Was Unternehmen tun können

Hilfe - meine Eltern brauchen Hilfe!

18.03.2013
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
Arbeitgeber merken allmählich, welche Auswirkungen der demografische Wandel auf ihre Beschäftigten hat. Einige reagieren vorbildlich, wie Beispiele zeigen.

Mit Sportprogrammen, ausgewogener Ernährung in der Kantine oder einem Gesundheits-Check unterstützen viele Firmen ihre Mitarbeiter. Das ist gängige Praxis. Doch auf viele 40- bis 64-Jährige kommt eine andere Belastung zu, über die sie oft nur ungern sprechen. Neben den heranwachsenden Kindern benötigen auch die eigenen Eltern Hilfe im Alltag.

Viele Pflegebedürftige sind auf die Unterstützung von Angehörigen angewiesen. Was tun, wenn diese schon reichlich Anforderungen in ihrem Beruf zu stemmen haben?
Viele Pflegebedürftige sind auf die Unterstützung von Angehörigen angewiesen. Was tun, wenn diese schon reichlich Anforderungen in ihrem Beruf zu stemmen haben?
Foto: Robert Kneschke - Fotolia.com

Verlässliche Zahlen, wie viele Berufstätige heute schon Pflegeaufgaben übernehmen, gibt es nicht. Stefan Reuyß, Soziologe am Institut für sozialwissenschaftlichen Transfer (Sowitra) in Berlin, schätzt, dass zwei Drittel der Pflegenden diese Aufgaben mit ihrem Erwerbsleben in Einklang bringen müssen. Die Schattenseiten des demografischen Wandels zeigen sich schon jetzt. Rund 2,34 Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig, etwa die Hälfte wird zu Hause versorgt. Weitere drei Millionen Bürger benötigen Unterstützung im Haushalt. Die Zahl derer, die nicht ohne fremde Hilfe leben können, summiert sich so auf über fünf Millionen Menschen. Hierzulande leben mittlerweile mehr Pflegebedürftige als Kinder unter drei Jahren. In den kommenden Jahren verschiebt sich dieses Ungleichgewicht weiter.

Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit schwinden

Gleichzeitig aber steigen die Anforderungen im Berufsleben. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwinden immer mehr. Neue Kommunikationsformen erleichtern es Arbeitgebern, schneller und unabhängig vom Büroalltag ihre Mitarbeiter zu erreichen. IT-gestützte Kommunikationsgeräte spielen dabei eine wichtige Rolle. Schon heute beklagen sich immer mehr Berufstätige über die hohe Belastung. Die Zahl der Burnout-Fälle steigt rasant - auch wenn es zu diesem "Krankheitsbild" unterschiedliche Meinungen gibt. Eine Reihe von Unternehmern versteht, unter welchem Druck manche Mitarbeiter stehen, und bieten Unterstützung an.

Gunther Olesch, Geschäftsführer für Personal, Informatik und Recht bei Phoenix Contact in Blomberg, gehört dazu: "Unsere Vision ist es, die Mitarbeiter ganzheitlich zu betrachten. Wenn Menschen Probleme haben, leidet auch ihre Leistungsfähigkeit." Der Elektrotechnik-Riese aus Ostwestfalen-Lippe beschäftigt dort rund 4000 Mitarbeiter, weitere 2450 arbeiten in anderen Niederlassungen in Deutschland, und weltweit summiert sich die Zahl der Beschäftigten auf 12.700.

Gunther Olesch, Geschäftsführer bei Phoenix Contact, bietet seinen Mitarbeitern bei Problemen die Unterstützung durch eine Sozialpädagogin an.
Gunther Olesch, Geschäftsführer bei Phoenix Contact, bietet seinen Mitarbeitern bei Problemen die Unterstützung durch eine Sozialpädagogin an.
Foto: Privat

Dass Olesch seine Sorgfaltspflicht gegenüber den Angestellten ernst nimmt, zeigt das vielfältige Engagement des Unternehmens. Neben Sportprogrammen, Ernährungsberatung oder Gesundheits-Checks gibt es seit gut einem Jahr ein weiteres Angebot. Mitarbeiter am Firmensitz in Blomberg können sich bei persönlichen Problemen an eine ausgebildete Sozialpädagogin wenden. Die angestellte Fachkraft residiert in einem etwas abseits gelegenen Büro, so dass die Ratsuchenden dort mehr oder weniger ungesehen anklopfen können. Selbstverständlich unterliegen die Gespräche der Schweigepflicht.

Die Idee dahinter ist klar formuliert. Hilfesuchende können zunächst 45-minütige Beratungstermine buchen, doch danach sollen sie gemeinsam mit der Sozialpädagogin die weiteren Schritte planen und sich an externe Experten wenden. "Allein im ersten Jahr fanden 1600 Gespräche statt. Wir freuen uns natürlich, dass das Angebot so gut angenommen wird", erzählt Olesch. Doch auch gegenüber dem Personalchef gilt die Schweigepflicht der Sozialpädagogin. Ob Schulden, Scheidung, Drogenprobleme der Kinder oder Abhängigkeiten von Alkohol oder Schmerzmitteln vorliegen, erfährt in der Personalabteilung niemand. Lediglich eine anonymisierte Statistik gibt einen Überblick. Daraus ist ersichtlich, dass etwa gleich viele Männer wie Frauen Rat suchen - und zwar unabhängig von Alter oder Ausbildung.

Mitarbeiter bringen Probleme mit

Andreas Krause, Datev: "Wir haben eine kollegiale Beratung ins Leben gerufen, in der Mitarbeiter ihre Erfahrungen weitergeben."
Andreas Krause, Datev: "Wir haben eine kollegiale Beratung ins Leben gerufen, in der Mitarbeiter ihre Erfahrungen weitergeben."
Foto: Privat

Auch für Andreas Krause ist klar, dass sich schwierige Situationen im Privatleben negativ auf die Arbeit auswirken können. "Wir pflegen eine Kultur der Achtsamkeit", sagt der Leiter Personalservice bei der Nürnberger Datev. Er ist verantwortlich für die Beratung der Mitarbeiter. Wegsehen sei der falsche Weg: "Wir haben eine Reihe von Instrumenten entwickelt. In der Personalabteilung gibt es Ansprechpartner für Führungskräfte und Mitarbeiter, an die sich Betroffene mit Fragen zu Beruf und Familie wenden können."

Das Durchschnittsalter der Datev-Mitarbeiter liegt bei 45 Jahren. Kein Wunder also, wenn das Thema der Elternpflege und -betreuung immer mehr Beschäftigte betrifft. Auch in Nürnberg übernimmt die Personalabteilung die ersten Gespräche. Ein Kooperationsvertrag mit dem Unternehmen Familienservice ermöglicht es den Betroffenen, sich weitere Unterstützung zu holen. Außerdem entschloss sich Datev, eine kollegiale Beratung ins Leben zu rufen. "Mitarbeiter geben ihre Erfahrungen an Kollegen weiter. Im Intranet stellen sie sich kurz vor und ermuntern Betroffene, sich an sie zu wenden", erläutert Krause. Auch für Führungskräfte existieren solche Angebote. Auf diese Weise entsteht ein persönlicher Austausch, der zwar die professionelle Beratung nicht ersetzen, jedoch die emotionale Belastung abfedern kann.