen wird. Wenn Computer-Kommunikation erst einmal die Verbreitung und Marktform heutiger Telefon-Kommunikation annimmt, wird sich die überragende Rolle der AT&T im Telefonbereich bemerkbar machen. Hier wird ein "Kampf der Giganten" stattfinden.

IBMs Satellite Business Systems, das Information Network und die Kooperation mit Rolm sind die ersten drei Schritte der IBM auf dem Weg zu einem aggressiven Kommunikations-Giganten. Schließlich gibt es für IBM gar keine Alternative zu diesem Schritt. Computer und Kommunikationsnetzwerke-heute noch zwei häufig getrennte Bereiche-werden in absehbarer Zeit völlig miteinander verschmelzen.

Allerdings will IBM nicht nur verstärkt in die Datenkommunikation einsteigen, sondern engagiert sich auch im traditionellen AT&T-Bereich, der Sprachkommunikation. Zwei der drei entsprechenden IBM-Ankündigungen (das Satellite Business System und die Kooperation mit Rolm) zielen klar in diesen Sektor.

Es dürfte wohl in erster Linie die Inkompatibilität der mittleren Systeme (/1, 8100, S/34, S/38, 4300, 5520) gewesen sein, die IBM auf die steigende Bedeutung von Netzwerken aufmerksam gemacht hat. DCA/DIA könnte hier die Antwort sein. Mit der Veröffentlichung der DCA/DIA-Spezifikationen hat sich IBM die Unterstützung anderer Unternehmen gesichert, die bislang SNA unterstützen.

In Deutschland und längerfristig wohl in ganz Europa manifestiert sich die Kommunikationsstrategie der IBM am deutlichsten im Bildschirmtext-Engagement, das wohl als der wichtigste Schritt überhaupt in dieser Hinsicht bezeichnet werden kann.

Gegen 1990 wird IBM voraussichtlich die 100-Milliarden-Dollar-Umsatzgrenze überschreiten und damit auf dem Weg sein, das größte Unternehmen der Welt zu werden. Um dies zu erreichen, muß IBM sein heutiges Volumen verdreifachen. Die Erschließung neuer Märkte ist dafür eine unabdingbare Voraussetzung.

Dabei ist es selbst für IBM mit einem Entwicklungsbudget von 3 Milliarden Dollar im Jahre 1982 unmöglich, alle Produkte "in-house" zu entwickeln, die zu einer offensiven Erschließung neuer Märkte notwendig sind. Zudem sind viele der neu entstehenden Mikroelektronikmärkte derart wechselnd, daß auch IBM nur im Zusammenschluß mit Partnern die nötige Flexibilität erreicht. Ein Beispiel hierfür ist der Personal-Computer-Markt. Nur zwei Jahre nach der Vorstellung des PC hat IBM einen neuen Geschäftsbereich (Entry Systems Division) gegründet. Es fällt auf, daß IBM immer früher in neue Märkte einsteigt und mit ihnen wächst, statt sich zu einem späteren Zeitpunkt einzukaufen, obwohl die Kritiker dem Giganten vorwerfen, er würde seine Wettbewerber neue Märkte erstmal aufbereiten lassen und dann mit seiner geballten Marktmacht quasi ins "gemachte Nest" einsteigen.

Im OEM-Bereich ist IBM weniger an großen Zusammenschlüssen oder Kooperationen interessiert als mehr an Zusammenarbeit mit ausgesuchten Partnern. Die vier unter strategischen Gesichtspunkten wichtigsten Partner der letzten Zeit sind Intel, Rolm, Matsushita und Merrill Lynch. Eine strategische Bedeutung haben aber auch die OEM-Verträge mit Cipher (4968-Magnetbänder), Epson (PC-Drucker), Toshiba (Scanmaster) und Hitachi (3200-Laser-Drucker). Hinzu kommen eine Vielzahl anderer OEM-Geschäfte ohne größere strategische Relevanz.

Tendenz zu "Offenen Systemen"

Gleichzeitig mit einer zunehmenden Aufgeschlossenheit für OEM-Partnerschaften ist auch die Tendenz zu offenen Systemen zu beobachten. Hierfür verantwortlich sein dürfte in erster Linie der Erfolg des IBM-PC als völlig offenes System. Je mehr IBM in der Erschließung neuer Märkte auf Unterstützung von dritter Seite angewiesen ist, desto offener werden die Systeme-zumindest in unteren Produktbereichen-sein.

Während im immer wichtiger werdenden Kommunikationsbereich AT&T die Konkurrenz der IBM schlechthin ist, verursacht der IBM in anderer Hinsicht die japanische Halbleiter-Industrie zunehmend Probleme. IBM kann es sich nicht leisten, von japanischer Chip-Technologie abhängig zu sein. Die heutige RAM-Situation zeigt die Gefährlichkeit. Die Investitionen der IBM in Intel dürften erst der Anfang eines Engagements sein.