IBM Deutschland muss aufräumen

01.02.2008
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Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Der Branchenriese strukturiert sein Deutschland-Geschäft neu. Ab Mitte des Jahres soll es statt 20 nur noch vier Kerngesellschaften geben.

Nur mit einer klaren Ausrichtung auf Kernkompetenzen sei IBM in der Lage, auf die sich ständig ändernden Märkte zu reagieren, begründete Martin Jetter, Vorsitzender der Geschäftsführung IBM Deutschland, den anstehenden Umbau. Unter dem Slogan "One IBM" will der Konzern sein hiesiges Geschäft, das bis dato in zirka 20 Gesellschaften aufgegliedert ist, künftig auf nur noch vier Säulen stützen. Allerdings wird es auch innerhalb dieser vier neuen Bereiche weitere Untergesellschaften geben. Wie die Detailstruktur aussehen soll, ist noch nicht publik gemacht worden.

Bekannt sind dagegen die vier großen Säulen:

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www.computerwoche.de

558021: IBM entmachtet deutsche Tochter;

556298: IBM will in Europa und Deutschland massiv entlassen;

542223: Kein Durchbruch bei Tarifrunde für IBM-Beschäftigte;

1206005: IT-Konzerne: Weg aus Deutschland?

  • Im Bereich Research & Development sollen die Forschungs- und Entwicklungsressourcen der IBM Deutschland Entwicklung GmbH zusammengefasst werden. Jetter zufolge arbeiten hier derzeit zwischen 2000 und 2500 Menschen in Deutschland.

  • Die IBM Deutschland GmbH umfasst künftig Vertrieb und Beratung. Diese Gesellschaft wird für den Verkauf aller Produkte und Dienstleistungen von IBM verantwortlich sein. Dazu zählt der Anbieter auch die Bereiche Wartung und Beratungsservices.

  • Solutions & Services wird die IBM-Produkte und -Services liefern und bei Bedarf einführen. Dabei handelt es sich größtenteils um neue beziehungsweise umfirmierte Gesellschaften aus der heutigen Dienstleistungssparte Global Technology Services (GTS) und der Beratungssparte Global Business Services (GBS).

  • Die IBM Deutschland Management & Business Support GmbH soll alle Management- und Verwaltungsfunktionen übernehmen.

    Der Druck wächst

    IBM Deutschland muss effizienter arbeiten und wirtschaften. Diese Entwicklung hatte sich bereits in den vergangenen Jahren angedeutet.

    Mitte 2005 entmachtete die Zentrale die deutsche Niederlassung. Die hiesige Gesellschaft verlor die Verantwortung für die Märkte in Österreich und der Schweiz. Gewerkschaftsvertreter verwiesen in diesem Zusammenhang auf die schwindende Bedeutung des deutschen Marktes. Statt zehn Prozent wie in den 70er und 80er Jahren trage Deutschland nur noch fünf Prozent zum Gesamtumsatz des Konzerns bei.

    In der Folge gewannen andere Regionen an Bedeutung. In puncto Wachstumsrate lagen die aufstrebenden Märkte in Asien und Osteuropa vorn. Deshalb flossen mehr und mehr Ressourcen aus den angestammten IBM-Ländern ab. Während in Westeuropa Stellen gestrichen und wie in Schweinfurt ganze Niederlassungen geschlossen wurden, stellte der Konzern beispielsweise in Indien über 10 000 neue Mitarbeiter ein.

    Anfang 2007 kritisierte IBMs Finanzchef anlässlich einer Bilanzpräsentation die deutschen Wachstumsraten. Zehn Prozent waren aus seiner Sicht zu wenig. Seitdem hat der Konzern keine weiteren Zahlen zu Deutschland veröffentlicht und will sich auch nicht zur aktuellen Geschäftsentwicklung hierzulande äußern.

    Erklärungen von Geschäftsführer Martin Jetter lassen jedoch annehmen, dass sich die Situation keineswegs entspannt haben dürfte. Während das Enterprise-Geschäft in den G7-Staaten nur noch im kleinen einstelligen Bereich wachse, könnten neue Märkte in Asien und Osteuropa zweistellig zulegen.

Die zurückliegenden Jahre haben offenbar auch wegen der zahlreichen Übernahmen - der Konzern hat eigenen Angaben zufolge etwa 60 Firmen geschluckt - hierzulande eine gewisse Unordnung gebracht. Der Hersteller selbst spricht von fragmentierten, sich überlappenden Strukturen, die in der Vergangenheit zwischen den verschiedenen Unternehmen der IBM entstanden seien. Diese sollen nun entflochten und gebündelt werden. IBM will künftig in Deutschland nur noch mit einer Marke auftreten. Ziel des neuen Geschäftsmodells ist es, einen klareren Fokus zu schaffen, die Effizienz zu erhöhen und mehr Kundennähe zu erreichen.

Die neue Organisation soll nach dem Willen der deutschen Geschäftsführung zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten. Bis dahin stehen Jetter zufolge noch Verhandlungen mit den verschiedenen Mitbestimmungsgremien an. Die Arbeit ist heute mobiler geworden, argumentiert der IBM-Geschäftsführer. Aufgaben würden heute dort erledigt, wo das am wirtschaftlichsten gehe beziehungsweise wo das dafür notwendige Know-how vorhanden sei. IBM in Deutschland, aus Sicht Jetters ein Hochlohnland, müsse sich deshalb neu orientieren. Man könne hierzulande nicht mit Kostenstrukturen wie beispielsweise in Indien konkurrieren. Stattdessen gelte es, die eigenen Kompetenzen zu erweitern und sich über das Wissen um die einzelnen Märkte von der Konkurrenz abzuheben. "Das ist ein hoher Anspruch", räumt Jetter ein. Stärken von IBM in Deutschland sieht er in den Lösungen für die Versicherungsbranche, im Automobilsektor sowie vor allem im SAP-Umfeld.

IBM fordert seine Mitarbeiter

Laut Jetter sind nun die einzelnen Mitarbeiter gefordert. Weiterbildung erklärt er zur Pflicht. Da sich die IT-Branche rasant entwickle, müsse auch die Belegschaft agil bleiben. Es gehe aber nicht darum, nur irgendwelche Kurse abzusitzen, sondern mit der erweiterten Kompetenz auch einen Mehrwert für die Kunden zu schaffen. Der Maßstab für den Erfolg ist klar definiert: Er bemisst sich daran, wie viel der Kunde bereit ist, dafür zu bezahlen. Für das Gesamtvorhaben "One IBM" gibt es hingegen keine Produktivitätsziele. Man habe bewusst darauf verzichtet, um keinen zu großen Druck aufzubauen und die Neuorganisation dadurch zu hemmen. Jetter rechnet jedoch damit, dass die künftige IBM-Struktur effizienter und produktiver funktionieren wird. Dies resultiere aber aus der Vereinfachung von Prozessen, nicht aus Personaleinsparungen.

Kein Abbau von Arbeitsplätzen

Mit dem Umbau müssen sich viele IBM-Mitarbeiter neu orientieren. Rund ein Drittel der etwa 21 000 Mitarbeiter der heutigen IBM-Gesellschaften werden in eine neue Unternehmenseinheit wechseln. Es sei aber nicht ge-plant, Arbeitsplätze abzubauen, beteuert Jetter. Auch müssten die betroffenen Mitarbeiter beim Wechsel in eine neue IBM-Einheit keine Nachteile befürchten.

Während das Management von ersten positiven Reaktionen aus den Reihen der Belegschaft spricht, beurteilen die Gewerkschaften die Pläne vorsichtiger. Die Ankündigung habe die Mitarbeiter zunächst einmal verunsichert, berichtet Rolf Schmidt, zuständig für den Bereich IT in der Bundesverwaltung von Verdi. "Geschüttelt und neu sortiert" Derzeit wisse noch niemand, welches neue IBM-Etikett er künftig tragen werde. "Hier wird geschüttelt, neu sortiert, geschlossen und verschmolzen." Schmidt berichtet von drei leidvollen Jahren, die die IBM-Mitarbeiter hinter sich hätten. Angesichts von Betriebsstilllegungen, Personalabbau, Diskussionen über die Kürzung von Pensionsplänen sowie der Kündigung des Urlaubsgeldes müssten sich nun die Bedingungen und Bezahlmodelle zugunsten der Beschäftigten ändern. Die Gewerkschaft fordert einheitliche Arbeits- und Entlohnungsbedingungen. Wenn sich IBM den Kunden als Unternehmen aus einem Guss präsentiere, dann müssten auch für die Beschäftigten einheitliche Grundlagen gelten.

Kunde schlauer als Vertrieb

Vor der anstehenden Neuorganisation hat IBM bereits seinen Vertrieb umgebaut. Seit Anfang des Jahres fokussiert sich dieser Bereich stärker auf einzelne Branchen und regionale Märkte. Als Beispiel nennt Jetter Finanzdienstleister, Hightech und die Automobilbranche. Dem Geschäftsführer zufolge beobachtet der Konzern bereits seit Jahren das Einkaufsverhalten seiner Kunden. Dabei habe man festgestellt, dass die Anwender fachkundiger geworden seien. Teilweise wüssten sie mehr als die Verkäufer. Daher brauche IBM einen effizienten Außendienst, der die Branche des Kunden versteht. Darüber hinaus gehe es aber auch darum, schnelle Vertriebsprozesse im Netz oder per Telefon zu implementieren. Dies sei beispielsweise notwendig, wenn der Kunde genau wisse, was er braucht, und das Produkt oder die Dienstleistung schnell geliefert haben möchte.

Deutschland ist Pilot

Für die neuen Vertriebsstrukturen ist Deutschland eine von drei Pilotregionen weltweit, in denen das neue Konzept ausprobiert wird. Ähnliches testet IBM in Kanada und Lateinamerika. Verläuft die Pilotphase erfolgreich, soll die neue Vertriebsstruktur global umgesetzt werden. Das Vorhaben "One IBM" bleibt dagegen auf Deutschland beschränkt. Jetter kündigte an, die Transformation trotzdem immer weiter vorantreiben zu wollen. Er stehe für Veränderung, beteuert der Manager: "Der Belegschaft wird es nie langweilig."