Hopp oder topp im Handel

10.11.2005
Als Hartwig Hopfenzitz seinen Job als CIO bei Woolworth antrat, wusste er nur zwei Dinge: Er hatte die Unterstützung seiner Geschäftsführer und er musste erfolgreich sein. Jetzt ist Woolworth zum Anwender des Jahres in der Kategorie Mittelstand gekürt worden.

Das Geschäft der Waren- und Handelshäuser in Deutschland zeichnet sich schon seit Jahren durch rückläufige Preise und extrem niedrige Margen aus. Seit zehn Jahren stagnieren die Umsätze.

Deutsche Woolworth

Umsatz 2004: eine Milliarde Euro;

Filialen: 340 in Deutschland;

Einkaufsbüros: acht in Asien,

eins in der Türkei;

Zentrale Distribution: Bönen;

Mitarbeiter: 2500 feste,

14.000 Mitarbeiter (incl. Teilzeit- und Aushilfskräften);

IT-Mitarbeiter: 80

Projektsteckbrief: Deutsche Woolworth

Die Deutsche Woolworth hat innerhalb von drei Jahren ihre komplette IT neu erfunden.

Hierzu setzte sie unter anderem

• fünf Teilprogramme mit insgesamt 36 Modulen auf;

• Letztere untergliederten sich wiederum in über 200 Einzelprojekte;

• Woolworth erneuerte unter anderem die Ladeninfrastruktur in rund 340 Niederlassungen;

• ersetzte das selbst entwickelte Data Warehouse durch eine zugekaufte Lösung;

• führte ein Forecast- und ein Reporting- sowie ein Projekt- und ein Dokumentenmanagementsystem ein und

• entwickelte eine neue Strategie für die Auslagerung des Rechenzentrums an zwei Dienstleister.

Neben diesem Branchentrend musste die Deutsche Woolworth mit einem hausgemachten Problem kämpfen: Im Zuge eines Management-Buy-Outs hatte sie sich 1998 von der amerikanischen Mutter abgespalten und einen Kurswechsel versucht. Das nach eigenen Worten "sympathische Kleinpreiskaufhaus" wollte auch ins Geschäft mit teureren Waren einsteigen. Diese Strategie schlug fehl und führte zu einem Wechsel im Management.

Glückliche Umstände

Das wiederum war ein glücklicher Umstand, denn mit zwei neuen Geschäftsführern zog auch ein neues Denken ein, das sehr stark die IT als Erfolgsfaktor in den Vordergrund jeglicher Unternehmensplanung rückte. Denn die veraltete IT von Woolworth hätte die Herausforderungen, die die gesamte Branche an Handelsunternehmen stellt, nicht mehr effizient unterstützt. Für Hopfenzitz war denn auch schon das Einstellungsgespräch mit Geschäftsführer Bernd Szymanski ein Erfolgserlebnis: "Die Woolworth-IT sollte State-of-the-Art werden", sagt dessen heutiger CIO, und er schiebt nach "und das so schnell wie möglich."

Das Anfang 2002 gestartete herkulische Programm "Power 2005" - dieses Akronym steht für "Prozessoptimierungen machen Woolworth zu einem erfolgreichen Retailer in 2005" - gliederte sich in fünf Teilprogramme mit insgesamt 36 Modulen und über 200 Einzelprojekten auf. Alle Projekte mussten aus dem eigenen Cashflow heraus finanziert werden.

Vom Kopf auf die Füße

Hopfenzitz und seine IT-Mannschaft, die bei seinem Amtsantritt 70, heute aber sogar 80 Mitarbeiter umfasst, konzentrierte sich bei der IT-Renovierung auf zwei Kernaufgaben: Für 13 der 36 Module mussten neue oder zumindest verbesserte IT-Lösungen implementiert werden. Zum anderen sollte auch die IT-Plattform erneuert werden.

Im Zuge der IT-Renovierung baute Woolworth unter anderem ein Data Warehouse, ein Forecast- und ein Reporting-System, Systeme für die Einkaufsplanung und -abwicklung, ein Stammdaten-Management, ein Warenwirtschafts- und ein Dokumenten-Management-System auf. Als wär’s nebenbei, wurde 2003 zudem im ersten Schritt das Rechenzentrum outgesourced und im zweiten Schritt neu geordnet. Das führte dazu, dass dessen Funktionen nicht mehr nur an einen Dienstleister, T-Systems, sondern auch an die Lufthansa Systems ausgelagert wurden.

Für ein seit 1988 eingesetztes Lohn- und Gehaltssystem musste ebenfalls Ersatz gefunden werden, weil dessen Hersteller die Wartung für Ende 2003 aufgekündigt hatte. Die bei Woolworth benutzte Unternehmensplanung war zudem uneinheitlich: Management-Informationen wurden aus einem veralteten Warenwirtschafts- sowie dem SAP- und einem Einkaufsplanungssystem in Excel zusammengeführt

Der Start

Power 2005 begann mit der Erneuerung des Data Warehouse. In einem ersten Schritt wurde der Aufbau der Infrastruktur, in einem nächsten die Stabilisierung der Betriebsprozesse sichergestellt. Als Drittes folgte in 2005 mit Hilfe der Standardsoftware "ARC" der indischen Firma Manthan Systems die Implementierung eines Kennzahlensystems für das Retail-Geschäft. ARC ist eine Analyseplattform, die auf dem vorhandenen Data Warehouse aufsetzt.

Dann kam die Implementierung des Forecast-Systems "Superstore" der schweizerischen Firma SAF. Mittels dessen werden heute über statistische Verfahren Verkäufe prognostiziert. Auf diese Weise können Umsätze vorhergesagt und die Bestände in den Filialen optimiert werden.

Ein weiteres Problem, das Hopfenzitz und seine Männer lösen mussten, war die wenig überzeugende Einkaufsabwicklung. Die Einkaufsprozesse besaßen keine Mandantenfähigkeit, die Prozesskette wies zudem Medienbrüche auf. Ein gemeinsames Verwaltungssystem für die Auftragsabwicklung mit acht Einkaufsbüros in Asien gab es ebenso wenig wie einen Datenaustausch mit Lieferanten. Ein erster Ansatz mit der amerikanischen Firma QRS und deren Software "QRS Sourcing" scheiterte, weil das Unternehmen Anfang 2004 den Vertrieb einstellte. Im April desselben Jahres startete Woolworth deshalb mit der ebenfalls amerikanischen Firma Tradestone und deren Produkt "Stepping Stone" durch. Im Spätsommer 2005 wurde Stepping Stone bei Woolworth weltweit ausgerollt.

Parallel zum Tradestone-Projekt führten Hopfenzitz und sein Team mit der "Crystal-Report"-Familie von Business Objects zudem eine strategische Plattform für das unternehmensweite Berichtswesen ein.

Im Zuge dieser Arbeiten lernten die bisher stark auf Eigenentwicklung fokussierten IT-Mitarbeiter den Wert von Standard-Software zu schätzen. Durch die Erfahrungen mit ausländischen Kooperationspartnern sind heute auch komplexe Aufgaben im internationalen Kontext kein Problem mehr.

Das Projekt Ladeninfrastruktur stellte, so Hopfenzitz, das "größte und komplexeste Projekt der vergangenen drei Jahre dar". Die Kassensysteme in den 340 Filialen in Deutschland waren alle betagt und in der Regel zwölf Jahre alt. Bedienen ließen sie sich nur mit kryptischen Codes, die Einarbeitung neuer Mitarbeiter dauerte bis zu vier Stunden. Vor allem aber unterstützten die Kassen keine Sonderpreisprogramme, weil es kein Rabattmodul für sie gab.

Der Austausch von rund 2000 Kassensystemen im Zuge des Ladeninfrastrukturprojekts steht dabei exemplarisch für die gesamte IT-Renovierung des Handelshauses. An ihm zeigt sich, wie die Woolworth-IT - so Hopfenzitz - "eine tradierte IT in eine moderne umwandelte, bei der wir auch mit unseren Geschäftspartnern in eine IT-gestützte Arbeitsbeziehung treten konnten".

In der Regel kamen Großrechnerterminals als Medium für die Bedienung des Warenwirtschaftssystems zum Einsatz. Die dezentrale Netzinfrastruktur basierte auf Token-Ring-Technik. Die Anbindung der größeren Zentralen erfolgte über teure Standleitungen. Moderne Bürokommunikation existierte nicht. Der Datentransfer von und zu den mobilen Datenerfassungsgeräten war störanfällig und kompliziert.

Um die IT-Infrastruktur so zu modernisieren, dass alle rund 340 Standorte in die neuen Prozesse und Anwendungen vollständig und ohne Medienbrüche eingebunden werden konnten, musste unter anderem die komplette Netzinfrastruktur ausgetauscht werden. Die Anbindung an das ausgelagerte Rechenzentrum sollte über DSL und virtuelle private Netze (VPN) sowohl leistungsfähiger als auch preiswerter gestaltet werden.

Erster Versuch gescheitert

Nachdem ein erster Rollout-Versuch mit einem Dienstleister im Jahr 2003 scheiterte, weil dieser die Komplexität der Aufgabe unterschätzte, wurde das Projekt neu ausgeschrieben und an die Firma Arxes vergeben. Der zweite Anlauf im Jahr 2004 funktionierte dann perfekt.

Alle Projekte hier detailliert zu erörtern würde den Rahmen sprengen. Angeführt seien allerdings noch strategische Überlegungen zur Ausrichtung der IT-Plattform. Vor der Restrukturierung lag der Know-how-Schwerpunkt der Woolworth- IT-Mannschaft auf AS/400-Systemen sowie AIX-basierenden RS/6000-Maschinen der "SP/2"-Familie. Die SAP-Anwendungen liefen auf HP-UX, waren aber ausgelagert.

Hopfenzitz diskutierte mit seinen Mannen im Zuge der kompletten IT-Restrukturierung die Option, im Unternehmen eine Plattformstrategie "aus einem Guss" zu entwickeln. Letztlich fiel die Entscheidung zugunsten von AIX als Betriebssystem, AS/400- respektive i2-Systemen sowie der DB/2-Datenbank.

Woolworth hat sich außerdem entschieden, bei allen Vorzügen, die Standardsoftware bietet, doch den Weg einer Best-of-Breed-Strategie zu verfolgen. Dabei stellt sich aber ein grundsätzliches Problem: Die denkbaren Schnittstellen wachsen exponentiell zur Anzahl der zu integrierenden Systeme.

Allerdings zeigte eine Untersuchung, dass diese Systeme nur an den Übergabepunkten der jeweiligen Prozessschritte Daten austauschen. Woolworth entschied sich zudem für eine redundante Haltung der Stammdaten oder von Teilen derselben. Hopfenzitz sagt, wegen des immer noch überschaubaren Datenvolumens seien die Mehrkosten für die redundante Datenhaltung vergleichsweise gering. Zu regeln war allerdings, dass die Stammdatenteile immer nur von einem einzigen System verändert und repliziert werden können. Woolworth musste hierfür also eine Datendrehscheibe (DDS) entwickeln.

Hier war zu entscheiden, ob die technische Basis eher auf einem klassischen ETL-Produkt oder auf einem EAI-Konzept fußen sollte. Informatica als ETL-Anbieter und IBM mit dem "Websphere-Business-Integrator" standen dabei im Wettstreit. Ein hartes Bewertungsverfahren zeigte deutlich, das die über drei Jahre gerechneten Gesamtkosten einer ETL- und einer EAI-Lösung vergleichbar waren. Die geringere Komplexität der ETL-Anwendung gab dann den Ausschlag und führte zu der Entscheidung für die Informatica-Suite.

IT-Prozesse

Schließlich wurden auch die internen IT-Prozesse in den vergangenen drei Jahren komplett überarbeitet. Verantwortlichkeiten, die über mehrere Abteilungen verteilt waren, wurden in einem eigenständigen Betriebsbereich zusammengeführt, ferner interne Prozesse an Itil ausgerichtet. Wegen eines strikten Kostenmanagements kommt Woolworth seine IT nicht teurer zu stehen als im Jahr 2001/02 - und das trotz des erheblichen Ausbaus der Systeme und Anwendungen. "Wie erledigen jetzt deutlich mehr mit dem gleichen Geld", beschreibt Hopfenzitz den Erfolg dieses Teils der Umstrukturierung.

Wenn man Hopfenzitz heute fragt, ob sich das Mammutprojekt für Woolworth ausgezahlt hat, gibt der CIO, der auch Mitglied der Geschäftsleitung ist, eine klare Antwort: "Wenn wir vor drei Jahren nicht angefangen hätten mit dem Projekt zur Umwandlung unserer IT und all unserer Geschäftsprozesse, dann wäre Woolworth nicht mehr wettbewerbsfähig und könnte nicht mehr marktgerecht agieren."