Reaktionen auf den Stellenabbau

Hoffen, Schulterzucken und Galgenhumor nach dem Tag X bei Siemens

09.07.2008
Es regnet in Erlangen am Morgen nach dem Tag X, an dem der Siemens-Vorstand den Abbau von deutschlandweit etwa 5250 Stellen angekündigt hat. Leichter Nieselregen drückt aufs Gemüt.

Ein Unwetter, das Angst macht, ist es freilich nicht. Die Stimmung bei den Beschäftigten im großen Erlanger Siemens-Werk ähnelt an diesem Mittwoch dem Wetter, nachdem der Siemens-Chef Peter Löscher angekündigt hat, 1350 Arbeitsplätze in Erlangen und weltweit fast 17.000 streichen zu wollen. Verunsichert, verärgert, auch frustriert reagieren viele - aber richtig wütend ist kaum jemand. Die meisten hoffen noch, selbst von den Kürzungen verschont zu bleiben. Siemens beschäftigt in Erlangen mehr als 22.000 Menschen.

"Jetzt trifft es eben auch mal Erlangen", sagt Matthias Metze und zuckt mit den Schultern. Der 30-Jährige arbeitet seit vier Jahren für die Medizintechnik-Sparte bei Siemens, die laut Ankündigung am stärksten vom Stellenabbau betroffen sein soll. "Wir waren ja vorgewarnt und wissen seit Jahren, dass die Lage schwierig ist und wir gegen den Markt kämpfen", sagt er.

Der Stellenabbau ist dennoch Thema Nummer eins an den Tischen in der Kantine, in der Schlange beim Bäcker und in der Raucherpause. "Auf der Betriebsversammlung war es so voll, dass später niemand mehr hineingelassen wurde", sagt Elisabeth Landthaler. Am Morgen hatten die Betriebsräte die Belegschaft über den geplanten Stellenabbau informiert. "Die meisten Mitarbeiter sind noch einigermaßen entspannt, aber es gibt schon Leute in der Firma, die sich richtig Sorgen machen", sagt Landthaler.

Zu ihnen gehört die 38 Jahre alte Röntgenassistentin nicht, die seit zwölf Jahren im Erlanger Siemens-Werk arbeitet. "Ich mache mir keine Sorgen, bald auf der Straße zu stehen. Zur Not gehe ich eben wieder in die Klinik", sagt sie. Auch sie zuckt mit den Schultern.

"Wir lachen nur noch darüber", sagt der 31-jährige Frank Wendler frustriert, der seit 1994 beim Siemens-Telefonsupport arbeitet. "Was sollen wir auch sonst tun? Wir sind machtlos". Sein Kollege Leonhard Seißler will sich noch keine Gedanken über seine berufliche Zukunft machen. "Das mache ich, wenn konkret feststeht, wie viele von uns gehen müssen", sagt er. Die beiden hoffen, ihren Job zu behalten. "Wir sind Produktexperten und darum hoffentlich schwer zu ersetzen", sagen sie. Siemens, da sind die Kollegen sich einig, ist wichtig für Erlangen und seine etwa 100.000 Einwohner. "Nehmen Sie Siemens raus aus Erlangen und es ist ein Dorf", sagt Wendler. Trotzdem glaubt er: "Die Stadt wird's schon verkraften, wenn hier Arbeitsplätze gestrichen werden."

Erlangens Oberbürgermeister Siegfried Balleis hofft derweil, dass die Arbeitsplätze sozialverträglich abgebaut werden. Die Situation für die Betroffenen sei natürlich schwierig. Dennoch sei es ein Vorteil, dass sie in eine Zeit falle, in der die Stadt mit 92.000 Arbeitsplätzen ein "absolutes Arbeitsplatz-Hoch" aufweise. "Das hat es noch nie zuvor gegeben." Mit einer Arbeitslosenquote von 3,7 Prozent herrsche praktisch Vollbeschäftigung.

"Die Beziehungen zwischen der Stadt und Siemens haben sich zwar nicht wesentlich verändert", sagt OB Balleis (CSU). "Aber dass der Kontakt zur Unternehmensspitze nicht mehr so intensiv ist, wie er einmal war, das ist eine Tatsache." Der frühere Siemens-Vorstands- und Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer sei immerhin ein "glühender Erlanger Bürger" gewesen. "Das ist eine andere Situation, als wenn der Vorstandsvorsitzende in München sitzt."

Auch der Einzelhandel macht sich noch keine allzu großen Sorgen um schwindende Kaufkraft der Erlanger oder sinkende Einnahmen. "Viele unserer Kunden arbeiten bei Siemens. Die erkennt man ja immer direkt an den Stechkarten, die sie mit sich rumtragen", sagt Christine Theißen, Filialleiterin einer Parfümerie im Einkaufszentrum "Erlangen Arcaden". "Bei vielen geht derzeit total die Angst um und das bekommen wir hier natürlich mit und haben auch Mitleid. Wie sich das auf das Geschäft auswirken wird, kann ich aber noch nicht sagen", sagt sie. Viele ihrer Kunden seien aber auch Geschäftskunden von Siemens. "Und die bleiben uns ja, wie es aussieht, in jedem Fall", sagt Theißen. (dpa/tc)