IABG untersucht Nutzen militärischer Forschung:Cobol hatte das Pentagon zum Vater

30.05.1986

Im Zusammenhang mit "SDI" und anderen militärischen Forschungs- und Entwicklungsprojekten wird von deren Befürwortern gern behauptet, die neuen Erkenntnisse aus dem Militärbereich würden später ja auch den zivilen Einsatz von Rechnern fördern: Was also zunächst im Zeichen des Kriegsgottes Mars entwickelt wird, soll später Hermes, dem Gott des friedlichen Handels, dienen. Experten befaßten sich unlängst mit der Frage, ob diese Aussage stimmt.

Mitarbeiter der stark auch in militärische Forschungs- und Entwicklungsarbeiten involvierten IABG (Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft) in Ottobrunn untersuchten dieses Thema im Rahmen einer Studie für Heinz Riesenhuber, den Bonner Forschungsminister. Die Ottobrunner Ingenieure und Wissenschaftler gliedern den Computerteil ihrer weit über dieses engere Sachgebiet hinausgreifenden Studie aus naheliegenden Gründen in die Abschnitte Hard- und Software und kommen dabei sozusagen zu einer "Sowohl-als-auch-Aussage". Denn auf Teilgebieten ist der zivile Nutzeffekt ursprünglich militärisch angelegter Computerforschungsarbeiten kaum zu leugnen, auf anderen hingegen eher fragwürdig, wie die vorliegenden Beispiele zeigen. Und oft kommt die Technik auch ganz ohne militärischen Zusatzschub bestens voran.

Die Ottobrunner Untersuchung, die nach Aussage der Autoren aufgrund ihrer ganzen Anlage keine endgültigen Antworten geben kann, weist im Abschnitt Hardware zunächst darauf hin, daß "die Entwicklung des Computers in den USA" zumindest in ihren ersten Phasen "stark durch militärische Stellen unterstützt" wurde. Denn die Herren des Pentagon haben "das strategische Potential" insbesondere des Digitalrechners "frühzeitig erkannt".

So wurde einer der Ahnen unserer heutigen Kalkulationswunder, der Digitalrechner "Eniac", von der amerikanischen Armee "in Zusammenarbeit mit der University of Pennsylvania" entwickelt, und zwar gleich nach dem zweiten Weltkrieg. Diese Maschine wurde dann auch prompt "für die Lösung ballistischer Probleme eingesetzt".

Die frühen Erfolge der Army ließen die stets eifersüchtige Navy nicht ruhen; die blauen Jungs nahmen Kontakt mit dem renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) auf und förderten dort Ende der 40er Jahre den berühmten "Whirlwind I", den laut lABG-Analyse immerhin "ersten Computer für Realtime-Anwendungen" überhaupt.

Die Luftwaffe griff tief in die Geldbörse

Wo Navy und Army sich im Lichte technischer Glanzleistungen sonnen da kann es nicht ausbleiben, daß schließlich auch die Air-Force Ruhm und Ehre ernten will. Also griff auch die Luftwaffe tief in die Schatulle und sponserte die Gründung des "Lincoln Laboratory" am MIT. Wenn jener Spende auch kein Computer mit klangvollem Namen mehr erwachsen sollte - immerhin trug das neue Labor zum Reifen der elektronischen Rechner mit vielerlei wichtigen Erfindungen und Entdeckungen bei, beispielsweise mit der des ersten Magnetspeichers.

Das amerikanische Militär war also stark beteiligt, solange die Technik der "Elektronengehirne", wie sie damals gern genannt wurden, noch in den Kinderschuhen steckte. Doch mit zunehmender Reife dieser Maschinen änderte sich das Bild und später wurde eigentlich nur noch der erste Computer auf Transistorbasis - Mitte der 50er Jahre - für Zwecke der Militärs entwickelt. Dann nämlich sollte eine Pause eintreten, die,

Nach Iängerer Pause wieder Fördermittel

so die Studie der IABG, bis zu Beginn unseres Jahrzehnts anhielt.

Erst vor wenigen Jahren, so kann man lesen, wurde in Zirkeln der Militärs endlich wieder "erwogen", Forschern und Entwicklern im Bereich der Computerhardware hilfreich die Hand entgegenzustrecken. Und zwar wurde da über das neue Programm zur Entwicklung von Supercomputern diskutiert die, siehe das SDI-Projekt, "im Rahmen des Realtime-Managements von großen militärischen Systemen eingesetzt" werden sollen. Es sei allerdings jetzt noch zu früh, meinen dazu die Ottobrunner Experten, die Relevanz dieses Projekts für den privaten Bereich zu beurteilen, denn da man noch keine Einzelheiten kenne, sei dies ganz einfach noch nicht möglich.

Die Studie für den Bonner Forschungsminister kommt in Sachen Computerhardware mithin summarisch zu der Feststellung, die militärische Förderung der einschlägigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sei, wenn auch mit "abnehmender Tendenz", bis etwa zum Erscheinen der Transistorrechner durchaus "von Bedeutung" gewesen. Und es wird weiter notiert, das Militär habe bis Ende der 50er Jahre obendrein auch als Nachfrager "eine bedeutende Rolle" gespielt, während die dann einsetzende rasante Entwicklung der Jahre 1960 bis 1980 "allein vom zivilen Bereich" und praktisch "ohne staatliche Unterstützung" getragen worden sei.

Zur Vereinheitlichung Cobol entwickelt

Lief also die militärische Unterstützung im Sektor Hardware Ende der 50er Jahre praktisch aus, so kann man auf dem Sektor Software feststellen, daß sie dort in eben jener Zeit erst so richtig begann. Denn damals förderte das Pentagon die Entwicklung der bekannten Programmiersprache Cobol. Sein Ziel dabei: Es sollte endlich eine einheitliche Sprache geschaffen werden, die für die verschiedenen Anwendungen im Bereich der militärischen Verwaltung gleichermaßen brauchbar sei und die, in Sachen Programmierung, zu einer gewissen Vereinheitlichung führen sollte.

Was aus Cobol wurde, ist bekannt: eine weltweit auch im zivilen Bereich benutzte Standard-Programmiersprache für administrative und kaufmännische Anwendungen aller Art.

Weit weniger bekannt ist, daß auch die umgekehrte Richtung gegangen wurde. Denn, so ruft die IABG in Erinnerung, "für nicht-administrative Anwendungen" habe der militärische Bereich fortan "weitgehend Programmiersprachen verwendet", die "für den zivilen Bereich entwickelt worden" sind.

Software übernimmt stärker die Systemintegration

Hatte das Pentagon mit der Einführung von Cobol zunächst zwar einen beachtlichen Erfolg erzielt, so konnte diese Einheitssprache in der Folgezeit dann aber doch nicht verhindern, daß bald wieder eine ganze Reihe von militärischen Softwareproblemen akut wurden. Es lohnt sich, diese Probleme und auch die Gründe für ihre stete Verschärfung kurz näher zu beleuchten.

Im Gegensatz zu den frühen militärischen Computersystemen, bei denen viele Systemfunktionen direkt in Hardware implementiert waren, übernimmt die Software bei moderneren Rechnern laut IABG "in zunehmendem Maße die Systemintegration, die Kommunikation zwischen Systemen und die Kontrolle der Systeme". Dieser Trend werde außerdem dadurch gefördert, daß auf diesem Wege "eine höhere Flexibilität gewonnen werden könne"; funktionell gleiche Änderungen kosten bei der Hardware ja fünfzigmal mehr und dauern dreimal so lange wie entsprechende Modifikationen der Software!

Ein weiterer Beweggrund, immer mehr Funktionen militärischer Rechner in Software zu implementieren, liegt darin, daß gerade bei diesen Systemen die Punkte "Wartungsfreundlichkeit, Modularität und Portabilität" eine "entscheidende Rolle" spielen. Die militärischen "Kunden" der einzelnen Produkte fordern aber höchst zuverlässige Software, die "bei verschiedenen Hardware- und Betriebssystemkonfigurationen" anwendbar sein muß. Leider aber konnten die in den 70er Jahren vorhandenen Programmiersprachen gerade diesen Anforderungen "nicht in vollem Umfang" gerecht werden.

Zu diesen Aspekten trat des weiteren noch das Problem, daß Erstellung und Wartung der herkömmlichen Programme überproportional immer teurer wurde und daß die Militärs außerdem erkennen mußten, daß es immer wieder schwieriger wurde, die nötigen Leute, nämlich ausgefuchste Software-Cracks, zu bekommen.

Es war in der zweiten Hälfte der 70er Jahre mit all diesen Problemen schließlich so weit gekommen, daß das Pentagon sich einem "vielfältigen und teilweise anarchistischen Angebot" an Software gegenübersah; wobei hier zu notieren ist, daß diese "Anarchie" ja nicht zuletzt auch eine Folge der vielgepriesenen Kreativität und Innovationsfreudigkeit der vielen kleinen, neugegründeten US-Computerfirmen war und ist. Denn jene waren ja gerade dadurch oft so erfolgreich, daß sie ganz spezielle, individuelle Hard- und Softwarelösungen entwickeln und damit den etablierten Großfirmen wegschnappen konnten.

Doch so erfreulich lebendige, kreative Vielfalt für das Wohlergehen einer innovations- und wachstumsorientierten Industrie als Ganzes auch sein mag - für Großorganisationen wie das Militär führt eben dieser Wildwuchs zu immer schlimmeren "Koordinations- und Anpassungsproblemen". Als dies den zuständigen Partnern endlich so richtig klar war, handelten sie: Sie starteten eine ganze Reihe neuer Aktivitäten und Programme mit dem Ziel, sozusagen auch im Computerbereich den "militärischen Einheitshaarschnitt" wieder durchzusetzen.

Ersatz durch ADA

So trieben die Militärs also die Konzeption, die Entwicklung und die Implementierung der bekannten Sprache "ADA" voran, die in Zukunft alle im Bereich des Pentagon verwendeten Programmiersprachen ersetzen soll. Sie ist strikt modular aufgebaut, soll gut portierbar sein und die Programmierung von Echtzeit-Systemen unterstützen.

Ein weiteres, weniger bekanntes Vorhaben der Militärs ist daneben noch das "Stars"-Programm, das die Erarbeitung einer modernen "Softwaretechnology for Adaptable, Reliable Systems" umfaßt. In seinem Rahmen entstanden Werkzeuge, die die Effizienz der Softwareerstellung verbessern und eine wirksame Qualitätskontrolle ermöglichen sollten.

Zusammen mit der Carnegie-Mellon-University gründeten militärische Dienststellen außerdem ein neues Institut für Software-Engineering, das zweierlei Aufgaben erfüllen soll. Einmal obliegt ihm allgemein das Forschen und Entwickeln in Sachen "Weichware", und zweitens hat es die Aufgabe, die Umsetzung der neu entwickelten Technologien in die Praxis zu beschleunigen.

Soweit also die aktuellen Aktivitäten der amerikanischen Militärs auf dem Felde der Software - und nun ist zu fragen, ob sie wohl auch zivilen Nutzen versprechen. Die IABG bejaht dies und meint, alle Programme hätten "auch eine große Bedeutung für den nicht-militärischen Bereich"; denn der zivile Sektor habe doch bei Software ganz ähnliche Probleme wie der militärische. Und außerdem gewinnen "Realtime-Anwendungen im Zusammenhang mit Mikroprozessoren, Prozeßrechnern, Kommunikationsrechnern und heterogenen Rechnersystemen zunehmend an Bedeutung".

Weiterhin wird ziviler Nutzen auch deshalb erwartet, weil im Softwarebereich, und hier vor allem auf den Feldern "Softwaretechnologie" und "Programmiersprachen", nicht damit zu rechnen sei, daß etwa "Geheimhaltungsvorschriften einem Technologietransfer (rüber ins Zivilleben) im Wege stehen könnten".

Für die IABG ist gerade der militärische Bereich "als größter Einzelanwender von Software" in der Lage, hier "Standards zu etablieren und so für eine bisher ausgebliebene Rationalisierung zu sorgen", die "allen Anwendern zugute käme".

"Stars", so haben die Ottobrunner beobachtet, werde daher auch von ziviler Seite als "besonders wichtig" erachtet und entsprechend unterstützt. Soweit dabei manchmal auch Kritik laut werde, gehe es eigentlich nur um Beschwerden, der zivile Bereich werde an "Stars" noch nicht in dem Umfang beteiligt, den die Privatindustrie sich wünsche.

* Peter Lange ist Fachjournalist in München