Archivsystem soll sich innerhalb von zwei Jahren amortisieren

Hypo-Bank macht Schluß mit umständlicher Belegsuche

18.07.1997

Die Mitarbeiter in der Zahlungsverkehrs-Abwicklung bei der Müncher Hypo-Bank können sich nicht über Arbeitsmangel beklagen: Täglich werden dort Hunderttausende von Geschäftsvorfällen abgewickelt. Den gesetzlichen Bestimmungen zufolge muß jeder davon sechs Jahre lang im Zugriff bleiben. Deshalb ist es üblich, den gesamten Vorgang auf Microfilm zu speichern. Jede Reklamation oder aus anderen Gründen notwendige Nachforschung setzte einen langwierigen und arbeitsintensiven Suchprozeß in Gang.

Doch damit ist bei der Hypo-Bank endgültig Schluß: Seit dem Sommer 1995 verfügt der Finanzdienstleister über ein Client-Server-System für die elektronische Dokumentenverwaltung. Es basiert auf zwei voneinander unabhängigen Softwarekomponenten aus dem Hause IBM: "Imageplus Visualinfo" und "Item Access Facility" (IAFC). Während Imageplus Visualinfo vor allem dazu dient, Dokumente in Image-Formaten zu speichern, kann IAFC die beim beleglosen Zahlungsverkehr anfallenden codierten Informationen - bei der Hypo-Bank zwischen 600000 und 1,8 Millionen am Tag - hierarchisch indizieren, also leichter speicher- und recherchierbar machen.

Derzeit haben mehr als 70 Mitarbeiter in der Münchner Hypo-Zentrale sowie in den sieben bayerischen Servicezentren über eine OS/2-Anwendung Zugriff auf das elektronische Zahlungsverkehrsarchiv. In diesem Jahr sollen die anderen sieben Zentren hinzukommen, die über das Bundesgebiet verteilt sind.

Von diesen Arbeitsplätzen aus lassen sich alle Einzelbelege sowie die beleglosen Buchungen über eine eindeutige Referenznummer suchen und auf den Bildschirm holen. "Die Zeitersparnis ist enorm", konstatiert Uwe Messing, Leiter Zahlungsverkehr bei der Hypo-Bank. Bis zum Sommer 1995 war es notwendig, ein Anfrageformular auszufüllen und per Post nach München zu schicken. Dort begann dann die Suche nach dem richtigen Mikrofilm. War er gefunden, so wurde der Beleg kopiert und schließlich zurückgeschickt. Das nahm mehrere Tage in Anspruch. Heute hingegen läßt sich dieser Vorgang in durchschnittlich zwölf Minuten erledigen.

Das elektronische Archivsystem ist das greifbare Ergebnis eines großangelegten Vorhabens, das die Hypo-Bank Ende 1993 ins Leben gerufen hat. Nach Angaben des Projektleiters Stefan Spannagl bestand das Ziel nicht nur darin, die Durchlaufzeiten zu verkürzen und die Dokumente mehreren Benutzern gleichzeitig zur Verfügung zu stellen. Vielmehr sollten auch die Ergebnisse der Recherchen verbessert sowie die Fehlablagen und Verluste reduziert werden. Vor allem aber ist die Lösung, so betont Spannagl, als anwendungsübergreifendes Basissystem für alle Anwendungen und damit für Tausende von PCs in Hunderten dezentraler Netze konzipiert und verwirklicht.

Seine Tauglichkeit konnte das System bereits Ende 1994 unter Beweis stellen: Als Pilotanwendung realisierte die Hypo-Bank ein elektronisches Pressearchiv, das den auf eine imaginäre Höhe von 65 Metern angewachsenen Aktenberg aus eingeklebten Zeitungsausschnitten ersetzen sollte. Heute können die Benutzer nach Stichwörtern recherchieren, statt chronologisch angelegter Ordner zu durchforsten.

Den Erfolg des Gesamtprojekts konnte der Finanzdienstleister durch eine Wirtschaftlichkeitsrechnung untermauern. Obschon auf der Gewinnseite nur die Material- und Personalkosten berücksichtigt wurden, veranschlagt die Bank die Amortisationsdauer ihrer Investitionen auf maximal zwei Jahre. Laut Spannagl war ausschlaggebend, daß das Entwicklungsteam mit Imageplus Visualinfo auf der vorhandenen Infrastruktur aufbauen konnte.

Neben Pressewesen und Zahlungsverkehrs-Abwicklung hat die Hypo-Bank auch ein elektronisches Treuhänderarchiv entwickelt beziehungsweise zur "elektronischen Kreditakte" erweitert. Insgesamt können derzeit rund 200 Mitarbeiter in der Zentrale und in den Filialen direkt auf dieses Archiv zugreifen, in dem alle wichtigen Unterlagen zu Hypothekendarlehen gespeichert werden. Weitere Anwendungen plant die Hypo-Bank in den Bereichen Wertpapier und Personal. Bis zum Ende dieses Jahres sollen 700 Arbeitsplätze in 70 Filialen an das Gesamtsystem angeschlossen sein.

Das elektronische Archiv ist jedoch nur eines von zwei geplanten Basissystemen. Das andere besteht in der elektronischen Vorgangsbearbeitung, mit deren Hilfe der gesamte Arbeitsprozeß neu gestaltet werden soll.

Als Grundlage für das Workflow-Management hat sich das Bankhaus für das Produkt "Flowmark" von IBM etschieden. Zwei Pilotprozesse sind bereits realisiert. Zum einen handelt es sich dabei um die Zahlungssicherung in der Kreditsachbearbeitung, zum anderen um die Direktnachfrage zwischen Banken im elektronischen Zahlungsverkehr. Letztere ist beispielsweise dann notwendig, wenn ein Kunde die Ausführung einer Überweisung moniert. In diesem Fall kann der Sachbearbeiter jetzt aus den Daten des Zahlungsverkehrsarchivs automatisch eine E-Mail-Anfrage an die betreffende Bank erzeugen und verschicken. Nach Eingang der Antwort zeigt das System den Vorgang in den Arbeitslisten der zuständigen Mitarbeiter an. Ohne daß diese noch einmal eingreifen müßten, fließt das Ergebnis der Reklamation in ein Schreiben an den reklamierenden Kunden ein. Im Hintergrund wird dieser Vorgang abgelegt und für künftige Zugriffe bereitgehalten.

Um ein effektives Termin-Management für ihre insgesamt 15000 Mitarbeiter zu ermöglichen, hat die Hypo-Bank zudem eine Workgroup-Software eingeführt. Im Herbst 1994 hatte IBM gerade mit großem Aufwand ihr Softwarepaket "Workgroup" angekündigt. Dessen Terminverwaltung hatte es den Münchnern angetan. Wie Spannagl erläutert, gibt es auf dem Markt kein Produkt, das in ähnlicher Wiese die Termin- und Wiedervorlagedaten von mehr als 10000 Benutzern in einem System zusammenführt und über Schnittstellen für die Anwendungen zugänglich macht. Die Daten sind über rund 600 Software-Server verteilt und werden in einer zentralen Datenbank unternehmensweit verfügbar gehalten.

Als IBM wenige Monate später die Lotus Development Corp. übernahm, verabschiedete sich der Hersteller quasi von dem kurz zuvor angekündigten Workgroup-Produkt. Aber für die Hypo-Bank ist das System nach wie vor strategisch. Und einen so großen Kunden darf auch der weltgrößte IT-Anbieter nicht verärgern. IBM sicherte dem Finanzinstitut zu, den Workgroup-Kalender weiterhin zu pflegen, und stellte für diese Aufgabe sogar einen Mitarbeiter ab.

Ob die Hypo-Bank auf lange Sicht zum Lotus-Produkt "Notes" migrieren wird, ist noch keineswegs entschieden. "Das ist kein akutes Problem", beteuert Spannagl. Außerdem werde sich der Finanzdienstleister im Rahmen seiner Office-Strategie auch andere Lösungen - beispielsweise von Microsoft oder Netscape - anschauen..

Die Bank

Im Jahre 1835 wurde die Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank vom Bayernkönig Ludwig I. gegründet. Damit ist die Hypo-Bank die älteste private Geschäftsbank Deutschlands. Sie unterhält rund 500 Filialen, von denen etwa 60 in den neuen Bundesländern stehen. Mit einem Bilanzvolumen von 236 Milliarden Mark in der AG und 339 Milliarden Mark im Konzern sowie rund 14100 beziehungsweise 18400 Mitarbeitern gehört der Finanzdienstleister zu den größten privaten Banken unseres Landes. Für weltweite Geschäfte steht er mit mehr als 2000 Korrespondenzbanken, Tochterunternehmen und Beteiligungen sowie Niederlassungen und Repräsentanzen in Verbindung.

Das ArchivsystemAuf der Server-Seite setzt sich die bei der Hypo-Bank installierte Lösung aus einem Library-Server und mehreren Objekt-Servern zusammen. Auf dem Library-Server lassen sich die zu archivierenden Objekte katalogisieren, während die eigentliche Speicherung der Informationen auf den Objekt-Servern erfolgt. Dazu werden die Dokumente in Indexklassen zusammengefaßt und in Objektgruppen abgelegt. Beim Zugriff auf ein Archivierungsobjekt überprüft der Library- Server die Anforderung, die er dann an den betreffen- den Objekt-Server übermittelt. Dieser wiederum schickt das entsprechende Dokument zum anfordernden Client. Je nach Volumen und Performance- Bedürfnissen werden die Objekte auf magnetische oder optische Speichermedien gebannt. Dank eines lokalen Pufferspeichers kann das System zudem eine definierte Menge von Dokumenten im Zugriff hal- ten und bei erneuter Anfrage schneller bereitstellen. IAFC, Library-Server und zentraler Visualinfo-Objekt-Server sind auf einem ES/9000-Mainframe installiert, die dezentralen Objekt-Server laufen hingegen auf OS/2-Maschinen.

Preisgekrönt

Auf der diesjährigen Imaging-Messe IMC erhielt das System der Hypo-Bank den "Award of Excellence". Die Jury lobte vor allem die saubere Systemarchitektur und den umfassenden Ansatz, der auf eine Integration aller Applikationen abzielt.