Big Blue will bei neu erstellter Systemsoftware nur noch "Objekte" liefern:

IBM-Kunden fürchten Quellcode-Restriktionen

01.07.1983

MÜNCHEN - Die von der IBM angekündigte Strategie, den Quellcode bestimmter Programmkomponenten nicht mehr oder nur noch unter speziellen Vertragsvoraussetzungen weiterzugeben, stößt bei vielen Anwendern auf Unverständnis. Gibt der Marktführer selbst die Verhütung von Softwarediebstählen als Grund für diese Maßnahme an, so sehen IBM-Kenner in den Restriktionen einen marktpolitischen Hintergrund: den Versuch des Mainframe-Giganten nämlich, Kompatibilitätsstandards eigenmächtig zu diktieren - vorerst scheibchenweise.

"Die neuen Richtlinien werden bei der Kundenmehrheit keinen Wirbel hervorrufen, so IBM-Pressesprecher Jürgen Sarfert, "einfach deshalb, weil sie das Quellenmaterial nie benötigten." Betroffen von der neuen Regelung sind freilich nicht alle IBM-Programmprodukte. Zum einen geht es um systemnahe Softwarepakete, überwiegend im MVS-Bereich, die von der IBM als "Programme mit eingeschränkter Nutzung" klassifiziert werden. Hier sei unter bestimmten Vertragsvoraussetzungen und bei begründeter applikationsspezifischer Fragestellung der Zugang zum Quellcode noch möglich.

Voll greift die Maßnahme in einem zweiten Bereich - und hier gibt es in der Tat Kunden, "die es übelnehmen könnten" (IBM-O-Ton): Einblick in die Sourcen neu erstellter Systemprogramme sei für den User zukünftig prinzipiell nicht mehr gegeben. Welche "Weichware" für welche Systeme gemeint ist, darüber schweigt sich Big Blue aus. Jedoch liegt nach Meinung von Branchenkennern die Vermutung nahe, daß Kunden mit Großrechnerinstallationen - insbesondere im XA-Bereich - demnächst eine "Sauregurkenzeit" erwartet.

Glaubt man der Argumentation aus dem Stuttgarter Unternehmen, benötigt der Anwender den Quellcode entweder nur zu tiefschürfenden Analysen oder um andere Programme dazuzuschreiben. Der zweite Punkt sei insofern sichergestellt, als der Anwendungsprogrammierer von der IBM eine entsprechende Beschreibung erhalte, die das Erstellen von ergänzenden oder übergeordneten Programmen zum gelieferten Objektcode gewährleiste. Demnach bestehe kein besonderer Grund, bestimmte "Neuerungen" zukünftig weiterhin mit den Quellcodes zu liefern.

Mit dieser Meinung konfrontiert, reagiert jedoch das Großanwenderlager unwirsch. Zwar wird der zukünftigen Verteilungskonzeption des Marktführers - durch die kaufmännische Brille gesehen - im allgemeinen durchaus Verständnis entgegengebracht, doch im Einzelfall stößt die neue Schwabenstrategie auf massive Ablehnung.

Der "Software-Klau" sei ein vorgeschobenes Argument, heißt es aus Anwenderkreisen, zumal die IBM selbst gegen Raubkopien bisher nichts unternommen habe. Vielmehr wolle man durch den Schutz von strategisch wichtiger Systemsoftware, etwa im DB/DC-Bereich, den Kunden daran hindern, auf Produkte der Konkurrenz überzugehen. So hat IBM dem Vernehmen nach beim Versuch der User, auf einen fremden TP-Monitor zurückzugreifen, schon im vergangenen Jahr massiv interveniert.

Branchenkenner sehen einen Knick in der IBM-Unternehmensstrategie. Wurde in den 60er Jahren die "System-Weichware" noch im "Bundling" ausgeliefert, so entbündelten die Stuttgarter im weiteren Verlauf das komplexe Paket in einzelne Lizenzprogramme. Nun versuche der Marktführer, durch das "Objekt-Code-Only-Geschäft" den Einsatz von systemnahen Fremdprodukten zu unterbinden. Für den Kunden werde das Konzept zur "Einbahnstraße", sollte die IBM ihre "Objekte" im Mikrocode erstellen.

Auf diese Prognosen reagieren die betroffenen Anwender gereizt. Denn noch, und darüber herrscht weitgehend Übereinstimmung, sei IBM bisher den Beweis schuldig geblieben, einwandfreie Software liefern zu können. Die Erfahrung zeige: Obwohl die Source vorhanden sei und Fehler somit von den eigenen Systemleuten eingegrenzt werden können, erfolge seitens der IBM kein befriedigender Response. Auch der lokale Softwareservice gebe über das" Seelsorge-Telefon" nicht selten Instruktionen zur Fehlerbehebung, die ohne das Primärprogramm nicht zu übersetzen seien. "Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, in den Quellcode hineinzuschauen, sieht es für uns traurig aus", ärgert sich ein Großkunde aus dem bayerischen Raum, der angesichts dieser "Hiobsbotschaft" für die Zukunft um seine Betriebsbereitschaft fürchtet

Obwohl das zukünftige "Big Blue-Konzept" bei der Mehrzahl der betroffenen Anwender auf wenig Gegenliebe stößt, gibt es jedoch auch positive Stimmen Dr. Hagen Hultzsch, Präsident von SEAS (SHARE European Association) und Rechenzentrumsleiter der Gesellschaft für Schwerionenforschung aus Darmstadt, hält die Entwicklung für richtig: "Vom Management point of view ist mir daran gelegen, den Quellcode nicht selber zu modifizieren, sondern den Hersteller damit zu beauftragen. Dies sollte über die Benutzerorganisation erreicht werden" Wünschenswert sei eine "Requirement-Database", die nach amerikanischem Vorbild viermal im Jahr definiert werde. Mit entsprechendem Druck der User-Gruppe erhalte man so seine Ergebnisse billiger und besser. Dazu ein Anwender: "Ein Database-Requirement ist graue Theorie. Alle hätten es gern, aber der IBM-Riesenapparat ist nicht in der Lage, diese Unterstützung zu bieten".