IBM-Mitbewerber müssen eigene Stärken besser verkaufen

29.03.1985

An IBM kommt niemand vorbei - und jeder weiß es. Für Wolfram Brandes, Projektleiter bei Arthur D. Little, Wiesbaden, sind die drei Buchstaben im Computermarkt das, was Coca-Cola im Food-Markt ist. Auch hat der Slogan "In der Masse stirbt sich's leichter" offensichtlich noch immer nichts von seiner GüItigkeit verloren. Die Entscheidung, ob es auf Dauer eine "blaue WeIt" gibt, liegt bei den DV- Benutzern. An den IBM-Mitbewerbern liegt es, sinnvolle Alternativen zu Big Blue zu bieten, wenn sie den Trend zum Marktmonopolismus breschen wollen. Alerdings glaubt Heinz Steicher, daß das Phänomen IBM überschätzt wird. Der SCS-Berater: "Das rührt sicher daher daß viele Wettbewerber durch einen IBM-Komplex sich selber davon abhalten, die eigenen Stärken auszuspielen." CW-Chefredakteur Dieter Eckbauer an anderer Stelle immer wieder mit der Big-Blue-Problematik befaßt, kann Streicher da nicht zustimmen: "Es ist wie beim Auto - je ,blauer' ein Fahrer ist desto freier und überlegener fühlt er sich. Da hilft am Ende nur der Führerscheinentzug." ih

Wolfram Brandes

Projektleiter des Geschäftsbereich

lnformations- und

Kommunikationssysteme,

Arthur D. Little, Wiesbaden

Daß der Vorstandsbonus einen kritischen Erfolgsfaktor darstellt, hat IBM seit langem erkannt und mehr oder minder subtil verfolgt. Es läßt sich nicht leugnen, daß der Marktführer hier besonders erfolgreich war - und es weiterhin sein wird. In den USA wurde vor kurzem ein Name für Produkte geprägt, die in der Bewußtseinsbildung des Käufers fest verankert sind: Quintessence. Solche Produkte sind etwa Coca-Cola, Levis und die klassische Campells-Suppendose. Was den Computer angeht, so hat IBM hier einen verwandten Status. Trotz Klagen und auch unverhohlener Verfolgungsangst Seminartitel wie "Im Schatten des Giganten" tragen einen Teil des Mythos - kommt niemand so recht an Big Blue vorbei - und man weiß es. Es ist wohl sicherlich nicht so, daß dem Org./DV-Leiter keine Entscheidungsmöglichkeit mehr gegeben ist, aber man wird ihn eindringlich fragen, weshalb er eine IBM-Lösung nicht in Erwägung zieht. IBM als kategorisches Imperativ? Wohl kaum, vielmehr hat sich bei vielen Vorstenden" ein Bewußtseinswandel bemerkbar gemacht; das notwendige und teure Übel Computer wird immer mehr als wesentliche Ressource der betrieblichen Informationsstruktur gesehen.

Zu dieser operativen Dimension kommt eine entscheidende weitere hinzu: DV-Planung muß als ein Teil der strategischen Planung des Unternehmens realisiert werden. Hier, wird sichtbar, daß es nicht nur um Markenartikel geht, sondern um komplexe technologische und organisatorische Infrastrukturen. Ein Austausch von Einzelkomponenten kann schmerzhaft sein, wie wohl PCM- und Datenbanken-Debakel gezeigt haben. Eine Low-Budget-Politik zahlt sich vor diesem Hintergrund nicht aus. So manchem Vorstand ist bewußt geworden, daß IBMs Added-value nicht nur im oft höheren Preis liegt, sondern in den Möglichkeiten einer sehr großen Organisation, die in Problemsituationen erstaunlich flexibel reagieren kann.

Dennoch wird wohl kaum ein Vorstand eine Kaufentscheidung über den Kopf seines DV-Leiters tätigen, so daß der Vorstandsbonus eher einer von vielen Faktoren für die Bildung des Meinungsklimas darstellt. Der Vertriebsleiter wird auch in den nächsten Jahren den DV-Leiter und seine Fachleute durch Fakten überzeugen müssen; ein Besuch beim Vorstand allein wird die Punkte nicht erbringen.

Entscheidend für den Kauf einer Maschine sind eher die vorhandenen Rahmenbedingungen, Einsatzmöglichkeiten und wirtschaftlichen Migrationspfade, um künftige Anforderungen zu erfüllen. Dazu ist aber unabdingbar, daß diese bekannt sind beziehungsweise sinnvoll prognostiziert werden können, das heißt wiederum eine Einbettung der strategischen DV-Planung in einen strategischen Gesamtunternehmensplan voraussetzt. Der inzwischen hohe Terminalisierungsgrad und die fortschreitende Verzahnung der Anwendungen im operativen Bereich haben bereits faktische Abhängigkeiten geschaffen, die sich nicht mehr nur auf Maschinenentscheidungen reduzieren lassen.

Sinnvollerweise kann man in dieser Situation nicht die Gretchenfrage nach einem Produktnamen stellen, sondern eher nach den strategischen und operativen Bedürfnissen des Unternehmens, hieß es doch einmal bei IBM "DV follows function". Die eigentliche Frage stellt sich nach dem Vorhandensein eines strategischen Managements für Informationstechnologie, der Rest ist eher eine Frage der Kompatibilität, schlafloser Nächte des "Operativen Teams" und - Trauerweins Kolumnen.

Erik Hargesheimer

Geschäftsführer, IDC

Deutschland GmbH, Eschborn

IBM, IBM und nochmals IBM. Dies ist der gefühlsmäßige Eindruck vieler DV-User.

Mißt man diesen Eindruck an konkreten Zahlen, dann hat sich eigentlich seit Jahren nichts Wesentliches geändert. Insgesamt gesehen gibt es an der Marktführerschaft von IBM wenig zu deuteln: IBM ist der Marktleader und wird es wohl auch bleiben.

Andererseits fallen heute nicht weniger DV-Entscheidungen zugunsten der IBM-Wettbewerber als früher. In Teilmärkten verbuchen die Konkurrenten des Marktführers heute sogar mehr an bedeutsamen Entscheidungen für sich als dieser. Man nehme beispielsweise die erst kürzlich getroffene Entscheidung von Ikea, die Nixdorf einen millionenschweren Auftrag über Kassenterminals und Warenwirtschaftssystem einbrachte. Der Abschluß scheint mir symptomatisch für all diejenigen Märkte, in denen die Wettbewerber von IBM genügend Mut beweisen, sich auf ausgewählte Marktnischen zu konzentrieren. Dies setzt allerdings die Bereitschaft voraus, in die Entwicklung spezieller Anwendungen solcher Märkte investieren zu wollen. Kein Hersteller kann heute von einem Anwender erwarten, daß er sich für halbfertige Lösungen entscheidet. Eine Reihe von Teilmärkten zeigt (wie der Small-Business-Markt), daß solche Lösungen in der Regel auch Marktanteile, ja sogar häufig die Marktführerschaft in solchen Nischen nach sich ziehen - trotz der Anwesenheit von Big Blue.

Eine Garantie allerdings, daß solche Investitionen Früchte tragen und IBM in diesen Nischen allenfalls zur "zweitbesten Lösung" abstufen, kann niemand voraussetzen. Wer dies versucht, mißachtet eine Reihe von Motiven, die einen Kaufentscheid sowohl auf sachlicher als auch vor allem auf emotionaler Ebene beeinflussen. Emotional gesehen ist nicht zu übersehen, daß sich in der Denkwelt der Vorstandsebenen von Anwendern IBM mehr und mehr zum potentiellen (wenn nicht einzigen) Haus- und Hoflieferanten für DV-Systeme einnistet. Hier spielt das Gesetz der Größe eine nicht unwesentliche Rolle. Offensichtlich gehen Vorstandsmitglieder der DV-Benutzersiene davon aus, daß sie bei einer DV-Entscheidung weniger Fehler machen können, wenn sie sich wie die Mehrheit entscheiden. Der seit 1965 kursierende Slogan "In der Masse stirbt sich's leichter" scheint bis heute seine Gültigkeit noch nicht verloren zu haben. Generell gesehen, scheinen wir derzeit die Folgen einer Marktmacht zu erleben, die ihren Erfolg auf "De-facto"-Standards aufbaut. Welchem DV-Entscheider für Mainframes sollte man verübeln wollen, daß 70 Prozent Marktanteil der IBM bei Großcomputern auch seine eigene Entscheidungsfindung Drägen? Ist es einem DV-Leiter zu verdenken, daß er die dauernden Fragen nach der Stichhaltigkeit seiner Empfehlung für ein Nicht-lBM-System seitens seines weniger DV-erfahrenen Vorstands auf lange Sicht nicht durchsteht, wenn wir berücksichtigen, daß er damit den unbequemeren Weg für sich selbst wählt?

Die DV-Benutzer müssen sich selbst entscheiden, ob sie auf Dauer eine ausschließlich blaue Welt wollen, in der monopolistische Marktmacht herrscht. Die Folge wäre tatsächlich ein Aus für das Funktionieren des Wettbewerbs mit allen - auch unangenehmen - Folgen für den Benutzer. Der IBM-Wettbewerb allerdings muß sinnvolle Alternativen zur IBM bieten, wenn er den Trend zum Marktmonopolismus brechen will.

Knuth Stelter

Fachbereichsleiter, MCS

Management Consulting

Services GmbH,

Wiesbaden

Das Unbehagen über die Marktposition der IBM äußert sich in Publikationen und Gesprächen sehr oft in Form von Anschuldigungen gegen den "bösen" Monopolisten. Nicht selten werden die Fachvorstände der Kunden im gleichen Atemzug der "blue"-äugigen Bequemlichkeit bezichtigt.

Wer sich auf einen sachlichen Standpunkt stellt, wird eingestehen, daß die heutige Marktposition auf einer unternehmerischen Spitzenleistung über Jahrzehnte hinweg beruht, die sich niedergeschlagen hat in einer breiten, zuverlässigen Produktpalette vom Bildschirm bis zum Großrechner sowie einer transparenten Produktpolitik und durchgängigen Serviceleistungen auch im OEM-Bereich, das heißt quasi eine Generalunternehmenschaft für den Kunden, sofern er sie wünscht und bereit ist, den entsprechenden Preis dafür zu zahlen.

IBM hat auch nie die enormen Investitionen für Anwendungs-Software und die Wachstumsprobleme seiner Kunden aus den Augen verloren. Die europäischen Wettbewerber die die Zukunftsperspektiven die sie ihren Kunden gezeichnet haben, nicht immer halten konnten, sind bekannt.

Nun ist es aber gerade die Aufgabe der für die Investitionen in die Informationstechnologie verantwortlichen Fachvorstände, das Unternehmen vor Risiken zu schützen. Diese Risiken beziehen sich auf eben die in der Vergangenheit getätigten Investitionen sowie die mittelfristige Entwicklung des Unternehmens auf dem Gebiet der Organisation und Datenverarbeitung, vor dem Hintergrund eines immer schnelleren und vielfältigeren technologischen Wandels.

Die Absicherung der Investitionsrisiken ist sicherlich ein legitimer Grund, sich im Rahmen der von IBM durch ihre Marktposition und Produktpolitik gesetzten Standards zu bewegen. Sie sind aber keine ausreichende Erklärung für die vielfach vorhandenen Monokulturen der Hard- und Software-Ausstattung, vor allem im Bereich der Zentralrechner. Interessanterweise nimmt die Herstellervielfalt zu, je mehr man sich vom Zentralrechner entfernt und je dezentralisierter das DV-Konzept ist.

Die Zentralrechner - das Wort selbst drückt es schon aus - sind das zentrale Nervensystem zentraler DV-Konzepte und daher besonders kritischen Risikobetrachtungen unterworfen. Wer sich nun in die Niederungen der Technik begibt, wird feststellen, daß die PCM-Anbieter in puncto Technologie und Zuverlässigkeit dem Marktführer in jeder Hinsicht "das Wasser reichen" können. Es bleibt also noch die Frage der Zukunftsperspektiven zu klären.

Wer Alternativen fordert, muß diese auch fördern. Im Klartext heißt dies, daß eine 43XX oder 30XX im RZ genügt. Die zweite oder dritte Maschine darf ruhig vom PCM-Wettbewerber kommen. Der Weg zurück steht immer offen, und Preisvorteile zu nutzen, ist nicht unsittich.

Alternativen zu fördern heißt auch, dem IBM-Konkurrenten auf der Basis vergleichbarer Technologie und Zuverlässigkeit, bei besserem Preis/ Leistungs-Verhältnis, eine faire Chance und Kontinuität in der Zusammenarbeit einzuräumen.

Wer den Wettbewerb nur dazu mißbraucht, seine Verhandlungsposition mit IBM vermeintlich zu stärken, nimmt durch sein Verhalten dem Wettbewerber die Zukunftsperspektive. Wer sich managementmäßig darauf einstellt, wird aus dem Wettbewerb im RZ sicher auch Servicevorteile ziehen könne.

Es sind also die Fachleute aufgefordert, die vorhandenen Alternativen auf der technisch-sachlichen Ebene zu analysieren, zu bewerten und zu nutzen unter Berücksichtigung der vorhandenen Rahmenbedingungen, das heißt vorgegebenen Standards, bereits geleistete Investitionen sowie Sicherheit und Flexibilität für die Zukunft.

Die für die Analyse und Bewertung technologischer Alternativen einzusetzenden Methoden und Werkzeuge sind bekannt und bewährt. Kein Fachvorstand wird sich dementsprechend aufbereiteten Alternativen verschließen. Jedes Unternehmen arbeitet mit Haupt- und Nebenlieferanten, und es gibt keinen Grund, warum es bei Computern anders laufen sollte.

Dr. Heinz Streicher

Leiter Kommunikation, SCS

Scientific Control Systems

GmbH, Hamburg

Von den Vorständen und Geschäftsführern der deutschen Unternehmen sind nach eigenen Angaben nur 10 Prozent stark mit dem Thema "Datenverarbeitung/ Organisation" befaßt. Sind Entscheidungen auf diesem Gebiet im technischen oder kaufmännischen Bereich zu fällen, dann sind rund 50 Prozent der Topmanager "immer mitentscheidend" und etwa 17 Prozent "ab und zu mitentscheidend", während sich etwa 20 Prozent höchstens über die Entscheidung informiert sehen wollen. Diese Ergebnisse aus der SCS-Unternehmensenquete von 1983 werden bestätigt durch Repräsentativuntersuchungen der Verlage über "Entscheidungsprozesse" in der Wirtschaft. Danach sind 12 Prozent der Mitglieder der Geschäftsführung bei anstehenden DV-Entscheidungen "anregend", ebenfalls 12 Prozent bei der "Vorschlagsbewertung und Vorentscheidung" und nur noch 11 Prozent bei der "letzten Entscheidung" tätig, während die entsprechenden Werte für die für Informationstechnologie verantwortlichen Manager wesentlich höher liegen. Es handelt sich also offensichtlich um einen kooperativen Entscheidungsprozeß.

Die Chance der IBM, einen "Bonus" bei den Anwenderentscheidungen zu haben, war bis Ende der 70er Jahre wesentlich ausgepragter. Die erste Generation der DV-Chefs hatte häufig ihr Handwerk bei Mother Blue gelernt, und die DV-Leiter griffen bei Zentralrechnern für ihre Groß-DV verständlicherweise gerne auf Vertrautes zurück. Sie taten sich mit ihrer Entscheidung für IBM bei den Vorständen relativ leicht, da diese-mangels eigenem Fach-Know-how - häufig prestigegelenkte, meist aber sicherheitsorientierte Entscheidungen trafen. Mit dem Abschluß der Erstausstattungsphase in den größeren Unternehmen liegt allerdings diese "Prestige-Periode" seit einigen Jahren hinter uns.

Das Aufkommen dedizierter Systeme für die unterschiedlichsten Anwendungen fordert die mehr am zu lösenden Problem orientierte Auswahl, wobei ein "Mixen" der Hardware und der damit verbundenen Softwareteile bewußt und unbefangener in Kauf genommen wird als noch vor fünf bis zehn Jahren. Sicher wird dieses Verhalten auch durch die Möglichkeiten von universellen Betriebssystemen und portabler Software sowie durch Netze unterstützt.

Der Org./DV-Chef ist - nach jüngsten SCS-Untersuchungen - in den letzten vier bis fünf Jahren vom Abteilungsleiterstuhl, das heißt der zweiten Ebene unter dem Vorstand, zielstrebig auf den Bereichsleitersessel direkt unter der Vorstandsebene aufgestiegen, wo sich derzeit rund 62 Prozent (gegenüber 41 Prozent in 1980) der Org./DV-Manager breitmachen - und der Trend hält an. Sollte es also einen Dissens zwischen Vorstand und DV-Chef pro oder contra TBM-Produkten geben, so dürfte dieser normalerweise nicht einfach per "Direktionsrecht" entschieden werden.

Zunehmend führen viele Unternehmen solche Investitionen in strengen formalen Entscheidungsprozessen - meist unter Einschaltung neutraler externer Berater - durch, so daß etwaiger irrationaler Willkür nur wenig Raum bleibt. Sollte beim einen oder anderen Vorstand angesichts der weitreichenden Konsequenzen solcher Entscheidungen für das Funktionieren des Gesamtunternehmens die "Sicherheitskomponente" etwas überbewertet werden, so ist das eigentlich nichts Tadelnswertes. Gerade bei Entscheidungen für Systeme im technischen Neuland spielen Service, Durchhaltevermögen, eine klare Produktgenealogie des Lieferanten eine lebenswichtige Rolle.

Auf diese Attribute hat jedoch IBM sicher keinen Exklusivanspruch, so daß ein solches Verhalten einer größeren Zahl von Anbietern zugute kommt. Der Markt zeigt immer wieder, daß das Phänomen IBM überschätzt wird. Das rührt sicher auch daher, daß viele Wettbewerber durch einen IBM-Komplex, durch stetiges Starren auf Big Blue sich selber davon abhalten, die eigenen Stärken auszuspielen. Daß es auch noch ein paar andere erfolgreiche Hardwarelieferanten in unserem Land gibt, beweist die Computerbestandsstatistik von Diebold: Am installierten Anlagenwert hatte 1984 die IBM nur einen Anteil von 28,9 Prozent. Und der wäre sicher auch angerhessen, wenn in den Unternehmen und Vorständen nur fachlich fundierte-DV-Entscheidungen gefällt würden.