Cloud Computing in der Praxis

Hybrid Cloud kommt durch die Hintertür

14.12.2012
Von 
Ariane Rüdiger ist freie Autorin und lebt in München.

Wie Haniel Cloud-Verträge gestaltet

Haniel, hier der Sitz der Holding, nutzt in diesem Geschäftsbereich eine Hybrid-Cloud-Infrastruktur.
Haniel, hier der Sitz der Holding, nutzt in diesem Geschäftsbereich eine Hybrid-Cloud-Infrastruktur.
Foto: Haniel

Auf einen weiteren kritischen Bereich weist der Bericht eines anderen Anwenders hin: die Vertragsgestaltung für Hybrid-Modelle, für die es bisher kaum Modelle gibt. Die Haniel-Holding mit 200 Mitarbeitern, zu deren Geschäftsbereichen beispielsweise Celesio oder Takkt gehören, besitzt eine eigene IT-Abteilung. IT-Leiter Dirk Müller entschloss sich, von Lotus Notes auf Microsoft zu migrieren und wählte die SaaS-Variante. "Das Projekt hatte mit sechs Monaten eine lange Vorlaufzeit", berichtet er. Das lag weniger an der Technik. Vielmehr mussten intern und extern beim Partner Themen wie Compliance, Sicherheit, Lizenzierung oder Risikoübergang diskutiert und in Vertragsform gegossen werden.

"Die Schnittstellen für den Risikoübergang sauber zu definieren, ist bei Hybrid-Infrastrukturen ein sehr wichtiges Thema, das sich aber managen lässt", bestätigt Mike Wagner, für Outsourcing und Consulting verantwortlicher Prokurist bei der Info AG. Sein Unternehmen bietet vorwiegend mittelständischen Kunden Hosted-Private-Cloud-Services an.

Haniel jedenfalls wird in Zukunft Exchange, Sharepoint und Lync aus der Public Cloud von Microsoft beziehen, wobei mit Hilfe eines Active Directory ein Single-Sign-On zu sämtlichen Anwendungen realisiert wurde. Dazu gehört auch die SAP-Umgebung, die im internen Teil der Haniel-Infrastruktur, einem eigenen Rechenzentrum, liegt. Hinzu kommen weitere Cloud-Services: Das Electronic Recruiting, früher eine SAP-Komponente und intern vorgehalten, wird mittlerweile als Cloud Service von Umantis, einer Tochter des Haufe-Verlags, bezogen und ist für die HR-Abteilung und die Führungskräfte in das Single Sign On über das zentrale Mitarbeiterportal integriert.

Das Active Directory, das die Identitäten für die Microsoft-Cloud verwaltet, ist in der Holding-internen Infrastruktur aufgebaut und synchronisiert die Daten permanent mit einer zentralen Instanz in der Cloud. Eine Authentifizierung von außen ist trotz Public Cloud nur gegen die interne Instanz möglich. Die Holding ist mit dieser Lösung Vorreiter im Haniel-Konzern, in dem jeder Geschäftsbereich eine eigenständige IT-Abteilung besitzt. "Die Geschäftsbereiche interessieren sich aber sehr für unsere Erfahrungen", sagt Müller.

Das Grundproblem hybrider IaaS- oder SaaS-Strukturen sieht Müller in dem schwierigen Anbieterwechsel, sollte dieser einmal nötig sein: "Die technische Anbindung ist einfach, aber insgesamt dauert das alles Monate. Bei Standard-Diensten wie etwa E-Mail ist das noch vergleichsweise einfach, aber beim Thema CRM sieht das schon anders aus." Schließlich müssten Daten übernommen und viele andere Dinge geklärt werden.

Präsenzinformationen aus der Cloud bei TGE

Auch TGE, ein Engineering-Dienstleister für den Gasmarkt, hat sich mit Microsofts SaaS-Services angefreundet. Das Unternehmen mit 360 Mitarbeitern hat Niederlassungen in der ganzen Welt, die weitgehend ohne IT-Personal auskommen. Firmensitz ist Bonn. Die IT-Abteilung hat fünf Mitarbeiter. "Unser Vertrieb und die Ingenieure vor Ort brauchen Systeme, die weltweit nutzbar sind", sagt IT-Leiter Christian Domschke. Mit Lync Online sammelte man bereits früh in der Beta Phase von Office 365 Erfahrungen und arbeitete entsprechende Vorteile gemeinsam mit dem Microsoft Gold Partner Glück & Kanja heraus. Das Projekt war von Anfang an als Microsoft-Kundenreferenz angelegt.

Zunächst wurden einige wenige Accounts migriert. Schon im Oktober 2011, kurz nach offizieller Markteinführung, konnte TGE die alte Office Communication Server Plattform (on-Premise) auf Lync Online umstellen. "Große Sorgfalt bei der Konzeption ist hier sehr wichtig", sagt Domschke. "Wir stellen hohe Ansprüche: Geplant waren Desktop-Sharing, Dateiaustausch, ein Bild vom Kontakt im Outlook-Client. Wir haben viele Standorte und generieren Sprach- und Videoverkehr, der optimal geroutet werden muss." Mittelfristig soll auch die Telefonanlage, derzeit ein IP-System von Swyx, auf Lync wandern. "Wir brauchen Lync in den Remote-Sites. Beispielsweise kommunizieren Baustellen nur noch über Lync und Mobiltelefone, die in diese Infrastruktur integriert werden müssen", so der IT-Manager. "Die Aussicht, mit Lync Online in der nächsten Version auch Festnetz integrieren zu können, konsolidiert die notwendige und teils aufwendig zu implementierende Vor-Ort Kommunikation erheblich".

Die Integration der Microsoft-Services aus der Cloud in die übrige Softwareinfrastruktur hat bei TGE mehrere Dimensionen: So gibt es ein zentrales Login über Active Directory für alle Arbeitsplätze. Außerdem werden Präsenzinformationen aus Lync in das Dokumentenmanagementsystem Omega PIMS R3 und zukünftig auch im ERP-Bereich für Microsoft Dynamics NAV übernommen. Das konnte dank des Lync SDK und einer gekapselten .net-Schnittstelle (WPF nach Winforms) in der Applikation in wenigen Stunden erledigt werden.

SaaS könnte sich bei TGE auch in anderen Bereichen ausbreiten, beispielsweise bei der CAD-Infrastruktur. Siemens bietet über Partner entsprechende Applikationen an, die das Unternehmen derzeit evaluiert. TGE ist auch für andere Themen mit IT Dienstleistern für Infrastruktur im Gespräch. IaaS-Lösungen peilt der Engineering-Spezialist dagegen zur Zeit nicht an. "Darin sehen wir aktuell noch keine sinnvolle Ergänzung unserer Umgebung", sagt Domschke.

„Wegen sehr spezieller Integrationen zwischen Anwendungen werden die meisten Unternehmen nicht ausschließlich SaaS nutzen“, Uwe Sonnenschein, Senior Projektingenieur Unified Communications.
„Wegen sehr spezieller Integrationen zwischen Anwendungen werden die meisten Unternehmen nicht ausschließlich SaaS nutzen“, Uwe Sonnenschein, Senior Projektingenieur Unified Communications.
Foto: Glück & Kanja

Wie heterogen sich eine Infrastruktur darstellen kann, zeigt der erwähnte Cloud-Dienstleister Glück & Kanja. "Wir beziehen unsere Rechenkapazität hauptsächlich zentral als IaaS, betreiben die Anwendungen aber selbst", erklärt Uwe Sonnenschein, Senior Projektingenieur Unified Communications bei dem Unternehmen. Das betrifft CRM, Identitätsmanagement und Fileservices. E-Mail und Sharepoint werden dagegen aus der Office-365-Wolke eines der Microsoft-Rechenzentren in Europa bezogen. Microsoft Lync als umfassendes Kommunikationssystem befindet sich auf eigener Hardware im Rechenzentrum in Offenbach und ist direkt mit Office365 verknüpft. Lync erbringt auch die Telefoniefunktionen - bis auf den Anrufbeantworter, den Office 365 stellt. Diese Infrastruktur besteht seit Ostern 2011 - die Veränderungen seien von den Anwendern kaum wahrgenommen worden, berichten die Verantwortlichen.

Obwohl der Dienstleister selbst viele SaaS-Angebote nutzt, erkennt Sonnenschein Grenzen für SaaS: "Viele Kunden haben sehr spezielle Integrationen in ihren branchentypischen Anwendungen, die sich in Verbindung mit einem standardisierten SaaS-Service teilweise nicht abbilden lassen, zum Beispiel, weil die Integrationsschnittstellen bei SaaS noch nicht umfassend zur Verfügung stehen." Je mehr der Kunde heute oder zukünftig auf Standards in seiner IT Landschaft setze, desto früher könne er reibungslos auf SaaS wechseln. Für einen Großteil der Firmen werde das im ersten Schritt eine Mischung aus SaaS, IaaS mit Eigenbetrieb und komplett eigenen Infrastrukturanteilen bedeuten.

Cloud-Praxis: Zentrale IT macht die Augen zu

Die wenigen Beispiele zeigen: Das Zeitalter der Cloud mit allen ihren Varianten beginnt gerade erst. Dass sich Hybrid-Cloud-Modelle langfristig ausbreiten werden, gilt trotz der anfänglichen Zurückhaltung vieler Anwender als ausgemacht. "In zehn Jahren wird man überall Hybrid Cloud sehen", prognostiziert etwa Info-AG-Manager Wagner.

Sorgen um Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit haben als wichtigster Hemmfaktor andere Themen, zum Beispiel Datensicherheit, beim Thema Public Cloud abgelöst.
Sorgen um Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit haben als wichtigster Hemmfaktor andere Themen, zum Beispiel Datensicherheit, beim Thema Public Cloud abgelöst.
Foto: IDC

Durch die Hintertür ist die hybride Umgebung allerdings schon heute in vielen Unternehmen Realität: Auffällig an der eingangs erwähnten IDC-Umfrage ist nämlich vor allem dies: In 39 Prozent der befragten Firmen nutzen die Fachbereiche schon heute an der zentralen IT-Abteilung vorbei Public-Cloud-Services. 38 Prozent der IT-Abteilungen dulden stillschweigend solche Verhaltensweisen, ohne Regeln oder Integrationen zur Rest-IT zu entwickeln. Das könnte man als Kapitulation vor der Realität deuten. Am beliebtesten sind demnach E-Mail- und Kalender-Dienste (54 Prozent), Projektmanagement-Apps (41 Prozent) und Datenbanken (33 Prozent). Nur rund ein Viertel der Umfrageteilnehmer gibt an, dass keinerlei kostenlose Public-Cloud-Services im Unternehmen geschäftlich genutzt würden.

Das erinnert lebhaft an die vielen beruflich eingesetzten privaten mobilen Endgeräte, die IT-Manager durch hastig entwickelte BYOD (Bring Your Own Device)-Lösungen in den Griff bekommen möchten. Insofern könnte der nächste große IT-Trend durchaus "Bring Your Own App" heißen und nicht wenige Unternehmen, freiwillig oder nicht, ins hybride Cloud-Zeitalter katapultieren. (wh)