IT in der Medienwirtschaft/Braun-Fachverlag entwickelte Produkt und Verlegerservice

Hohe Funktionalität für Abogewinnung eingesetzt

18.10.1996

Der Ausgangspunkt: Eine kompetente Redaktion schlägt dem Verleger nach gründlicher Marktanalyse vor: "Wir machen eine Fachzeitschrift für niedergelassene Gynäkologen, und zwar speziell für solche, die außerdem auch noch Geburtshelfer sind." Die Idee überzeugt. Der Verlag plant Werbemaßnahmen, möchte Abonnenten gewinnen und genau wissen, wie viele Rückläufe auf welche Aktion erfolgt sind. Es gilt, die Adressen immer feiner zu analysieren, um das Marketing exakt auf die Zielgruppe zuschneiden zu können. Der Verlag träumt vom gläsernen Gynäkologen, dessen Bedürfnise mit der Fachzeitschrift genau zu erfüllen sind.

Wer in dieser Situation eine Datenbank hat, in die er nur drei Qualifikationsmerkmale eingeben und die Adressen damit sortieren kann, ist mit den Begriffen "Gynäkologe", "niedergelassen" und "Geburtshelfer" bereits am Ende seines Lateins. So war es beim G.Braun-Fachverlag vor etwa drei Jahren.

Sicher gibt es unzählige Datenbanken, die weitaus mehr als drei Merkmale bieten, aber das Produkt soll ja auch noch viel mehr können. So müssen Abonnentendaten verwaltet, Rechnungen für unterschiedliche Zeiträume geschrieben, einer Adresse verschiedene Zeitschriften in unterschiedlichen Exemplaren und mit unterschiedlichen Vertragsbedingungen zugeordnet werden und vieles andre mehr.

Abgesehen von den immensen Schwierigkeiten, effiziente Marketing-Aktionen vorzunehmen, waren die Braun-Vertriebsprofis auch noch aus anderen Gründen mit der Datenbank unzufrieden, wie sie vor drei Jahren bestand. So gab es kaum Plausibilitätsprüfungen bei der Eingabe und Änderung von Adressen zum Beispiel war nach der PLZ-Reform keine PLZ-Prüfung mehr möglich. Das heißt, es konnten falsche Adressen erfaßt werden mit allen Auswirkungen auf Faktura und Versand. Außerdem waren keine Teilbeilagensteuerung und kein Wechselversand möglich, keine Teil-, sondern nur Jahresrechnungen, und es konnte auch nicht in fremder Währung fakturiert werden. Last, but not least bestand der Wunsch, zu einer neueren, moderneren Technik überzugehen, die den Vorteil versprach, kostengünstiger und flexibler zu sein und zudem verschiedene Hardwareplattformen ermöglichte. Daher hat sich Braun für eine Client-Server-Architektur entschieden. Wo einst Großrechner mit dem Betriebssystem BS2000, Terminals, Drucker, und sonstige Peripherie standen, arbeitet Braun nun mit dem Programmierwerkzeug Uniface und einer Oracle-Datenbank, einem Sun-Unix- Server und Windows-Clients.

Nach dem Entschluß zum Umstieg wurde ein umfangreiches Pflichtenheft erstellt und eine zeitintensive Marktanalyse vorgenommen, bis endlich die Entscheidung fiel: Braun ging in das Projekt zusammen mit der Softwarefirma GFI und der Software "Cover".

Jeder, der mit DV-Projekten zu tun hat, weiß, daß leider nichts so reibungslos läuft, wie es vorgesehen war, und der geplante Zeitbedarf verdoppelt, wenn nicht verdreifacht werden muß. Die größte Schwierigkeit lag in der Kommunikation.

DV- und Vertriebsleute auf unterschiedlichen PlanetenEs ist, als ob DV-Fachleute und Vertriebs-Fachleute auf unterschiedlichen Planeten leben würden, selbst wenn sie die gleichen Worte verwenden, können sie sich einfach nicht verstehen. Braun hat schließlich einen regelrechten Dolmetscher eingeschaltet, der die Aufgabe hatte, sich so neutral wie irgend möglich zu verhalten.

Die Probleme begannen mit der Datenübernahme. Völlig verschiedene Datenmodelle und eine Menge Daten sicherten den Verlags-Aushilfen das Einkommen: Durch die unterschiedliche Logik bei Versand und Faktura mußten übernommene Daten nachträglich manuell angepaßt werden, damit im richtigen Rhythmus versendet und fakturiert werden konnte.

Nach dem offiziellen Beginn des Echtbetriebs traten noch viele Fehler und Mängel auf, aber auch Wünsche der Anwender, die die Nutzung äußerst erschwerten. Die Benutzer litten am meisten unter den völlig unzumutbaren Antwortzeiten - schließlich interessiert es keinen Kunden, ob es am Computer liegt, wenn er die Antwort auf seine berechtigte Frage nicht sofort erhält. Experten verschiedenster Fachrichtungen waren wochenlang damit beschäftigt, die Ursache für dieses Drama zu finden. Mit der Stoppuhr haben die Beteiligten verschiedene Vorgänge zu verschiedenen Zeiten gemessen, die Netzbelastung wurde genau analysiert und eine Menge andere Dinge, die Nicht-DV-Experten gar nicht verstehen konnten. Nach Wochen minutiöser Recherche hat sich herausgestellt, daß die unerfreulichen Reaktionszeiten an der eingesetzten Datenbankversion lagen, und nach Beseitigung des Fehlers kamen die Antworten so pfeilschnell, daß die Anwender ihr Glück kaum fassen konnten. Die psychologische Auswirkung einer neuen Software ist nicht zu unterschätzen. Alle Anwender erwarten eine Erleichterung ihrer Arbeit, eine Milderung bisheriger Probleme, aber gleichzeitig möchten sie die Abläufe, an die sie sich gewöhnt haben, behalten. Die Erwartungen sind sehr groß und die Wirklichkeit oft enttäuschend. Wie bekannt entsteht Frustration aus der Kluft zwischen Erwartung und Wirklichkeit, so daß die Motivation auf den Nullpunkt sinken kann. Die umfangreiche Funktionalität von Cover brachte nicht nur Vorteile, da die Anwender sich plötzlich neuen Herausforderungen gegenübersahen, mehr Möglichkeiten hatten und sich erst Erfahrung im Umgang mit den zahlreichen neuen Features aneignen mußten.

Und heute, drei Jahre danach? Die Fachleute von GFI und Braun treffen sich in regelmäßigen Abständen, um die Feineinstellung der Software voranzutreiben.

Die Vorteile im einzelnen: Die Erfassung von sehr vielen Qualifikationsmerkmalen der Adressen ist kein Problem mehr. Heute beschäftigt Braun vielmehr die Frage der Organisation, des logischen Aufbaus der Datenpflege. Fehleingaben von Adressen sind fast unmöglich, Adresse und Abostammdaten werden auf Herz und Nieren geprüft, bevor sie ins System gelassen werden. Die Funktionalität bei Versand und Faktura läßt so viele Möglichkeiten, daß Braun wahrscheinlich noch gar nicht alle genutzt hat. Die Anwender können zum Beispiel die Fakturierrhythmen und Fakturazeiträume frei wählen, und auch die Teilbeilagensteuerung ist längst gängig.

Einzelabrechnungen und Gutschriften werden über Cover abgewickelt. Die Suche nach Adressen und Abos ist komfortabel, Marketing-Aktivitäten wie mehrstufige Mailings, Telemarketing oder Wechselversand sind teilweise automatisiert. Übrigens ist es ein recht erfreulicher Anblick, statt einem Terminal und einem PC nun nur noch PCs zu sehen.

Braun hat sich entschlossen, andere Verlage von seinen Erfahrungen profitieren zu lassen und bietet die komplette Aboverwaltung, aber auch Vollservice mit Wechselversand und Abo-Gewinnungs-Maßnahmen jetzt auch extern an..

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Klassisch kann man den Vorgang nennen, der der Schaffung eines neuen Geschäftsbereichs des G.Braun-Fachverlages vorherging. Vom Problem (Abonnentengewinnung und -verwaltung) über die Lösung (Evaluierung, Einführung und Modifikation einer Software) bis zur Funktion "Spezial-Outsourcer" ging die Entwicklung des G. Braun Verleger Service. Zirka drei Jahre dauerte es bis zur heute erreichten Konsolidierung.

*Helga Göring-Schneider arbeitet in der Produktentwicklung und Agenturleitung von Braun Verleger Services in Karlsruhe.