Marktplatz-Bündnis scheitert an Zielkonflikten zwischen Ariba und I2

IBM/Ariba/I2: Risse im "Dream Team"

09.03.2001
MÜNCHEN (gh) - Die Allianz IBM/Ariba/I2 ist tot - spätestens seit E-Procurement-Spezialist Ariba mit der Übernahme von Agile seine Position im Bereich Supply-Chain-Management (SCM) ausgebaut und damit I2 den Kampf in dessen Stammgeschäft angesagt hat. Eine Kundenveranstaltung vergangene Woche, die Ariba unter das Motto "Value-Chain-Management" gestellt hatte, war die endgültige Kriegserklärung. Doch hinter all dem steckt mehr: Der Hype großer Marktplätze, die von Industriekonsortien betrieben werden, ist vorbei, ehe er richtig begonnen hat.

Es schien wie eine Story aus dem Marketing-Lehrbuch: Als sich im März vergangenen Jahres IBM, Ariba und I2 Technologies überraschend zu einem E-Business-Trio formierten, hörte sich die Strategie für Analysten überzeugend an. Ariba sollte in gemeinsame Projekte seine E-Procurement-Lösungen einbringen, I2 das Know-how in Sachen SCM, Big Blue stand für die Bereiche Application-Server und Datenbanken sowie weltweite Service- und Vertriebskapazität. Gemeinsam wollte man große Aufträge für den Bau von B-to-B-Marktplätzen an Land ziehen, weitere Produkte und Lösungen entwickeln und dabei Wettbewerbern wie Oracle sowie vor allem der anderen Marktplatzallianz zwischen SAP und Commerce One das Wasser abgraben. Ein, wie viele Experten glaubten, "Dream Team" im B-to-B-Sektor - ausgestattet mit der Lizenz zum Gelddrucken.

Doch bereits mit der vor einigen Wochen angekündigten, 2,5 Milliarden Dollar schweren Übernahme des auf die Fertigungsindustrie fokussierten SCM-Anbieters Agile durch Ariba konnte die genannte Arbeitsteilung nicht mehr funktionieren. So jedenfalls war die allgemeine Lesart des Deals unter Branchenkennern, die in dem Coup von Ariba zumindest eine versteckte Kampfansage an Kooperationspartner I2 witterten. "Es ist vielleicht nicht der letzte Nagel im Sarg der Allianz, aber viel zu ihrem weiteren Erfolg beigetragen hat diese Akquisition mit Sicherheit nicht", äußerte sich Meta-Group-Analyst David Yockelson gegenüber dem Informationsdienst "Cnet". Der Schritt zeige, dass das Bündnis "nicht mehr funktioniert", dass Ariba offenbar den Ausstieg vorbereite und versuche, seine Abhängigkeit von I2 zu verringern. Die US-Marktforschungsgesellschaft Epoch Partners kam zu einem ähnlichen Schluss: Die Allianz IBM/Ariba/I2 existiere "nur noch auf dem Papier"; es gebe "immer mehr Überlappungen" zwischen den Angeboten der einzelnen Partner, hieß es in einer Studie.

Mehrfrontenkrieg gegen I2

Äußerungen wie diese sind aufgrund der jüngsten Neupositionierung des E-Procurement-Spezialisten Ariba schlüssig. Denn mit der geplanten Integration der Agile-Programme in die eigenen Anwendungen für das elektronische Beschaffungswesen rüstet sich das Unternehmen erfolgversprechend für das so genannte Collaborative Computing (CC) beziehungsweise Collaborative Manufacturing (CMC) und kommt damit dem SCM-Spezialisten I2, der neuerdings ebenfalls das Hohelied des "CC" singt, ins Gehege. Auch an einer anderen Front macht Ariba gegenüber I2 mobil. Nachdem I2 im Oktober vergangenen Jahres eine Allianz mit Broadvision eingegangen war, zogen die Kalifornier nach: Im Rahmen einer Partnerschaft mit dem Broadvision-Konkurrenten Vignette plant Ariba, seine B-to-B-Plattform mit dessen Content-Management-, Personalisierungs- und Integrations-Tools zu verbinden.

Spekulationen über Kauf von Manugistics

Besonders alarmiert musste man bei I2 aber über einen anderen Schachzug des Noch-Bündnispartners sein. Erst vor gut zwei Wochen gab Aribas Neuerwerbung Agile eine weit reichende Kooperation mit dem direkten I2-Wettbewerber Manugistics bekannt. Ziel sei, wie es in einer gemeinsame Pressemitteilung beider Firmen hieß, die Integration der in der "Networks"-Suite von Manugistics zusammengefassten Integrations- und Optimierungs-Tools in das eigene CMC-Portfolio. Die ins Auge gefasste Verschmelzung beider Produktwelten geht dabei so weit, dass Insider bereits einen Kauf Manugistics durch Agile respektive Ariba für möglich halten.

Vergangene Woche setzte Ariba in New York dann den vorläufigen Schlusspunkt hinter seine Abnabelungsstrategie von I2. Unter dem Schlagwort "Value-Chain-Management" (VCM) kündigten die Kalifornier in einer mit großem Pomp veranstalteten Kunden- und Analystenkonferenz eine "Roadmap" zur Entwicklung entsprechender Produkte an. Die eigene Suite "Commerce Services Network" soll demnach zur neuen VCM-Entwicklungsplattform ausgebaut werden und so ein Bindeglied zwischen "internen ERP-Systemen und Collaborative-Commerce-Lösungen" schaffen.

Neuer Trend: Value-Chain-Management

VCM geht dabei nach der Definition von Ariba deutlich über die Anforderungen bisheriger SCM-Anwendungen hinaus, indem es nicht nur das Bestellwesen, den Materialzufluss und damit die Integration von Händlern und Zulieferern steuert, sondern auch Belange wie Content-Management sowie die gesamten Business-Prozesse beziehungsweise Beziehungen zu Geschäftspartnern im Sinne von Collaborative Commerce integriert. Zur Untermauerung seiner VCM-Strategie zauberte Ariba weitere drei Kooperationen aus dem Hut. So will man in Zukunft die Produkte der SCM-Anbieter Syncra Systems und See Commerce sowie von Zeborg, einem Spezialisten für das Kosten-Management im Bereich E-Procurement, im Paket mit eigenen Lösungen verkaufen. Mittelfristig sei auch die Integration dieser Tools in die eigenen Suites nicht ausgeschlossen, hieß es.

Aribas President und Chief Operating Officer Larry Mueller geizte bei der Präsentation besagter Roadmap nicht mit starken Worten. "Die Supply Chain ist wichtig, aber der isolierte Blick darauf ist eine zu begrenzte Perspektive", provozierte er mit einem gezielten Seitenhieb SCM-Primus I2 und zitierte zudem aktuelle Probleme des Sportartikel-Herstellers Nike, der - angeblich aufgrund einer gescheiterten Einführung von I2-Software und dadurch bedingten Lieferschwierigkeiten - eine Gewinnwarnung herausgeben musste. Ohne einen Bruch mit I2 und IBM offen auszusprechen, aber auch ohne auf seine Noch-Bündnispartner weiter einzugehen, setzte sich der Ariba-Verantwortliche zudem ausführlich mit den vermeintlichen Perspektiven des VCM-Marktes auseinander. Dieser dürfte, so Mueller, bis 2005 ein weltweites Volumen von rund 42 Milliarden Dollar erreichen. IBM "bleibt ein Kunde und Partner von Ariba", gab er auf Nachfragen einsilbig zu Protokoll.

Ariba ist von I2 unabhängig

"Das ist das definitive Ende der Allianz", bringt Bob Ferrari, Analyst der AMR Group, die Folgen der jüngsten Ariba-Ankündigungen auf den Punkt. Es gebe kein Projekt- und Anwendungsszenario mehr, wofür Ariba die Technologien von I2 benötige. Die Kalifornier würden sich eindeutig im Markt für das direkte E-Procurement positionieren, wo es nicht nur um die Beschaffung so genannter C-Teile wie Büromaterial, sondern um die Steuerung produktionsnaher Prozessketten gehe. Ariba wildere nun eindeutig "im Revier von I2".

Man kann es auch neutraler formulieren: Die Euphorie um große Marktplätze, die mittels Auktionen oder einfacher B-to-B-Beziehungsketten funktionieren, ist nach Ansicht vieler Analysten schon vorbei. Was heute en vogue ist, sind eher private virtuelle Basare mit integrierter Supply Chain sowie allen Möglichkeiten des derzeit viel diskutierten Collaborative Commerce - also plattform- und geschäftsprozessübergreifendes Computing eines Unternehmens mit Lieferanten und Geschäftspartnern.

Die Zukunft liegt im SCM-Markt

Für Firmen wie Ariba und Commerce One, vormals E-Procurement-Anbieter reinsten Wassers, bedeutet dies den Zwang zur Neupositionierung; sie müssen mit aller Macht in den klassischen SCM-Markt drängen, wo nach der bisher gültigen Definition Produkte verkauft werden, die dem Collaborative-Commerce-Ansatz noch am ehesten entsprechen. Nicht umsonst hat vor kurzem der Marktplatzbetreiber Freemarkets - analog zu Ariba - den SCM-Spezialisten Adexa übernommen. Und aus dem gleichen Grund wurde auch der umtriebige Commerce-One-Chef Mark Hoffmann, bis dato erbitterter Gegner von Ariba, in den vergangenen Wochen nicht müde, auf die Frage, wer für seine Company in Zukunft der gefährlichste Wettbewerber sei, zu antworten: "I2".

Überhaupt scheint derzeit im Business durch und mit Internet-Marktplätzen wieder alles in Bewegung. Hunderte solcher Marktplätze sind entstanden, jetzt steht deren Sinn und vor allem die ökonomische Lebensfähigkeit auf dem Prüfstand. "Marktplätze können nicht ohne hinreichende Berücksichtigung der Interessen der Anbieterfirmen funktionieren", warnte die Gartner Group schon Ende vergangenen Jahres. Viele Unternehmen scheuten sich jedenfalls bis dato, interne Preise und die Kontrolle des Einkaufs an Dritte abzugeben. "Die Manager im Einkauf haben zwei Jahrzehnte damit zugebracht, die Vermittler loszuwerden. Das letzte, was sie wollen, sind neue Vermittler", heißt es spöttisch unter Insidern, die hier spezifische, aber um so nachhaltigere Vorbehalte der Old Economy ausmachen, die viele Online-Handelsplattformen zum Scheitern bringen dürften. Denn die unerwartete Zurückhaltung auf vielen B-to-B-Marktplätzen trifft deren Betreiber (und Softwareausrüster) hart, so sie auf hohe Umsätze mit Transaktionsgebühren gesetzt hatten. Auch jüngste Erhebungen der Gartner Group sprechen Bände: Demnach haben von 1750 Unternehmen, die im vergangenen Jahr als Lieferanten bei öffentlichen europäischen B-to-B-Marktplätzen registriert waren, ganze fünf Prozent tatsächlich Waren und Dienstleistungen via Internet verkauft.

Fakten also, die den Trend zu privaten Marktplätzen zu bestätigen scheinen, wo ein Unternehmen mit seinen Lieferanten und Geschäftspartnern aufwändigen Collaborative Commerce betreibt, der direkte Wettbewerber aber außen vor bleibt. Für diese These sprechen auch die zurückhaltenden Statements der Ariba-Bündnispartner I2 und IBM. Die Entscheidungen Aribas "reduzieren die Möglichkeiten, in Zukunft als Team zu arbeiten, aber wir werden wie bisher - wo nötig - im Interesse der Kunden kooperieren", äußerte sich Jennifer Tejada, Vice President Marketing bei I2, gewunden. Ihr für das Europa-Geschäft verantwortlicher Manager Adi Stahuber setzt indes noch einen drauf: Man habe mit Ariba ohnehin nur bei einfachen E-Procurement-Projekten zusammengearbeitet; die Erfordernisse der Zukunft würden zeigen, wo man noch "gemeinsame Schnittstellen hat". Auch David Conley, IBMs General Manager für elektronische Marktplätze, sieht die Spekulationen um einen bevorstehenden Bruch der Troika eher gelassen. Schon in der Vergangenheit sei bei manchen Geschäften nur auf das Know-how und den Service von zwei der drei Partner zurückgegriffen worden. Entscheidend sei letzten Endes, "dass die Zusammenarbeit für alle Partner erträglich ist", so Conley. Übrigens geht auch I2 längst seine eigenen Wege. Zum Beispiel durch eine Kooperation mit dem Beratungshaus und EDS-Spinoff A.T. Kearney, das bei seinen Marktplatzkunden massiv für die SCM-Lösungen von I2 wirbt und bei der Implementierung natürlich wieder EDS und damit einen direkten Wettbewerber der IBM Global Services ins Spiel bringt.

Marktplatzallianzen - nur ein PR-Gag?

War also die ganze Publicity um die beiden Marktplatzallianzen IBM/Ariba/I2 versus SAP/Commerce One am Ende nur eine geschickte Marketing-Inszenierung? I2-Manager Stahuber gibt dies indirekt zu. "Die Zusammenarbeit mit Ariba hat uns im Marktplatzgeschäft eine gewisse Zeit sehr genutzt", formuliert er vorsichtig. Rund 300 Marktplätze weltweit hat die Allianz seinen Angaben zufolge inzwischen auf den Weg gebracht, darunter e2open.com, ein virtueller Basar für Tausende von Computer-, Elektronik- und TK-Unternehmen, oder RubberNetwork.com, ein Marktplatz, in dem sieben der größten Anbieter aus der Reifen- und Gummibranche online zusammenarbeiten.

Auch die "Referenzen" des anderen "Lagers" sind hinlänglich bekannt, allen voran Covisint.com, der Marktplatz der drei Autogiganten Daimler-Chrysler, General Motors und Ford, für den Ariba-Kontrahent Commerce One die Software lieferte. Allerdings ist hieran Mitgesellschafter SAP nicht beteiligt. Mit den Walldorfern hat Commerce One nach jüngsten Angaben erst 14 Marktplätze gemeinsam einrichten können. Doch Statistiken wie diese dürften im Zeichen des Collaborative Commerce nicht mehr viel wert sein - und Vorzeigeprojekte wie Covisint.com aus den genannten Gründen vor einer unsicheren Zukunft stehen.

SAP-Chef Hasso Plattner will jetzt zusammen mit Commerce One ein "World Wide Web von Internet-Marktplätzen" errichten - was auch immer das ist. Die gemeinsame Tochter SAP Markets soll dabei vor allem den Bestand der weltweit rund 13 000 R/3-Anwender ins Visier nehmen. Wo es die Kunden wollen, werde man aber "die gemeinsamen Produkte auch getrennt vermarkten", betonen beide Partner. Entscheidend dürften auch für dieses Bündnis die Fähigkeiten im SCM-Bereich sein - ein Markt, den auch die Walldorfer nicht ohne Grund zunehmend im Blick haben.

Kaum einer hat Oracle auf der Rechnung

Auffallend skeptisch zeigen sich die meisten Analysten jedenfalls, was die Zukunft der einstigen Shooting-Stars Ariba und Commerce One angeht. Ariba habe sich zu viel mit seinen Wettbewerbern auseinander gesetzt und sei konkrete Produktankündigungen bisher weitgehend schuldig geblieben. Auch Commerce One sonne sich zu sehr in seiner "Abhängigkeit" von SAP, heißt es. Der geradezu ideologische Konflikt zwischen den Geschäftsmodellen beider E-Procurement-Pioniere - reiner Lizenzumsatz (Ariba) versus Beteiligung an Transaktionsgebühren (Commerce One) - sei überholt. Die Meta Group geht jedenfalls mittelfristig von einer großen Konsolidierungswelle im Ausrüstergeschäft für Marktplätze aus, bei dem die heute großen Namen wie Ariba, I2, Commerce One und SAP alle anderen Nischenanbieter im SCM-Umfeld schlucken werden - Ausgang ungewiss. Einen anderen Namen haben die Marktforscher allerdings auch noch auf der Rechnung: Oracle.

Abb: Ariba versus Commerce One

An der Börse wurden die früheren Shooting-Stars Ariba und Commerce One abgestraft. Viele Experten behaupten sogar, die Marktkapitalisierung beider Companies entspreche jetzt ihrer tatsächlichen Marktbedeutung - trotz der Tatsache, dass zumindest Ariba zuletzt schwarze Zahlen melden konnte. (Quelle: comdirect)