Warum der Branchenführer im Moment so gut dasteht

IBM - die perfekte Selbstinszenierung

01.08.2003
MÜNCHEN (gh) - Einmal mehr hieß es für die IBM zuletzt: Business as usual. Das zweite Quartal war gut. Doch hinter dem Zahlenwerk verbergen sich nicht nur die Vorteile eines schwachen Dollars. Dem Konzern fällt es schwer, organisch zu wachsen. Trotzdem schickt sich Big Blue an, die Branche mit seinem Verständnis von On-Demand-Computing zu revolutionieren.

Reine Routine: CEO Samuel Palmisano (Foto) und Finanzchef John Joyce sprachen angesichts eines rund zehnprozentigen Umsatzzuwachses und einer im Vorjahresvergleich überdurchschnittlichen Ergebnissteigerung von einem "soliden Quartal", warnten jedoch gleichzeitig vor den "unverändert schwierigen Marktbedingungen". Auch sonst gefielen sich beide IBM-Manager vor gut zwei Wochen im Ritus üblicher Bilanzinterpretationen. Man habe im Asien- und Europa-Geschäft vom schwachen Dollar profitiert, gleichzeitig hätten sich Akquisitionen sowie Kosteneinsparungen positiv auf Umsatz und Ertrag ausgewirkt.

Auch die Analysten ließen die jüngsten IBM-Ergebnisse kalt. Die Wallstreet schloss sich der Interpretation eines "soliden Quartals" an - Hauptsache, so schien es, Big Blue sorgt nicht für weitere Hiobsbotschaften, die die Stimmung an den ohnehin sehr fragilen Hightech-Märkten wieder nach unten ziehen. So wundert es kaum, dass ein Kommentar der US-amerikanischen Investmentbank Fulcrum Global Partners, der sonst für Schlagzeilen gesorgt hätte, weitgehend unbeachtet blieb. Allein die positiven Währungseffekte hätten dem Branchenführer 50 bis 60 Prozent der für die aktuelle Berichtsperiode ausgewiesenen Umsatzsteigerung beschert, hieß es dort. Der Rest des Konzernwachstums sei, so Fulcrum-Analyst Robert Cihra, auf den Kauf der Consulting-Sparte von Pricewaterhouse-Coopers (PWC) sowie von Rational Software zurückzuführen. Cihras Fazit ist daher eindeutig: "IBM kann so gut wie kein organisches Wachstum vorweisen und wird, wenn sich daran nichts ändert, in Zukunft Probleme bekommen."

Die Frage, ob und wann Big Blue gegebenenfalls in Schwierigkeiten geraten wird, ist indes nicht ganz neu. Schon Mitte bis Ende der 90er Jahre, als sich der Rest der IT-Branche im Glanz meist zweistelliger Expansion sonnte, begnügten sich die Armonker unter dem früheren CEO Louis Gerstner mit vergleichsweise bescheidenen Zuwächsen. Insgeheim waren, so der damalige Eindruck von Beobachtern, die Konzernverantwortlichen schon zufrieden damit, die existenzielle Krise zu Beginn der 90er Jahre, als man den PC- und Downsizing-Trend verschlafen hatte, gemeistert und die Position als größter IT-Anbieter und -Dienstleister verteidigt zu haben.

IBM nimmt die Rolle des "IT-Versorgers" ein

Jetzt, unter der Ägide von Gerstner-Nachfolger Palmisano, stellt sich das Ganze anders dar: Nicht nur die Konsolidierung des eigenen Produktportfolios (Hardware, Betriebssysteme) bei gleichzeitiger Eroberung neuer Märkte (Internet, Middleware), sondern die komplette Neupositionierung des Konzerns als "IT-Versorger" und Business-Partner seiner Kunden steht auf der Agenda. So hatte es Palmisano bei seiner ersten Grundsatzrede im Oktober vergangenen Jahres sinngemäß gefordert, und so hat sich seither dank einem entsprechenden Marketing die neue Leitlinie der IBM vom "E-Business-on-Demand" innerhalb der IT-Branche verbreitet.

"Ein Vertriebszentrum steht still wegen eines Unwetters. Der Vertrieb geht weiter. Sehen Sie es?" Mit Werbung dieser Art transportieren die Armonker seit Monaten ihre Botschaft in den Markt, die, würde man sie auf den eben zitierten Spot münzen, eigentlich in die Frage gekleidet sein müsste: Merken Sie es überhaupt? Mit anderen Worten: IBM präsentiert sich innerhalb der IT-Industrie mehr denn je als das Synonym für Partnerschaft, Verlässlichkeit und Kostenersparnis. Das Problem dieser Botschaft ist nur, dass sie, wie die US-amerikanische CW-Schwesterpublikation "CIO" unlängst feststellte, bei CEOs und CIOs in völlig unterschiedlicher Weise ankommt. Mit fatalen Ergebnissen: Denn in dem Maße, wie die Unternehmensvorstände im On-Demand-Computing der IBM eine Möglichkeit sehen, die "IT-Kosten weitgehend aus ihren Büchern zu eliminieren", stehe das IT-Management zunehmend vor der Herausforderung, seine alten Probleme, nämlich den Wildwuchs an Applikationen und die zu geringe Auslastung vorhandener Rechnerleistung, "mit Hilfe noch in den Kinderschuhen steckender neuer Technologien und Konzepte zu lösen", schreibt das Blatt. Vielfach werde dabei vergessen, dass Big Blue auch mit einer der Verursacher der alten Probleme sei. Doch dem Marketing des Branchenführers tue dies keinen Abbruch, heißt es weiter. "Die IBM verkauft nun die Wahrheit. Und die Wahrheit ist, dass die IT bis dato keines ihrer Versprechen, die sie gegenüber ihren Unternehmenskunden gemacht hat, halten konnte."

Starke Zuwächse im Servicegeschäft

Schaut man sich die jüngsten IBM-Zahlen noch einmal genauer an, könnte man auf den ersten Blick ironisch feststellen: Diese Wahrheit verkauft sich offenbar gut. So gelang es zumindest IBM Global Services (IGS), im zweiten Quartal 2003 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 23 Prozent auf ein Umsatzvolumen von 10,6 Milliarden Dollar zuzulegen. Wechselkursbereinigt ergab sich laut IBM im konzernweiten Geschäft mit IT-Dienstleistungen immer noch ein Wachstum von 14 Prozent. Dazu, wie dieser Vorjahresvergleich ohne die seit dem ersten Quartal 2003 in der Bilanz konsolidierten Zahlen von PWC aussähe, schwiegen sich die Armonker indes aus. Zur Erinnerung: Im zweiten Quartal 2002 hatte IGS ohne PWC einen Umsatz von 8,7 Milliarden Dollar ausgewiesen. Tatsache ist jedenfalls, dass Big Blues Servicesparte im aktuellen Berichtszeitraum wie schon im Vorquartal etwa so viel zu den Konzerneinnahmen beisteuerte wie alle übrigen Geschäftsbereiche zusammen.

Für Jean-Christian Jung vom Marktforschungsunternehmen Pierre Audoin Conseil (PAC) ist dies nicht weiter verwunderlich. Seiner Schätzung nach muss man den Umsatz, den die früheren PWC-Aktivitäten zu den Einnahmen von IBM Global Services beisteuern, auf knapp fünf Milliarden Dollar taxieren. Ein nicht unerheblicher Teil davon sei originäres Geschäft von PWC, also zugekaufter Umsatz hauptsächlich in Form von Business-Process-Consulting, der Rest entfalle auf Verträge, die IGS "im Verbund mit PWC" abschließen konnte - also in erster Linie große Outsourcing-Deals mit einer großen, vorgeschalteten Beratungskomponente sowie das eine oder andere aufwändige SAP-Projekt.

Grundsätzlich bewertet der PAC-Experte die Übernahme von PWC gerade unter dem aktuellen Slogan der IBM, Rechnerleistung nach Bedarf anzubieten, als "langfristig sinnvolle Strategie". Denn das Konzept, dass zunächst hinter dem E-Business-on-Demand stecke, spreche nicht die CIOs, sondern die CEOs an. Nicht umsonst seien daher momentan die früheren PWC-Partner die "wichtigsten Account-Manager" der Armonker. Allerdings stelle das meiste, was die IBM heute als On-Demand-Computing interpretiere, lediglich ein neues Marketing-Konzept dar, das "auf einer nachhaltigen Flexibilisierung von Outsourcing-Verträgen" basiere. Mittelfristig müsse Big Blue daher nachlegen; die technischen Möglichkeiten in puncto Server-Konsolidierung und erste branchenspezifische Ansätze von Grid-Computing genügten nicht.

Den Vorwurf, der in dem erwähnten "CIO"-Artikel durchschimmerte, wonach IBM mit "E-Business-on-Demand" seinen unangefochtenen Status als IT-Vollsortimenter und weltweit größter IT-Dienstleister lediglich neu etikettiere, lässt Jung nicht gelten. Der Konzern wandle sich - wie von CEO Palmisano angekündigt - "glaubhaft vom Technologie- zum Business-Partner seiner Kunden" und mache auf diese Weise "seine eigene Wertschöpfungstiefe" besser geltend.

Dass Big Blue im Zuge der mit dem On-Demand-Computing-Konzept verbundenen noch stärkeren Serviceausrichtung auch ein Risiko eingeht, will der PACExperte indes nicht bestreiten. So könnte mittelfristig die erkennbare Absicht, große Kunden-Accounts nun hauptsächlich aus Sicht der Geschäftsprozesse zu betreuen, auch dazu führen, "dass man vergisst, die eigenen Produkte zu verkaufen", spielt Jung etwas salopp auf den Umstand an, dass bei der IBM derzeit im Vertrieb nicht unbedingt die Techniker das Sagen haben. Zudem habe es auch der Branchenführer längst mit den aktuellen Problemfeldern im IT-Dienstleistungsgeschäft zu tun - etwa dem Preisverfall im klassischen Outsourcing-Geschäft sowie der Zurückhaltung vieler Kunden, was große Systemintegrations-Projekte angeht.

Glaubt man Branchenkennern wie Jung, dürfte sich das konzernweite organische Wachstum der IBM auch mittelfristig in Grenzen halten, denn auch in Zukunft hängt bei Big Blue alles vom Dienstleistungsgeschäft ab. Vielleicht sollte man an dieser Stelle noch erwähnen, dass die Probleme, die der Branchenführer womöglich sonst noch hat, auf der Basis der jüngsten Quartalszahlen weitgehend die alten sind: Ein erneut - wenn auch nur geringfügig - rückläufiger Hardwareumsatz von 6,6 Milliarden Dollar, ein PC-Geschäft, das mit 2,7 Milliarden Dollar und damit 12,5 Prozent des Gesamtumsatzes beim besten Willen nicht mehr als strategisch bezeichnet werden kann - und eine Software-Business-Unit, die um sechs Prozent auf vergleichsweise geringe 3,5 Milliarden Dollar zulegen konnte. Man kann die zweischneidige aktuelle Performance des Branchenführers aber auch an einem anderen Brennpunkt des Marktgeschehens festmachen: So gelang es der IBM in den letzten Monaten zwar, ihre Position im Middleware- und Datenbankmarkt gegenüber den dort lange Zeit führenden Anbietern Bea Systems und Oracle auszubauen; gleichzeitig erwarten aber viele Experten gerade im Integrationsgeschäft ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen .NET (Microsoft) und Websphere (IBM).

Der Vorteil der Armonker könnte unter dem Strich jedoch sein, dass ihnen bei ihrem zentrierten Serviceansatz (wieder einmal) die gesamte Branche folgen muss. Wenn die komplette Zunft der IT-Dienstleister und -Beratungshäuser leidet, leidet Big Blue mit - aber auf weitaus höherem Niveau. So betrachtet gelte, wie die US-Ausgabe des "CIO" sinngemäß feststellt, die Formel vom On-Demand-Computing auch als perfekte Selbstinszenierung. Dass die Anwender dabei wieder neue Visionen und neues Zutrauen in die IT entwickeln müssen, wollte auch Irving Wladawsky-Berger, Chef der On-Demand-Sparte von IBM, gegenüber der CW-Schwesterpublikation nicht bestreiten. E-Business-on-Demand sei, so der Manager, eine "Langzeitvision". Entscheidend sei, ob man dabei "bei Null oder auf einer bereits etablierten Basis" beginne.