Künftige Computergenerationen kommen nicht aus der Kälte:

IBM-Forscher legen Josephson-Projekt auf Eis

18.11.1983

YORKTOWN HEIGHTS/NEW YORK (cw) - Nachdem bereits Bell Labs und Sperry Univac die Josephson-Forschung eingestellt haben, hat nun auch IBM das Ziel aufgegeben, den Supra-Leiteffekt bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt für die Halbleitertechnik zu nutzen. "Es gab Verzögerungen, und wir waren mit den Ergebnissen nicht zufrieden", sagte dazu Dr. Ralph E. Gomory, IBM Vice President und Leiter der IBM Research Division in Yorktown Heights, New York.

"Josephson-Junctions ", supergekühlte, superschnelle Schaltkreise, die nach Ansicht vieler Forscher den Schlüssel zur nächsten Großrechnergeneration herstellen sollten, scheinen an Attraktivität verloren zu haben.

IBM, Bell Laboratories und die Sperry Corp., also die drei Top-Unternehmen, die mit Josephson-Elementen experimentieren, haben ihre Forschung in diesem Bereich aufgegeben und wenden sich jetzt Projekten auf Silicon- und Gallium-Arsenid-Basis zu. Im Juni kürzte Sperry den Josephson-Etat spürbar; als Grund nannte man grundlegende Probleme mit der Technologie. IBM und Bell stoppten die Josephson-Forschung offiziell in den letzten beiden Monaten. Auch sie führten technische Probleme bei der Herstellung der Josephson-Elemente an. Dadurch aber habe sich das Gleichgewicht zwischen Kostenfaktor einerseits und Herstellung zuverlässiger Prozessoren auf Josephson-Basis andererseits

zum Negativen hin verschoben.

Die Technologie basiert auf einer Theorie, die 1962 von dem britischen Physiker Brian Josephson entwickelt wurde: Bis fast auf den absoluten Nullpunkt heruntergekühlt (null Grad Kelvin, entspricht zirka 273 Grad Celsius), seien Schaltkreise supraleitfähig beziehungsweise verlören nahezu jeden Widerstand. Um diese Temperatur zu erreichen, müssen die Schaltkreise in ein sehr kaltes Medium, wie flüssiges Helium, versenkt werden.

Die einschneidenden Kürzungen bei Sperry, IBM und Bell bedeuten jedoch nicht, daß die Josephson-Forschung tot ist. Alle drei Unternehmen beschäftigen sich nach wie vor mit dem Josephson-Effekt; akademische und militärische Forscher stehen ihnen darin um nichts nach. Dennoch scheint die Expertenmeinung derzeit so zu sein, daß die Technologie zu viele Probleme in sich birgt, um sie als wirtschaftliches und zuverlässiges Produkt freigeben zu können.

Computerhersteller sind geneigt, die Frage nach der Wirtschaftlichkeit an das obere Ende der Entscheidungsskala zu stellen, um auf diese Weise Kunden anzuziehen. Josephson-Elemente können dieser Forderung nicht genügen. Es ist also nicht verwunderlich, daß Staat und Militär heute Vorreiter der Josephson-Forschung sind. Hier nämlich sind die Budgets, von Steuergeldern gespeist, nicht in erster Linie auf ein wirtschaftliches Endprodukt ausgerichtet.

IBM, die seit 1976 mehr als 100 Millionen Dollar auf die Josephson-Forschung verwendet haben soll, hat die meisten der 115 Josephson-Forscher zurückgezogen, die am Thomas J. Watson Research Center in Yorktown Heights/N. Y. tätig waren. Die Company gab kürzlich auch ein experimentelles Projekt auf, das die Herstellung von Josephson-Elementen zum Ziel hatte und in der IBM-Fertigungsstätte in East Fishskill/N. Y. vorangetrieben wurde. Dieses Vorhaben galt als Teil der Josephson-Forschung und Entwicklung von Big Blue.

Etwa ein Sechstel des Teams, das für die Josephson-Forschung abgestellt war, soll nach Angaben eines IBM-Sprechers weiterhin an Kryogen-(Farbstoff-)Einheiten arbeiten.