IBM: Dreiviertel Kraft voraus Dieter Eckbauer

01.04.1994

Die Wall-Street-Analysten bedraengen den Big-Blue-Chef Louis Gerstner mit der Forderung, die neue Generallinie der IBM- Produktpolitik bekanntzugeben, einen Masterplan zu veroeffentlichen, an dem sich die Kunden orientieren koennen. Zu den Meinungsmachern gehoert das "Wall Street Journal" (WSJ), das in der vergangenen Woche mit einer Mutmassung vorpreschte: "IBM Chief Will Unveil Plan To Cut Role of Mainframes", schrieb das US- Boersenblatt. Schon im ersten Satz des Artikels wurde klar, warum Gerstner damit bisher gezoegert hat: Die IBM, konstatierte der WSJ- Reporter, ist noch zu sehr abhaengig vom Mainframe-Geschaeft, seit mehr als 30 Jahren das "lifeblood" des Unternehmens.

Gerstner hat in der Frage, wie sich die IBM aus dieser Abhaengigkeit loesen will, bisher mehr laviert als agiert. Ein kniffligeres Problem ist nicht vorstellbar. Erkennen musste er, dass das Mainframe-Geschaeft ausblutet - die Abloesung proprietaerer Systeme, die obsolet geworden sind, ist bei den Anwendern in vollem Gange, die internationale Fachpresse voll von Berichten ueber Migrationsprojekte. Das Ziel heisst verteilte DV, heisst Client-Server.

Doch viele IBM-Grosskunden sind nach wie vor darauf angewiesen, dass die /370-Systeme weiterentwickelt werden. Das laesst es Gerstner nicht ratsam erscheinen, mit einem "Good bye, Old Big Iron" vollendete Tatsachen zu schaffen. Schweigen mochte der IBM-Mogul dennoch nicht. Gerstner hat sich einen Kompromiss ausgedacht: vermindertes IBM-Engagement auf der einen Seite, bei den Mainframes, dreiviertel Kraft voraus in Richtung Client-Server, wie er jetzt vor amerikanischen Analysten darlegte (siehe Seite 10).

Die IBM-Beobachter haben ihr Spekulationsobjekt: Welcome, ja wer denn, was denn, wie denn? Von einer Aufbruchsbotschaft ist die IBM weit entfernt. Dass Gerstner selbstkritisch eingesteht, die IBM habe den Trend zum Distributed Computing unterschaetzt ("Unser groesster Fehler"--), ist ein Zugestaendnis an die Medien, mehr nicht. Noch sind IBMs "Open Blueprints" leere Huelsen, es fehlen Produkte, die den Mainframer als Client-Server-Anbieter ausweisen.

Einen ersten Schritt in diese Richtung will die IBM tun, indem sie ihre inkompatiblen Betriebssysteme im PC-, Workstation- und Midrange-Bereich vereinheitlicht. OS/2, AIX und AS/400 sollen sich in einer sogenannten "Workplace"-Familie wie Brueder verhalten. Das sagt zwar nicht mehr genau dasselbe wie das Versprechen bei der SAA-Ankuendigung vor einigen Jahren, alle Anwendungen unter der System-Anwendungs-Architektur ueber die verschiedenen IBM- Plattformen hinweg portabel zu machen. Doch waere zu fragen, welche Rolle die AS/400 im Client-Server-Stueck der IBM spielen wird.

Gerstner rechnet wohl schon damit, dass die Streitigkeiten in der IBM ueber die Betriebssystem-Hoheit im Midrange-Bereich immer wieder aufflackern werden. Seine Aussage, die IBM werde nicht auf eine einzelne Technologie setzen, laesst alles offen. Jetzt kommt es darauf an, wie die Anwender reagieren. Gerstners Probleme sind nicht kleiner geworden.