High-Tech-Terror

18.07.1986

Makabre Dialektik der Gewalt: Die Technik ist böse, es lebe die Technik! Um das "System" zu treffen, das für sie den "militärisch-industriellen Komplex" repräsentiert, greift die RAF, die "Rote Armee Fraktion", getreu ihrem Namen auch zu militärischen Mitteln - und zu modernen Gerätschaften. Weil die manuelle Mordtechnik bei NATO-Chef Alexander Haig versagt hatte, sprengten die Baader-Meinhof-Erben den Wagen von Siemens-Vorstand Karl Heinz Beckurts mit Hilfe einer elektronischen Kontaktschwelle in die Luft, die den Zeitpunkt der Explosion mit tödlicher Präzision steuerte.

Nicht nur wegen ihrer brutalen Gewalt, sondern auch wegen der abstrusen Argumente, mit denen die Terroristen ihre Mordtaten meinen legitimieren zu können, ist es erschütternd, daß die RAF immer noch Zulauf von jungen Nachwuchstätern hat. So erscheinen die im "Bekennerbrief" aufgeführten Gründe für die Ermordung des Technik-Vorstands der Siemens AG nachgerade an den Haaren herbeigezogen: Das Kernkraftgeschäft, bis vor wenigen Jahren Beckurts' zentrales Arbeitsgebiet, spielt heute in den Auftragsbüchern des Konzerns keine Hauptrolle mehr. Und dann berufen sich seine Mörder noch auf angebliche SDI-Aktivitäten. Tatsache ist, daß der gesamte Siemens-Vorstand den amerikanischen Plänen für den "Krieg der Sterne" von Anfang an sehr reserviert gegenübergestanden und sich an Gesprächen darüber hauptsächlich deshalb beteiligt hat, um Informationen aus erster Hand zu erhalten. Wenige Wochen vor dem Anschlag in Straßlach erklärte Vorstandschef Kaske sogar, daß er sich von SDI nicht viel erwarte; der Krieg sei schließlich nicht der Vater aller Dinge.

Doch es lag wohl in der Logik ihres Fanatismus, daß die Attentäter alle ihren Vorurteilen zuwiderlaufenden Äußerungen als Propaganda des "Systems" abtun mußten. Grundmerkmal jeder militanten Ideologie - und damit auch jener der RAF - ist der Anspruch auf die absolute Wahrheit und Unfehlbarkeit. Daraus leiten die Mörder ihre Berechtigung ab, sich zu Herren über Leben und Tod aufzuspielen. Es ist bedrückend für jeden Medienschaffenden, daß sich die Terroristen jeglicher Coleur bei der Information über ihre Opfer in erster Linie der Veröffentlichungen in Presse und Funk bedienen. Dabei nehmen sie aber nur die Meldungen wahr, die in ihr Denkschema passen - während nicht sein kann, was nicht sein darf.

Daß unter den Hunderten von potentiellen Todeskandidaten auf der schwarzen Liste der RAF ausgerechnet Karl Heinz Beckurts ausgewählt wurde, hängt nicht allein mit der Kernenergie zusammen. Denn dann hätten die Killer von Straßlach wohl einen Exponenten der Nuklearindustrie oder -politik ins Visier genommen, der von der Öffentlichkeit mehr mit diesem Thema identifiziert wird. So galt der Anschlag ebenso dem Mann, der im größten deutschen Technologiekonzern für innovative Technik verantwortlich war - also auch für Chips und Computer. Es wäre fatal, vergäße man, daß der gesamte DV-Bereich von RAF-Ideologen mit der Rüstungsindustrie in einen Topf geworfen wird. Es ist nicht auszuschließen, daß der Anschlag Sympathisanten, die zwar keinen Menschen töten würden, aber bereit sind zu Gewalt gegen Sachen, zu neuen Aktivitäten anregen wird - etwa gegen Rechenzentren. Und die sind oft sträflich wenig gesichert.